Vor wenigen Tagen beendete ich eine Wanderung im Engadin mit einer Postautofahrt. Beim Einsteigen musterte mich der Postautochauffeur, suchte offensichtlich nach meinem Namen und fragte schliesslich: «Sind Sie nicht alt Bundesrat Friedrich aus Winterthur?»
Ich zögerte in der Hitze einen Moment selbst, kam dann aber doch zum Schluss, dass nicht ich damals die Novosti-Agentur geschlossen hatte, obwohl ich zur Affäre tatsächlich eine Nebenrolle im Parlament spielte.
Um die damaligen Ereignisse wieder auf die Rolle zu bringen und kühlen Kopf zu erwirken, lohnt sich die Lektüre des Romans «1983 Verfluchte Hitze» von Lukas Holliger, erschienen im Rotpunktverlag.
Der Roman verbindet drei Skandale und eine Ballade aus jener Zeit: Die Schliessung der Novosti-Agentur, die Verhaftung einer Basler Spionin, der Mord an einem Wahrsager und Nenas «99 Luftballons». Vier Höhepunkte des kalten Krieges, die damals bewegten.
Lukas Holliger verwebt sie fiktiv und frech zu einem zusammenhängenden Krimi. Eine Generation jünger als ich, schildert er jene Zeit aus erfrischender Distanz. Der überforderte Kommissär Glut, der aus Versehen einen Waldbrand entfacht, Chefbeamte des EJPD und des Aussendpartementes, die plastischer nicht beschrieben werden könnten, der russische Hellseher, eine betrunkene Haushälterin und Auseinandersetzungen innerhalb des Bundesrates zwischen einem kalten Krieger und einem um Diplomatie ringenden Aussenminister sind derart trefflich umschrieben, dass ich mich frage, wie dies einer, der nicht Zeitzeuge war, angegangen ist.
Alles spielt trotz kaltem Krieg im bisher heissesten Sommer, den wir erlebt haben, 1983. Der kalte Krieg kocht, Nenas «99 Luftballons» sind als Ohrwurm des Jahres aus allen Radiosendern zu hören, der Nato-Doppelbeschluss spaltet Europa, die Grenze zwischen Ost und West durchziehen die politische Welt und ganze Familien.
Allerdings: Mein Lachen über die Auswüchse der damaligen Kalten-Kriegs-Mentalität ist nicht mehr befreit. Das liegt nicht an diesem verschmitzten, heiteren und fulminanten Roman, sondern an der heutigen Weltlage. Und so stört es mich jedenfalls kaum, dass ich mit Bundesrat Friedrich verwechselt werde.