Die Stadt Zürich lancierte vor noch nicht allzu langer Zeit im Namen der botanischen Landesverteidigung eine öffentliche Aktion gegen Riesenbärenklau, Goldrute, Knöterich und Sommerflieder. Lokalpolitiker rissen höchstpersönlich und medienwirksam im Schweisse ihres Angesichts Unkraut mit Stumpf und Stiel aus. Die Aktion mag aus urban-ökologischer Perspektive durchaus zu verstehen sein. Sie schleppt allerdings eine verfängliche Metaphorik mit sich. Es ist nun nicht mehr neutral von „invasiven Neophyten“ die Rede, sondern vom „Kampf gegen die fremden Pflanzen“, von der „Verdrängung einheimischer Arten“. Ein Leserbriefschreiber weist darauf hin, dass in einer indigenen Hecke „mehr gekreuche und gefleuchre rumwusselt“ als in einem fremden Kirschlorbeer. Heisst das, dass die Insekten Einheimisches bevorzugen! Ist nun die Schweizeridentität auch im Reich der Pflanzen gefährdet?
Triffids – die Pflanzenbösewichte
Unkraut ist in unserer kollektiven Imagination die Metapher für ungebetene Eindringlinge in heimische Gefilde. Ein literarischer Klassiker des Unkraut-Genres ist John Wyndhams „The Day of the Triffids“ (1951); eine postapokalyptische Fabel über eine schiefgelaufene industrielle Entwicklung, welche die Ökologie ausser Rand und Band setzt. Sie schuf eine neue Spezies: die böse Pflanze. Triffids, grossindustriell gezüchtete und ausgebeutete Pflanzen, gewinnen die Herrschaft über den Planeten, nachdem ein fataler Meteoritenregen dem Grossteil der Menschheit das Sehvermögen geraubt hat. Kaum überraschend: die Triffid-Samen stammen aus Russland. Die Menschen sind den sich rasch ausbreitenden Pflanzen – die mobil sind und töten können – rettungslos ausgeliefert.
Bärenklau – reale Monster
Nicht fiktive Triffids, sondern eine reale Pflanzenart sorgte 1970 für Schlagzeilen in der englischen Presse. Im Sommer dieses Jahres fielen in den Notfallstationen der Spitäler gehäuft verbrennungsartige Symptome bei Kindern auf: Rötungen und Blasen auf Lippen, Haut und Augenlidern. Die Ursache fand man bei einer bis anhin als harmlos taxierten Pflanzenart: dem Riesen-Bärenklau. Ein Ungetüm von Gewächs, mit seinen scharfzackigen Blättern und einer mächtigen Dolden-Krone fast einschüchternd. Es enthält eine lichtempfindliche Substanz: Furokumarin. Wenn die Haut damit in Kontakt kommt, kann sie vor allem unter Sonneneinstrahlung eine Dermatitis mit verbrennungsartigen Symptomen entwickeln. Bärenklau war ein beliebtes Natur-Kinderspielzeug; man konnte den Stängel als Teleskop oder als Pfeife verwenden. Zum eigentlichen Monster wuchs aber die Pflanze aus, als man herausfand, dass sie eine „Immigrantin“ von der anderen Seite des Eisernen Vorhangs war. Die Boulevardmedien sprachen von den „Triffids“, und empfahlen Gegenmassnahmen: Gifte, Flammenwerfer, Dynamit, das Ausbaggern der Wurzeln und anschliessende Ausbrennen der Gräben. Ohne durchschlagenden Erfolg. Der Bärenklau setzte die Unterwanderung Englands fort.
Von der Zeirpflanze zur „planta non grata“
Er zeigt das typische Muster der Geschichte vieler invasiver Pflanzen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Europa aus dem Kaukasus eingeführt, war der Bärenklau ein botanischer Zierat. Man bewunderte seine „Majestät“. Er stellte sozusagen das Pendant des gewöhnlichen Gärtners zu den teuren hortikulturellen Exotica in den Treibhäusern der reichen Leute dar. Allerdings ertönten schon am Ende des 19. Jahrhunderts Warnungen vor dem „Riesenunkraut“. Im frühen 20. Jahrhundert begann der Ausbruch des Bärenklaus aus den eleganten botanischen Anlagen und aus den suburbanen Gärten der Arbeiterklasse. Gerade der Umstand, dass er ein Invasor aus einem anderen sozialen Milieu war, trug nicht unbedingt zu seinem Ruf bei. Die Entdeckung des photo-dermatitischen Effekts machte das Gewächs definitiv zur Bedrohung: ein Kippen der öffentlichen Wahrnehmung, also eigentlich ein kultureller Effekt. Der Riesen-Bärenklau wurde zur „planta non grata“.
Die Eroberung der Städte und Industriebrachen
Es gibt freilich nicht nur Unkraut-Dystopien. Es gibt auch Szenarien des Wiederaufbaus. Was geschieht, wenn man urbanes Terrain einfach der Vegetation überlässt, zeigt exemplarisch ein 1980 aufgelassenes Hochbahntrassee der New York Central Railroad in Manhattan. Unmittelbar nach der Schliessung drang ein Stosstrupp von chinesischen Götterbäumen ein; gefolgt von der Nachhut aus Woll-Ziest und Goldrute. Auf dem Schienenareal entwickelte sich schnell ein richtiges Biotop aus Iris, Schlüsselblume, Gänseblume, wilder Möhre – ironischer Weise „Immigranten“ aus Europa und Asien. Die Rückeroberung eines ruinösen Stücks Stadt durch die Pflanzen wurde von den New Yorkern dadurch gewürdigt, dass das vergandete Bahntrassee nun offiziell als Park gilt („High Line“), der sich als grünes Band mitten durch Manhattan zieht. Ein ähnliches Entwicklungsbild zeigt das heutige Detroit, das sich zu einer regelrechten grünen Vorbildstadt entwickelt. Viele verfallene Industriegelände in Grossbritannien sind heute wahre Schatzkisten der Artenvielfalt.
Wer ist eigentlich schuld?
Das Ausrotten des Unkrauts sei Sisyphusarbeit, hört man von berufener Seite. Wahrscheinlich werden wir deshalb ein Arrangement mit dem unvermeidlichen Grünzeug finden müssen. Und das wird ein schwieriger Prozess sein. Arten gehen ständig fremd. Wir müssen also praktische Kontrolle mit ökologischer Akzeptanz verbinden: eine Koevolution von Eigenem und Fremdem, „Nützlichem“ und „Unnützem“. Indem Technologie und Chemie uns ermöglichen, das Unkraut effizienter denn je zu bekämpfen, entbinden sie uns ja auch von der Mühe eines tieferen umwelthistorischen, und damit kulturhistorischen Verständnisses.
Unkraut löst Reflexe aus, nicht Reflexion. Aber Reflexion ist dringend nötig, vor allem über unsere eigene Nachlässigkeit im Umgang mit bestimmten Pflanzen. Zu dieser Nachlässigkeit gehört im Besonderen, dass wir die invasive Pflanze zur Schuldigen machen, statt den Menschen. Man gibt lieber der „bösen“ Alge die Schuld, einheimische Arten im Mittelmeer vertrieben zu haben, als den Hotelbetreibern, die ihren Dreck ins Meer spülen und den Algen ein besonders bekömmliches Habitat verschaffen.
Ideologie des Unkrauts
Gewiss, Unkraut ist nicht immer unschädlich. Aber das Schädlichste an ihm ist seine Ideologisierung, der Missbrauch von Naturmetaphern zu politischen Zwecken. Die Vegetation entlang Hitlers Reichsautobahnen hatte arisch purifiziert zu werden. 1942 schlug ein Team deutscher Botaniker vor, den Fremdling Kleines Springkraut (Impatiens parviflora) auszurotten: „Wie im Kampf gegen den Bolschewismus unsere ganze westliche Welt auf dem Spiel steht, so steht im Kampf gegen diesen mongolischen Eindringling die Schönheit unserer Heimatwälder auf dem Spiel.“
Wähnen wir uns solchen geistigen Miefs nur nicht enthoben. In einem Gartenbuch aus dem Jahre 1994 lese ich: „Der Mensch macht Fehler, die Natur nicht. Pflanzen, die in ihrem natürlichen Habitat wachsen, sehen gesund und deshalb schön aus. In jedem wilden Gebiet kann man ein wunderbar zusammenstimmendes Sortiment von Pflanzen finden, die alle ihren Teil zur Erscheinung einer einheitlichen natürlichen Landschaft beitragen. Das Gleichgewicht wird bewahrt durch die lokalen ökologischen Bedingungen, und die Einführung einer fremden Pflanze kann das Gleichgewicht zerstören. Die Evolution hat eine Harmonie geschaffen, welche sich gekünstelten Gärten widersetzt.“
Die Evolution missbrauchen
Evolutionäre Harmonie versus gekünstelte Gärten; lokale Vegetation versus eindringendes Kraut; landschaftliche Einheit versus Gewucher. – Wer sich die Evolution auf diese Weise zur Verbündeten machen will, bedient sich eines intellektuellen Bauchrednertricks. Er verleiht der Natur eine Stimme, die sie nicht hat. Gesundheit und Schönheit sind nicht natürliche Kategorien, erst recht nicht das Einheimische und das Fremde. Unkraut ist Kraut am falschen Ort. Aber die Natur kennt keine „falschen“ Orte, weder Inland noch Ausland. Natur adelt das Native nicht.
Unser Denken über das Unkraut verrät viel über uns Menschen. Das Spektrum an Einstellungen zum Unkraut ist breit, es reicht vom Akzeptieren bis zur Ausrottung. Wir werden kaum je einen verbindlichen Katalog der ethischen und ästhetischen Beurteilung finden. Zumindest kann uns aber das Unkraut als Memento dienen, nicht voreilig dem Diskurs des Höher- und Minderwertigen zu verfallen. Wie der Ökologe Christoph Küffer von der ETH schreibt, müssen wir von der einfachen Formel Abstand nehmen, „dass nicht einheimische Arten (Neobiota) problematisch sind und einheimische nicht“.
Der Respekt für die „ursprüngliche“ Natur ist tückisch. Er kann sich zum Rigorismus der natürlichen Reinheit steigern: Eugenik im grünen Kleid. Hüten wir uns freilich auch vor der Harmonieseligkeit einer „demokratischen“ Natur, in der alle Arten ihr Existenzrecht beanspruchen können, wenn vielleicht auch nur auf Zeit. Jesaias Natur gibt es nicht, wo Wolf und Lamm zusammenweiden und der Löwe wie das Rind Stroh fressen. Schon in der Bibel fängt die Diskriminierung an: „Doch die Schlange nährt sich vom Staub“ (65:25).