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Made in China

Börsen-Chinesisch

27. September 2021
Peter Achten
Xu Jiayin, der mit 42,5 Milliarden Dollar einst reichste Mann Chinas, träumte gross. Jetzt steht er am Rand der Pleite und versucht, das Schlimmste in extremis abzuwenden.

Aus dem Nichts gründete Xu Jiayin 1996 eine Immobilienfirma. 2017 wurde er dank seiner China Evergrande Group zum reichsten Mann des Reichs der Mitte. Noch vor zwei Jahren gab es für ihn noch keine Grenzen. Mit Investitionen von 45 Millionen Yuan Renminbi wollte er innerhalb von drei bis fünf Jahren auch zum weltweit grössten E-Auto-Unternehmen werden. Wie schon bei den Immobilien fusste auch hier Xus Geschäftskonzept auf zwei Pfeilern: Aggressive Expansion und Kredit.

Immobilien-Patriarch Xu ist, wie praktisch alle Millionäre und Milliardäre Chinas, gut mit der allmächtigen Partei verbandelt. Er hat jedoch offensichtlich Parteichef Xi Jinpings Direktiven übersehen oder falsch interpretiert. Bereits 2016 nämlich hat Xi unmissverständlich festgestellt: «Wohnungen sind zum Wohnen, nicht zum Spekulieren.» Zudem hat die Zentralregierung 2020 «drei rote Linien» für den Immobiliensektor festgelegt. Danach soll die Ausgabe von Hypothekarkrediten begrenzt und die Schuldenquote der Konzerne begrenzt werden, zudem soll weniger Land für die Bebauung zur Verfügung gestellt werden.

1,5 Millionen Wohnungskäufer warten

Ende September ist für Evergrande die Zahlungsfrist für 83,5 Millionen Dollar an Anleihezinsen verstrichen. Jetzt läuft eine 30-tägige Nachfrist. Sollte Evergrande in dieser Frist seinen Zinszahlungen nicht nachkommen, wäre das Unternehmen insolvent, also pleite. Xu Jiayin gibt sich noch immer optimistisch. Mitte September meinte er in einer Mitteilung an seine Angestellten, er glaube, dass Evergrande bald aus der «dunkeln Zone» heraus sei; es gelte jetzt zu bauen und Wohnungen an die Eigentümer auszuliefern. Derzeit warten 1,5 Millionen Wohnungskäufer, die bereits bezahlt haben, auf ihre Schlüssel. Die China Evergrande Group hat über tausend Projekte in 280 Städten am Laufen.

Xus Unternehmen ist mit rund 300 Milliarden Dollar verschuldet. Die Pekinger Zentralregierung hat sich zum Fall direkt noch nicht geäussert und wartet ab, wohl auch als ein Warnzeichen an andere Immobilien-Riesen. Die chinesische Immobilien-Branche plus die dazugehörende Stahl- und Zementindustrie machen je nach Schätzung 25% bis 29% des Brutto-Inlandprodukts aus. Es geht also auch um zukünftiges Wachstum und vor allem um die in China so wichtige soziale und wirtschaftliche Stabilität.

«Lehman Moment»

Im Ausland wurde anfangs vor allem an den Casino-Börsen hysterisch reagiert. Schliesslich sei China mit rund 30% am Wachstum der Weltwirtschaft beteiligt. In ihrem Börsen-Chinesisch schwabulierten die hochbezahlten, jedoch unkundigen Analytiker – Neudeutsch: Analysten – von einem «Lehman Moment» oder einer «Finanzkrise à la Lehman». Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied zum Zusammenbruch der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers und zur daraus resultierenden Finanzkrise 2008. In den USA konnte damals Wohnungseigentum ohne Vorauszahlung gekauft werden. Es war auch möglich, mehrere Objekte sich käuflich anzueignen. In China dagegen sind 30% bis 70% Eigenmittel erforderlich, zudem können nicht mehr als zwei Wohnungen gekauft werden. Die Auswirkungen auf das chinesische Immobilien- und Finanzsystem sind mithin überschaubar. Ein Vergleich mit 2008 ist nicht nur schief, sondern rundheraus falsch. Voodoo-Ökonomie sozusagen.

China-Kenner Frank Sieren urteilt: «Ein Zusammenbruch oder gar eine globale Finanzkrise drohen nicht.» Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank wiederum meint: «Für Europa kann ich sagen, dass es nur begrenzt direkt betroffen ist.» Sogar Amerikas Zentralbanker Powell sieht alles wenig dramatisch. Der Präsident der Schweizer Nationalbank, Thomas Jordan wiederum schwurbelt sich akrobatisch im «Sowohl-als-auch»: «Es ist falsch, in Alarmstimmung zu sein, es ist aber auch falsch, es als kleines lokales Problem abzutun.» So kann er allenfalls dann am Schluss sagen, er habe recht gehabt. Jordan allerdings sollte sich eher über China kundig machen, denn er mag zwar von westlichem Kapitalismus und dem Finanzsystem sehr viel wissen, vom chinesischen Sozialismus und der sozialistischen Marktwirtschaft hat er jedoch keine Ahnung.

Gewiss, die China Evergrande Group hat Schwachstellen des chinesischen Finanz- und Wirtschaftssystems offengelegt. Die Restrukturierung des Immobilien- und Finanzsektors wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in den nächsten dreissig Tagen kommen. Allerdings auf welche Weise und wie schnell hängt von der Initiative der chinesischen Zentralregierung ab.

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