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Sprach-Akrobatik

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25. September 2014
Stephan Wehowsky
Die Sprache ist ein zweischneidiges Werkzeug.

Wer dieses Werkzeug nicht beherrscht, schneidet sich damit. Er macht zum Beispiel orthographische Fehler. Und auch Könner wissen, was es heisst, mit der Sprache zu ringen. Dieses Werkzeug macht sich immer wieder selbständig und führt die Nutzer in Gegenden, die sie vor Antritt ihrer Sprach-Reise nicht gesehen hätten.

Sprache ist subjektiv und objektiv zugleich. Sie formt ihren Nutzer genauso, wie er sie formt. Elaborierte Sprache ist mehr als eine Kurzmitteilung. Denn indem man sich in ganzen Sätzen ausdrückt, verändert sich der erste Impuls, weil man anfängt, über ihn nachzudenken. Sprache erfordert Mühe.

Die passt nicht mehr in eine Pädagogik, die im Wesentlichen das Ziel verfolgt, den Schülern jedes Hindernis aus dem Weg zu räumen, es buchstäblich plattzumachen. Schliesslich soll kein Schüler - und diesmal schreiben wir ausdrücklich „keine Schülerin“ - mehr „diskriminiert“ werden. Wenn es „Schwellen“ gibt, müssen sie selbstverständlich beseitigt werden.

Zur „Gerechtigkeit“ gehört zudem eine optimale Vergleichbarkeit der „Leistungen“ – schliesslich soll jeder jederzeit wissen, wie sich seine Punkte zusammensetzen. Um das zu erreichen, muss ein so anspruchsvolles Werkzeug wie die Sprache zurechtpädagogisiert werden. Das ist gelungen!

Davon berichtet der Philosoph Konrad Paul Liessmann in seinem neuesten Buch, „Geisterstunde. Die Praxis der Unbildung“. Er beschreibt, wie es einen Trend dazu gibt, das Schreiben „phonetisch“ zu erlernen, also ohne jede Orthographie. Und wie überhaupt den Schülern Texte nur noch in kleinsten Häppchen dargeboten werden, ständig unterbrochen durch irgendwelche Fragen mit Wörtern, die nur noch unterstrichen, oder mit Kästchen, die nur noch angekreuzt werden müssen, damit die Schüler ihr „Verständnis“ unter Beweis stellen können und die Lehrer keine Schwierigkeit mit der „Vergleichbarkeit“ der Leistungen haben.

Liessmann insistiert darauf, dass Sprache mehr ist, dass sie Anstrengung erfordert und ihr Erwerb und Gebrauch mit Frustrationen verbunden ist. Wer aber den Schülern diese Mühsal ersparen wolle, betrüge sie um die Früchte der Sprache, ohne die diskursives, komplexes Denken und das Eintauchen in die Welten der Literatur nicht möglich sei. Polemisch zugespitzt formuliert Liessmann, dass der „Analphabetismus“ das „geheime Bildungsziel“ sei.

Dem sei hier ausdrücklich widersprochen. Denn die ständigen Reformen und die Reformen der Reformen und noch weitere Reformen haben kein Bildungsziel, erst recht kein geheimes. Wo sollten denn da die Reformpädagogen ihr Kreuzchen machen?

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