Die irakischen assyrischen Königsstädte Nimrud und Ninive sind berühmter. Sie kommen ja auch in der Bibel vor, und erste Ausgrabungen dort um die Mitte des 19. Jahrhunderts lieferten monumentale Prachtsfunde. Dagegen spielte die Stadt Assur, eine Gründung des 3. vorchristlichen Jahrtausends, im 2.Jahrtausend durch Fernhandel reich und zur regionalen Macht geworden und vom 14.Jh. v. Ch. bis zum Anfang des 1.Jahrtausends die erste Hauptstadt des assyrischen Weltreichs, und darnach jahrhundertelang dessen Kulthauptstadt, die Rolle des Aschenbrödels. Das Alte Testament erwähnt sie mit keinem Wort, und frühe Grabungen, die ihre Ruinen anknabberten, erbrachten für Museen wenig Spektakuläres, die Schatzsucher wandten sich von dem spröden Objekt ab. Was ihm an Berühmtheit abging, machte es allerdings im 20. Jahrhundet an Ruhm wett. Im Auftrag der Deutschen Orientgesellschaft grub Walter Andrae in Assur von 1903 bis 1914. Die Grabung, die erste moderne Flächengrossgrabung mit dem vorrangigen Ziel der Informationsbeschaffung, und nicht der Bereicherung europäischer Museen, schrieb Archäologiegeschichte. Bis heute gilt sie als methodisch mustergültig. Die Arbeitskräfte, fast 200 Arbeiter, hatte Andrae aus dem nahen Dorf Scherqat rekrutiert. Sie lernten soviel, dass sie, und später ihre Söhne und Enkel, während des ganzen Jahrhunderts auf allen Ausgrabungen im Irak bevorzugt beschäftigt wurden.„Scherqati“ heissen bis heute die Vorarbeiter auf Grabungen, sogar wenn sie gar nicht aus der Umgebung von Assur stammen. Andrae erschloss mit Sondiergräben das Stadtgelände. Die Wohnstadt interessierte den Bauforscher weniger als die Kernstadt mit ihren Tempeln, Palästen und Befestigungsmauern. Aquarellierend und zeichnend erweckte er die Baureste zu dem Glanz der einstigen Götter- und Königsstadt. Im 9. Jh. v. Chr. verlegten die assyrischen Könige ihre Residenz nach Norden, zuerst wurde Nimrud, später Ninive das neue politische Machtzentrum. Assur freilich blieb die „heilige Stadt“ als Sitz des Reichsgottes, dem die Provinzgouverneure Schlacht- und Brandopfer schuldeten. Ein medisches Heer legte sie 614 v.Chr. in Schutt und Asche. Die Zeitläufte – zwei Weltkriege, die Teilung Deutschlands, zwei Irak-Kriege – behinderten die Rezeption der beispielhaften Grabung. Bis heute ist sie wissenschaftlich nicht vollständig aufgearbeitet. Seit den 1970er Jahren kümmerten sich irakische Archäologen immer mal wieder, restaurierend und grabend, um das Ruinengelände am Tigris. Zweimal kehrten auch deutsche Archäologen dorthin zurück, aber die Irak-Kriege machten stets einen Strich durch die Rechnung. Seit den 1980er Jahren gibt es Pläne für einen Damm, der den Tigris im Makhul-Gebirge (am oberen Bildrand) stauen soll. Der Stausee würde einen Teil des Stadtgeländes verschlingen. Die Unesco würdigte 2003 Asssur als Welterbe und setzte es gleichzeitig auf die rote Liste gefährdeter Denkmäler. Seither wurden zwar die Dammpläne schubladisiert – „endgültig“, heisst es in Baghdad, aber die Archäologen bleiben skeptisch. Zurzeit gilt das Dreieck Mosul-Kirkuk-Tigris mit Assur im Zentrum als so gefährlich, dass Feldforschungen oder auch nur Rekognoszierungen undenkbar sind. Auch deshalb leuchtet die Ampel der Unesco für Assur weiterhin warnend rot. Jahr der Aufnahme: 1973. (Copyright Georg Gerster/Keystone)
Assur am Tigris
Assur am Tigris