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Gesellschaft

Anmarsch der Influencer

26. September 2017
Verena Stauffacher
Zunächst dachte ich an eine mediale Sommerloch-Erkältung. Doch augenscheinlich ist das Phänomen jahreszeitenunabhängig

So pflügt es sich weiterhin durch Facebook, Instagram, Twitter und Konsorten wie die verhassten Influenzaviren durch Zug, Bus und Tram, um schliesslich bei uns zu landen und unser Dasein zu beeinflussen: Achtung, die Influencer sind im Anmarsch! Ähnlich wie ihre viralen Namensvettern nisten sie sich in uns ein, die einen im Körper, die anderen in der Psyche, und zwingen einen ins Bett – oder eben in den Konsum.

Werbeflüsterer und ihre Likes-Mitläufer

Dass die Menschheit durchaus kreativ ist im Erfinden neuer Broterwerbe, wissen wir nicht erst, seit es das Internet gibt. Wer recherchiert, stösst auf so exotische Tätigkeiten wie Golfballtaucher (holt schlecht geschlagene Bälle aus Golfplatzteichen), Glückskeksautor (textet Sprüche für die traditionelle Beigabe in chinesischen Restaurants), Kokosnuss-Sicherheitsbeauftragter (sorgt dafür, dass den Hotelgästen die Kokosnüsse nicht auf den Kopf fallen), professioneller Ansteher (fungiert als bezahlter Platzhalter in Warteschlangen) oder Schlussmacher (beendet im Auftrag gescheiterte Beziehungen anderer). Und nun also Influencer oder, wörtlich übersetzt, Beeinflusser.

Im Kern ist diese neue Berufsgattung damit beschäftigt, sich vor eine selbstbetriebene Kamera zu stellen, setzen oder legen und dem geneigten Publikum seine oder ihre aktuellen Must-haves vor die Nase zu halten, seien es nun Marken-Schuhe, -Kleider, -Kosmetika und was auch immer das Herz sonst noch begehrt – oder zumindest begehren sollte. Die selbstgebastelten Filmchen – durchaus auch mit dem eigenen Handy gedreht – erscheinen dann in den sozialen Medien, werden dort zum Teil millionenfach angeklickt und bestenfalls mit anerkennenden Likes gutgeheissen.

Je mehr Likes, desto angesagter sind die präsentierten Produkte und desto populärer die Bedürfniskreateure. Und desto lukrativer auch deren Beschäftigung, mutieren sie doch zu gefragten und hochbezahlten Botschaftern der Werbeindustrie und der Unternehmen, die von der steigenden Nachfrage nach ihren Produkten profitieren. Influencer/innen sind also eine Art Werbeflüsterer.

Jekami für Nobodys

Zugegeben: Persönlichkeiten, welche flächendeckend die Politik, die Kultur, die Gesellschaft massgeblich beeinflussten – zum Guten wie auch zum Schlechten – gab es schon immer und Jahrhunderte, bevor wir weltweit und in Sekundenschnelle vernetzt waren. Und auch die Werbung geizte noch nie mit vollmundigen Versprechungen auf Plakaten, im Fernsehen und in Inseraten, welche sie nicht selten Prominenten aus Sport und Unterhaltung in den Mund legen, um der Menschheit Dinge anzudrehen, die sie nicht braucht. Das alles kennen wir. Neu hingegen ist, dass aus dem Rennen um Einfluss ein Jekami geworden ist, dessen Teilnehmer/innen einzig einige äusserliche Voraussetzungen mitzubringen haben: ein hübsches Gesicht, vorzugsweise blonde, lange, glatte Haare (Frauen), einen Dreitagebart (Männer) sowie einen knackigen (Frauen), gut getrimmten (Männer) Körper.

Kommt dies gepaart mit einer aktiven, wenn nicht gar obsessiven Bewirtschaftung der sozialen Medienplattformen einher und ist man gewillt, vielleicht nicht gerade seine Seele zu verkaufen wie Goethes Faust, aber immerhin seine Existenz von der Unberechenbarkeit und Kurzlebigkeit der Beliebtheit im sozialen Netz abhängig zu machen, steht einer Karriere als Influencer/in nichts im Weg. Zumindest belegen dies Beispiele aus Amerika, aber auch Deutschland, was befürchten lässt, dass die Influencer-Influenza auch auf die hiesigen dafür Anfälligen übergreifen könnte.

Gänsemarsch statt Individualität

Die Welt ist paradox: Einerseits wird – zu Recht – protestiert und demonstriert gegen machtmissbrauchende Anführer, Meinungsmacher, die Leute, ja ganze Völker indoktrinieren und radikalisieren, wenn nicht gar der Vernichtung preisgeben. Anderseits aber schaffen es Frau Krethi und Herr Plethi, die sich dann Bibi oder Carodaur nennen, ein paar Millionen Anhänger/innen zu mobilisieren, die sich ihrem Konsumdiktat unterwerfen, einzig aus Statusgründen und ohne zu hinterfragen, wem sie damit eigentlich zu gigantischen Gewinnen verhelfen.

Wo bleibt denn die vielgepriesene und heutzutage geradezu gehätschelte Individualität, wenn aus unerfindlichen Gründen zu Popularität gelangte Influencer/innen bestimmen, was ihre Fans gut, schön, stilvoll zu finden und demzufolge zu kaufen haben, um zur vermeintlich exklusiven Klasse der In-People dazuzugehören? Oder anders gesagt: Weshalb verlassen sich (vor allem jüngere) Menschen auf irgendwelche Nobodys und deren wirtschaftlich und egozentrisch gesteuerte Interessen und begeben sich auf den Gänsemarsch, statt sich auf die Suche nach einer eigenen Persönlichkeit – innerlich wie äusserlich – zu machen? Weshalb sich mit Nachmachen begnügen, wenn doch jeder seines eigenen Glückes Schmied sein soll?

Deshalb: Wenn man mich fragt, haben wir die Influencer ungefähr so nötig wie eine Influenza-Epidemie.

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