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Ägypten

Alles schaut auf die Armee

1. Februar 2011
Arnold Hottinger
Auf dem zentralen Befreiungsplatz (Tahrir) von Kairo stehen sich die Panzer der Armee und die Demonstranten gegenüber. Der Platz heisst Befreiungsplatz, weil dort einst die Kaserne der britischen Kolonialmacht stand. Im Gegensatz zu den kolonialen Truppen von damals sind die ägyptischen Truppen offenbar nicht bereit, das Feuer zu eröffnen.

"Wir sind mit dem Volk, und das Volk liebt uns, die Armee wird dem Volk nichts zuleide tun!", zitiert ein Journalist von Reuters einen Offizier, der sich Major Ahmed nennt und sagt, er sei verantwortlich für die Truppenaufstellung im Zentrum von Kairo. Die Armee duldet sogar, dass das Ausgangsverbot, das offiziell über das staatliche Fernsehen ausgerufen worden war, ignoriert wird. Einige der Demonstratoren haben auf dem Befreiungsplatz übernachtet, neben den Panzern.

Man kann sich fragen: was tut die Armee eigentlich auf den Strassen der ägyptischen Städte? Offiziell sorgt sie dafür, dass Ruhe und Sicherheit aufrecht erhalten werden. Dies sieht sie als einen Auftrag, Plünderungen und Gewalt zu unterbinden, nicht jedoch Demonstrationen zu verhindern, obwohl diese verboten sind.

Dass am Sonntag Kampfflieger den Platz im Tiefflug überflogen, kann man wohl so interpretieren, dass die kommandierenden Offizieren, die diese Übung angeordnet haben müssen, offenbar die Demonstrationen beenden wollten. Doch die protestierenden Massen ignorierten die Warnung und kehrten am nächsten Tag in grösseren Massen als je zurück. Auf den Dienstag dieser Woche wollen sie ihren Druck weiter steigern. Ein Marsch der Millionen ist geplant und ein rollender Generalstreik. Wie sich beide Aktionen entwickeln werden, bleibt abzuwarten.

Al-Jazeera bleibt auf Sendung Zweifellos war das Verbot des Senders von "al-Jazeera" und die vorübergehende Verhaftung der Journalisten begleitet vom Raub ihrer Transmissions- und Aufnahmegeräte ein Versuch der Behörden, den unliebsamen Sender zum Schweigen zu bringen. Er ist gründlich missraten. Al-Jazeera hat nun alle Rücksicht beiseite gelassen und sendet professionell aufgearbeitetes wildes Material, das die Teilnehmer an den Demonstrationen selbst zur Verfügung stellen. Das Resultat ist aufregender als je, und die Ägypter können es immer noch auf ihren Bildschirmen sehen.

Washington: « Bitte kein Blutbad »

Die amerikanischen Offiziere versuchen ihre ägyptischen Kollegen höheren Ranges, die sie seit Jahren gut kennen, darin zu bestärken, ein Blutbad unbedingt zu vermeiden. Admiral Mike Mullen, der Oberste Chef aller Stäbe und der höchstrangige Offizier Amerikas, hat sich die Mühe genommen die ägyptische Armee öffentlich für ihre "Professionalität" zu loben. Obama selbst scheint im Begriff, vorsichtig abzurücken von seiner bisherigen "Freundschaft" mit Mubarak, indem er immer deutlicher die Forderung stellt, der Willen des Volkes müsse berücksichtigt werden.

Wahrscheinlich gibt es weit oben auf den kommandierenden Höhen der Streitkräfte hochrangige Generäle, die immer noch hoffen, das gegenwärtige System könne irgendwie fortgesetzt werden. Schliesslich gehören sie selbst zu den profiliertesten Nutzniessern. Doch mit Sicherheit gibt es auch weit unten und sogar in den mittleren Rängen der Offiziere zunehmend mehr Personen, die einsehen, dass die Armee nicht mehr sehr lange gewissermassen auf beiden Seiten der Konfrontation stehen kann.

"Die Armee muss sich entscheiden: Mubarak oder Ägypten", lautete einer der Slogans der Demonstranten. Eine Entscheidung für Mubarak würde die Streitkräfte zwingen, doch noch Schiessbefehl gegen die Demonstranten zu erteilen. Doch die Armeespitzen können nicht sicher sein, dass solche Befehle befolgt würden. Sie auszugeben, könnte zum Bruch innerhalb der Armee führen. Dass die obersten Kommandanten dieses Risiko eingehen wollten, ist unwahrscheinlich und wird immer unwahrscheinlicher, je länger der gegenwärtige Stillstand andauert. Die andere Entscheidung wäre dann eben, Mubarak in dieser oder in jener Form, sanft oder hart, zum Aufgeben zu zwingen.

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