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Slowakei

Abdriften in Putins Orbit?

19. Juli 2025
Rudolf Hermann
Rudolf Hermann
Fico, Orban
Der slowakische Regierungschef Robert Fico (links) lässt in mancher Hinsicht politische Nähe zu seinem ungarischen Amtskollegen Viktor Orbán erkennen. Hier bei einem EU-Gipfeltreffen in Brüssel im März. (Foto: Keystone/AP Photo/Omar Havana)

Slowakische Regierungspolitiker bis hin zu Ministerpräsident Fico haben in den letzten Wochen Gedankenspiele zu politischer Neutralität angestellt und damit die Westorientierung des ostmitteleuropäischen EU- und Nato-Landes in Zweifel gezogen. Was ist da dran? 

«In diesen sinnlosen Zeiten des Aufrüstens, in denen sich Rüstungsbetriebe die Hände reiben, so wie sich während der Covid-Pandemie Pharma-Firmen die Hände gerieben haben, stünde der Slowakei Neutralität gut an. Leider ist das ein Entscheid, der nicht in meinen Händen liegt», erklärte Mitte Juni Robert Fico, der Regierungschef der Slowakei. Ein paar Tage später doppelte er nach: «Machen wir uns nicht vor, wir hätten keine Alternative. Wer hätte früher gedacht, dass der Warschauer Pakt auseinanderfallen könnte oder dass Grossbritanien aus der EU austritt? In der Nato und der EU zu sein, ist keine Religion.» 

Fico ist nicht der einzige, wohl aber der ranghöchste Vertreter der slowakischen Regierungskoalition, der in der letzten Zeit solche Wortmeldungen machte. Andere waren dabei noch schärfer. So zum Beispiel Andrej Danko, der Chef der rechtsradikalen Slowakischen Nationalpartei, auf deren paar Stimmen Fico mit seiner linkspopulistischen Smer-Partei im Parlament für die Regierungsfähigkeit seines Kabinetts angewiesen ist. «Sprechen wir also darüber, was eine Neutralität kosten würde. Und ob Robert Fico auch noch mutig sein wird, wenn wir beschliessen sollten, aus der Nato auszutreten. Denn Daherreden ist eine Sache, das Wort eines echten Kerls jedoch eine andere. Sprechen wir also darüber, ob es einen Sinn hat, in der Nato zu sein», hiess es von Seiten Dankos, nachdem Fico das Thema Neutralität ins Spiel gebracht hatte. 

Politiker der «starken Hand» sind gefragt 

Es sind Töne, die in ihrer Deutlichkeit überraschen, nicht aber in ihrem Inhalt an sich. Denn ein Europäer und Transatlantiker aus Überzeugung war Fico, der bereits zum vierten Mal eine slowakische Regierung führt, nie – höchstens einer aus Opportunismus. Ihn politisch einzuordnen, ist dabei nicht ganz einfach. Aufgewachsen im Kommunismus, war er 25 Jahre alt, als der Eiserne Vorhang fiel. Ein Systemkritiker oder gar Dissident war er nie gewesen, und so reihte er sich bei der postsozialistischen Linken ein. Gleichzeitig hatte er aber keine Berührungsängste mit slowakisch-nationalistischem Gedankengut, ob dieses nun in links- oder rechtspopulistischem Gewand daherkam. 

In seinem zum Autoritarismus neigenden Führungsstil erinnert er an Vladimir Mečiar, der nach der Aufspaltung der Tschechoslowakei 1992 die nun selbständige Slowakei in eine internationale Isolation führte. Dadurch wäre dem Land beinahe die Integration in die Europäische Union und die Nato entglitten.  

Präsenter Politikertyp in Osteuropa 

Es geht bei Fico und Mečiar um einen Politikertyp, der in Ostmitteleuropa immer relativ präsent gewesen ist und der von der Wählerschaft auch heute noch nachgefragt wird – man denke an Ungarns Viktor Orbán, Polens Jarosław Kaczyński oder Tschechiens Andrej Babiš. Letzterer hat laut derzeitigen Prognosen gute Aussichten, im Herbst wieder an die Macht kommen. 

Die ostmitteleuropäischen Staaten haben in den letzten fünfunddreissig Jahren politische und wirtschaftliche Reformleistungen erbracht, denen es grossen Respekt zu zollen gilt. Doch visionäre Politiker wie der Tscheche Václav Havel, konsequente Reformer wie der polnische Wirtschaftsexperte Lech Balcerowicz und überzeugte Europäer wie Donald Tusk, auch er ein Pole, lassen westeuropäische Beobachter gerne übersehen, dass in den meisten Ländern dieser Region eine labile Balance herrscht zwischen tendenziell liberal denkenden Städtern und einer mehr national und politisch-gesellschaftlich konservativ ausgerichteten Landbevölkerung. Wobei «politisch-gesellschaftlich konservativ» in diesem Zusammenhang auch eine gewisse Verklärung der sozialistischen Zeit bedeuten kann, obwohl man sich von dieser Ende 1989 noch so gern verabschiedet hatte.  

Keine Mehrheit für Nato-Austritt 

Um zur Slowakei zurückzukommen: Ist das Land tatsächlich dabei, aus den euro-atlantischen Strukturen abzudriften? Drei Meinungsumfragen zwischen Februar und Juni 2025 ergaben, dass sich eine Mehrheit von 51 bis 65 Prozent der Befragten einen Nato-Austritt nicht wünscht, während Minderheiten zwischen 20 und 31 Prozent diesen befürworten würden. Eine Volksabstimmung wäre damit für Fico ein mit einiger Unsicherheit behaftetes Unterfangen.  

Der slowakische Soziologe Michal Vašečka weist allerdings darauf hin, dass Teile der Bevölkerung wohl nur einen unscharfen Begriff davon hätten, was Neutralität tatsächlich bedeute. In einem Radiointerview sagte Vašečka, rund 40 Prozent derjenigen, die sich einen Verbleib in der Nato wünschten, sprächen sich gleichzeitig für Neutralität aus. Die Soziologie habe einen Begriff für solche Widersprüche: «kognitive Havarie». Vašečka sagte auch, dass es in der slowakischen Gesellschaft und vor allem der Partei Ficos Strömungen gebe, die der Mitgliedschaft des Landes in westlichen Strukturen skeptisch gegenüberständen. Deshalb sei zu erwarten, dass der Regierungschef das Thema weiterhin in der öffentlichen Diskussion halten wolle.  

Fico und die Autokraten 

Die politischen Punkte, die es dabei zu gewinnen gibt im eigenen politischen Lager, scheinen Fico also wichtiger zu sein als die Gefahr, dass er sein Land dadurch in Europa ins Abseits manövriert.  

Doch ohnehin scheint Fico der Idee einer liberaldemokratischen Gesellschaft wenig abgewinnen zu können. Bei einem Besuch in Usbekistan im Juni lobte er vor Journalisten zuerst die «riesigen Fortschritte Usbekistans der letzten Jahre» und sagte dann, Europa müsse sich fragen, ob sein Modell der pluralistischen Demokratie noch konkurrenzfähig sei, wenn man sich die wirtschaftlichen Erfolge anschaue, die Länder wie Usbekistan, Vietnam oder China derzeit erzielten.  

Er trat ferner der EU mit der Bemerkung ans Bein, dass Usbekistan seine Aussenpolitik souverän gestalte und er das Land dafür bewundere. Auch er wolle eine Aussenpolitik «in alle vier Himmelsrichtungen» betreiben, doch in der EU sei dies sehr schwierig, wenn man nicht mit dem Mainstream schwimme. Der slowakische Staatspräsident Peter Pellegrini, ursprünglich ein politischer Ziehsohn Ficos, hielt dem Regierungschef entgegen, er solle bei dieser Politik einfach die Himmelsrichtung «Westen» nicht vergessen. 

Ob Ficos Erwägungen zu einer Neutralität der Slowakei tatsächlich mehr sind als bloss innenpolitisch motiviertes Futter für die eigene Wählerklientel, bleibt abzuwarten. Für Putin jedoch wäre eine «blockfreie» Slowakei ein Geschenk: Es entstünde mit der Ukraine, der Slowakei, Österreich und der Schweiz ein zusammenhängendes Band von Nicht-Nato-Staaten, das die östliche Hälfte des europäischen Nato-Gebiets in einen Nord- und einen Südteil spaltet. 

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