Jewgeni Prigoschin, der Chef der Wagner-Söldner, hat sich bereit erklärt, den Vorstoss seiner Truppen auf Moskau «zu stoppen». Er habe ein Vermittlungsangebot von Belarus angenommen, erklären russische Kreise. Nach der Besetzung der südrussischen Stadt Rostow am Don hatten sich seine Truppen Richtung Moskau bewegt. In der russischen Hauptstadt hatte sich Unruhe breitgemacht.
Geführt wurden die Vermittlungsgespräche vom belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko. Prigoschin habe sich bereit erklärt, «die Situation zu deeskalieren», berichten der russische der Nachrichtensender Rossiya 24 und das Präsidentenbüro von Lukaschenko am Abend.
«Prigoschin akzeptierte Lukaschenkos Vorschlag, die Bewegung von Wagner auf russischem Territorium zu stoppen und weitere Schritte zur Deeskalation der Spannungen zu unternehmen», heisst es. Unklar ist noch, unter welchen Bedingungen Prigoschin in das Vermittlungsabkommen eingewilligt hat. Offenbar haben die Wagner-Kämpfer Sicherheitsgarantien erhalten. Der Kreml erklärte, Prigoschin habe sich straffreiheit erwirkt. Er hatte seinen Rückzug damit begründet, dass er «Blutvergiessen vermeiden» wolle.
Moskau erwartete Angriff
Die Behörden von Moskau hatten offenbar einen Angriff der Wagner-Söldner erwartet. «Die Situation ist schwierig», sagte am Nachmittag der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin in seiner auf Telegram veröffentlichten Erklärung. Er hatte die Moskauer Bevölkerung aufgerufen, zuhause bleiben. Strassen und Brücken vor der Hauptstadt würden gesperrt, erklärte er. Der Gouverneur der südlich von Moskau gelegenen Region Lipeuzk hatte erklärt, die Wagner-Truppen hätten die Region durchquert.
Da und dort hatte sich in Moskau Panik bemerkbar gemachtt. Geschäfte und Galerien wurden am Abend überstürzt geschlossen und evakuiert. Alle öffentlichen Anlässe im Freien wurden abgesagt. Vor der Hauptstadt rissen Bagger Autobahnen auf, um ein Eindringen der Prigoschin-Panzer zu verunmöglichen.
Beobachter in Moskau betonten, dass sich nun rächt, dass die meisten russischen Truppen in der Ukraine stehen.
Am Mittag hatte der Kreml Prigoschin zur Verhaftung ausgeschrieben. Der Wagner-Chef hat laut eigenen Angaben 25'000 Mann unter seinem Kommando.
Am Abend haten die russischen Behörden die Wagner-Söldner aufgefordert zu desertieren. Sollten sie bereit sein, ihre Waffen niederzulegen, würde ihnen Straffreiheit zugesichert, meldet die russische Staatsagentur Tass.
Prigoschin besetzte Rostow und Woronesch
Prigoschins Kämpfer hatten zuvor die Stadt Rostow am Don eingenommen. Die Stadt liegt nahe der ukrainischen Grenze. Der Gouverneur von Rostow, Igor Artamonow, hatte die Bewohner und Bewohnerinnen der Stadt aufgerufen, ihre Häuser nicht zu verlassen und keine Verkehrsmittel zu benutzen. «Ich verstehe alle Unannehmlichkeiten, aber ich bitte Sie ernsthaft, uns zu helfen und diese Empfehlungen zu befolgen», sagte Artamonow.
Obwohl die Behörden die Bevölkerung von Rostow aufgefordert hatten, zuhause zu bleiben, posierten zahlreiche Menschen der Stadt vor und auf den Wagner-Panzern. Kinder kletterten auf die Tanks, auf denen «Sibirien» steht, und die Eltern fotografierten.
Laut der BBC wurde auch die Stadt Woronesch, die sich zwischen Rostow und Moskau befindet, von Wagner-Truppen besetzt.
Videos, die am Samstagabend in sozialen Medien verbreitet werden, deuten darauf hin, dass die Wagner-Söldner sich auch aus Rostow und Woronesch zurückziehen könnten.
Nervöser Putin
Präsident Wladimir Putin hatte in einer kurzen Fernsehansprache Wagner des «Hochverrats» bezichtigt und geschworen, die Hintermänner des «bewaffneten Aufstandes» zu bestrafen. Putin wirkte während seiner Ansprache sichtlich nervös.
Prigoschin weigerte sich nach Putins Rede nachzugeben und bezeichnete die Ansprache als «zutiefst irrend».
Prigoschin beschuldigte die russische Armee, einen tödlichen Angriff auf seine Truppen in der Ukraine zu starten, wo die Wagner-Truppen für Russland kämpfen. Eine «grosse Anzahl» seiner Söldner sei getötet worden. Das russische Verteidigungsministerium wies die Behauptungen Prigoschins zurück.
Am Samstagnachmittag hatten russische Sicherheitskräfte im Süden Moskaus Stellung bezogen. Dies geht aus Fotos hervor, die von der russischen Wirtschaftszeitung Wedomosti veröffentlicht wurden. Die Bilder zeigen russische Sicherheitskräfte in Schutzwesten und mit automatischen Waffen, die in der Nähe einer Autobahn, die Moskau mit Südrussland verbindet, Stellung beziehen. Auf den Bildern sind auch Helikopter zu sehen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte, Russlands «Schwäche» sei aufgedeckt worden. Ein Sprecher des ukrainischen Verteidigungsministeriums bezeichnete den Prigoschin-Aufstand als «Zeichen für den Zusammenbruch des Putin-Regimes».
Ukrainische Offensive
Während der Unruhen im Nachbarland Russland haben ukrainische Streitkräfte am Samstag ihre Offensive «in mehreren Richtungen» intensiviert. Dies gab am Samstagabend die stellvertretende ukrainische Verteidigungsministerin Hanna Maliar bekannt.
«Die östliche Truppengruppierung hat heute eine Offensive in mehrere Richtungen gleichzeitig gestartet», erklärte Maliar und nannte mehrere Städte und Ortschaften, darunter Bachmut und Yahidne, als Orte, an denen die Offensive gestartet wurde. Maliar sagte, es gebe «Fortschritte in allen Richtungen», ohne Details zu nennen. Im Süden des Landes würden schwere Kämpfe stattfinden. Die russischen Streitkräfte befänden sich «in der Defensive» und würden «grosse Anstrengungen unternehmen, um unsere Offensivoperation zu stoppen».