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Bilaterale III

Was und wer gibt den Ausschlag?

7. Dezember 2025
Christoph Zollinger
Christoph Zollinger
Bilaterale III
Bunderat Ignazio Cassis spricht neben Alexandre Fasel, Staatssekretär im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), und Vincenzo Mascioli, Staatssekretär für Migration (SEM), in der Medienkonferenz zum Vertragspaket Schweiz-EU. (Bild vom Mittwoch, 5. Dezember 2025 in Bern, Keystone, Peter Klaunzer)

In den Diskussionen zu den Verträgen der Schweiz mit der EU stehen sich politische Haltungen des Aufbruchs und des Bewahrens gegenüber. Werden die Bilateralen III neben dem Volks- auch dem Ständemehr unterstellt, so haben die Bremser faktisch ein Veto.

Schlagworte lassen sich gut verkaufen. Social-Media-Plattformen eignen sich besonders gut dazu. Mit Totschlag-Argumenten wird der Bevölkerung bei einem Ja der Verlust der wichtigsten schweizerischen Demokratie-Trümpfe prognostiziert. 

Denkfehler damals und heute  

Können sich Befürworter und Gegner bei dieser wichtigen Abstimmung zu den Bilateralen III (im Jahr 2027?) darin einig sein, dass ein Ja vergleichbar wäre mit einer Mini-Revolution? Revolutionen haben es in sich. In diesem Beitrag mache ich mir Gedanken über die Vergleichbarkeit 

  • einerseits der grossen politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen der neuen CH-EU-Verträge, die quasi eine industrielle, wirtschaftliche und politische Revolution bedeuten;
  • andererseits des Aufruhrs auf dem Beschäftigungssektor, der im 18./19. Jahrhundert durch die industrielle Revolution, gegenwärtig durch die KI-Revolution, durchgeschüttelt wurde respektive wird. 

Wie wir wissen, waren damals Prognosen, wie sich das langfristig auf den menschlichen Arbeitsmarkt auswirken würde, sehr riskant. Jedenfalls haben sich die pessimistischen Vorhersagen, die im 18./19. Jahrhundert unter der arbeitenden Bevölkerung Angst verbreiteten, nie bewahrheitet. Langfristig ging es aufwärts.

Was ich damit sagen will: Damals konnten wir zwar ziemlich gut prognostizieren, welche Jobs durch die «Revolution» verloren gehen werden. Man konnte aber nicht prognostizieren, wie die Arbeitsmarktentwicklung aufgrund der neuen industriellen Technologien mit ihren neuen Berufen verlaufen würde. So ist es auch heute noch: Man kann abschätzen, welche Jobs der KI-Revolution zum Opfer fallen werden, doch damit hat es sich. Wir haben schlicht keine Ahnung, welche neuen Jobs als Folge der Umwälzungen entstehen werden und ob sie den Verlusttrend ausgleichen, vielleicht sogar umkehren werden. Wir wissen ja nicht einmal, was wir nicht wissen.

Ähnlich verhält es sich bei den Prognosen über die Konsequenzen der Bilateralen-III-Verträge. Auch wer heute für den Fall eines Ja vom Verlust helvetischer Traditionen wie 1. August-Feiern und bäuerlicher Hofläden schwadroniert, weiss es nicht.

Mit geballter Kraft kämpfen die Gegner einer vertieften Kooperation seit Monaten gegen einen weiteren Ausbau dieser Beziehung. Genau wie bei der oben geschilderten Diskussion um die Zukunft der Beschäftigung werden unermüdlich gravierende Nachteile für unser Land als Folgen dieser «Revolution» aufgeführt.

Vergleichbar propagieren die Schwarzmaler ihre Nein-Thesen, ohne sich Gedanken darüber zu machen, welche Vorteile sich in der Folge eines Ja-Entscheids entwickeln könnten. Und entsprechend auch kein Wort darüber, welche Nachteile das Nein zu den Bilateralen III haben könnten.

Die Rolle des Ständemehrs

Wortführerinnen und Wortführer der politischen Wahlpropaganda sind sich einig, dass diesmal das Ständemehr-Nein einen Ja-Entscheid der Gesamtbevölkerung ins Gegenteil kehren könnte. Deshalb der verbissene Hosenlupf um das Ständemehr. Vielleicht kann es deshalb nicht schaden, wieder einmal (stark vereinfacht) die wichtigsten Faktoren anzuschauen.

Der Nationalrat repräsentiert eher die urbane, wirtschaftlich breit gefächerte Bevölkerung, während der Ständerat die Kantone, mehr ländlich und traditionell verankert, vertritt. Der Nationalrat fokussiert schwergewichtig auf den wirtschaftlichen, effizienten Arbeitsmarkt mit sozialer Ausgestaltung. Aus einem tendenziell moderat modernen Blickwinkel schaut er auf Umweltfragen und Bildung. Im Unterschied dazu agiert der Ständerat eher konservativ mit Schwergewicht auf kantonalen Belangen, Infrastruktur und Finanzwesen.

Das Verhalten des Nationalrats ist etwas reformfreudiger, speditiver und eher parteipolitisch geprägt, mit Fokus auf nationalen Zielen – im Unterschied zum Ständerat, der klar föderalistischer, zurückhaltender, langsamer, konsensorientierter und mit starker Rücksicht auf die kleineren Kantone politisiert. 

Der Nationalrat ist im Vergleich zum Ständerat etwas zukunftsgerichteter und pragmatischer unterwegs mit Hauptaugenmerk auf Vorteilen für Wirtschaft und Volk. Der Ständerat dagegen ist vorsichtig konservativ, vergangenheits- und stabilitätsgeprägt, autonomiebedacht und legt mehr Wert auf Schutz der eigenen Landwirtschaft und ländlichen Bevölkerung.

So kann es nicht erstaunen, dass der Nationalrat bezüglich der Abstimmung zu den Bilateralen III inklusive Personenfreizügigkeit – mit Absicherungsmechanismus bei der Öffnung des Arbeitsmarktes – zu einem Ja neigt und sich kompromissbereit zeigt. Der Ständerat dagegen tut sich schwerer mit Erweiterungen der bestehenden Verträge. Der Nationalrat dürfte offener für die Erweiterung des Rahmenabkommens sein, auch weil er eine gewisse Notwendigkeit zugunsten stabiler, europäischer Handelsbeziehungen sieht. Der Ständerat ist da klar vorsichtiger und zurückhaltender, autonomiebedachter bezüglich Souveränitätsverlust. 

Vetomacht von 18 Prozent der Stimmen

Anhand der effektiven Stimmenzahlen bei der damaligen AHV-Abstimmung zur 13. AHV-Rente habe ich errechnet, dass in jenem Fall 18,45 Prozent (601'984 Stimmen) Nein genügt hätten, um das Ja von 81,55 Prozent (2'661'195 Stimmen) aufgrund der Ständemehr-Regel zu überstimmen. Sollte also dereinst bei der Abstimmung zu den Bilateralen III ein Ja der Bevölkerungsmehrheit einem Ständemehr-Nein der Bevölkerungsminderheit (12 von 23 Kantonen) gegenüberstehen, so müssten wir die Tatsache akzeptieren, dass die politische Strategie für den Weg in die Zukunft von einer Minderheit der Abstimmenden von 18 Prozent, vorwiegend aus ländlichen, eher konservativen Mitbürgerinnen und Mitbürgern bestimmt würde.

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