Direkt zum Inhalt
  • Politik
  • Kultur
  • Wirtschaft
  • Gesellschaft
  • Medien
  • Über uns
close
Allons enfants etc ...

Was nun, Monsieur Macron?

23. September 2025
Hans Woller
Lecornu, Macron
Sebastien Lecornu (links), hier noch Verteidigungsminister, und Emmanuel Macron (rechts) beim Gedenktag der Befreiung von Bormes-les-Mimosas im Zweiten Weltkrieg (Bild vom 17. August 2025, Keystone/EPA, Miguel Medina)

Frankreichs Staatschef musste mit Sebastien Lecornu bereits den siebten Premierminister seit seinem Einzug in den Élyséepalast vor acht Jahren ernennen. Seit der hirnrissigen Parlamentsauflösung, die Macron im Juni 2024 beschlossen hatte, steht der Präsident auf Grund einer fehlenden Mehrheit im Parlament innenpolitisch auf verlorenem Posten. Doch er tut weiter so, als könne er einfach alles aussitzen. 

Emmanuel Macron hat jüngst also seinen dritten Premierminister innerhalb von nur einem guten Jahr ernannt. «Ja und?», sagen sich die meisten Franzosen und fragen sich, was dies an der politischen Ausweglosigkeit im Land, an der Orientierungslosigkeit und an der herrschenden Weltuntergangsstimmung schon ändern soll. 

Das Parlament, ein wilder Haufen

Der Präsident, im Parlament ohne Mehrheit, laviert, sofern er es überhaupt noch kann. Die Abgeordneten verhalten sich derweil wie eigensinnige und zum Teil schlecht erzogene Kinder, unfähig, Kompromisse zu finden oder gar Koalitionen einzugehen. 

Die Debattenkultur in der Nationalversammlung ist auf einem Tiefpunkt angelangt und die Parteien glänzen durch Verantwortungslosigkeit. Hat man wieder einmal eine Regierung gestürzt, klopft man sich auf die Schenkel und feiert das Ereignis als grossen Erfolg, wirft sich in die Pose des Siegers. Aber was dann? Und wie bitte? Auf diese Fragen hört man keine Antwort, nur Floskeln.

Dabei steckt Frankreich neben der politischen auch in einer wirtschaftlichen Krise. Die Staatsschulden belaufen sich mittlerweile auf über drei Billionen Euro, 115 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Allein die Zinsen für die Schulden liegen jährlich bei 67 Milliarden Euro, mehr als der Haushalt des Erziehungsministeriums. Vor zwölf Jahren hatte Frankreich bei den Ratingagenturen noch ein dreifaches A. Vor wenigen Tagen hat Fitch Frankreich von AA- auf A+ herabgestuft, was ganz eindeutig auch mit der politischen Instabilität des Landes, für die sich keine Lösung abzeichnet, zu tun hat. In so gut wie allen EU-Ländern liegt die jährliche Neuverschuldung inzwischen unter drei Prozent, nur Frankreich rangiert bei über fünf Prozent. Zur Kreditaufnahme an den internationalen Finanzmärkten zahlte das Land jüngst teilweise höhere Zinsen als Italien oder Griechenland. 

Regierungswechsel ohne Ende?

Der Vorgänger von Sebastien Lecornu auf dem Sessel des Regierungschefs, Monsieur Bayrou, 74, der Inbegriff des politischen Urgesteins in Frankreich – immerhin drei Mal Präsidentschaftskanditat in den letzten zwanzig Jahren –, hatte immerhin acht Monate lang durchgehalten, bis er mit seinem Sparhaushalt für 2026 – 43 Milliarden sollten gestrichen werden – gescheitert war. 

Der Vorvorgänger, der Altkonservative Michel Barnier, ebenfalls 74, brachte es nur auf drei Monate, bevor die Linke und die extreme Rechte im Parlament gemeinsame Sache gemacht hatten und ihn, wie seinen Nachfolger jetzt, dorthin zurückgeschickt hatten, wo er herkam. Die ältere Generation der Franzosen denkt dieser Tage zwangsläufig an die Zeiten der Vierten Republik, als die verschiedenen Regierungen manchmal nur ein paar Wochen hielten. Bis General De Gaulle zurückkam, dem Land eine neue Verfassung verpasste und die Fünfte Republik einläutete. 

Nun, 2025, also Lecornu – «l'inconnu», wie böse Zungen angemerkt haben, denn der von der traditionellen Rechten 2017 zu Macron Übergelaufene war in der Öffentlichkeit so diskret geblieben, dass kaum jemand wahrgenommen hatte, wie er sich seit 2017 regelmässig in einem Ministersessel niederlassen durfte. Regierungsumbildungen und neue Premierminister hin oder her, Lecornu blieb als enger Vertrauter Macrons in allen Kabinetten, zuletzt immerhin als Verteidigungsminister. 

Dass Macron nun ausgerechnet einen der allerletzten Getreuen aus der Generation von jungen Sprösslingen der französischen Elite aus der Zeit seines Wahlsiegs 2017 zum Premierminister ernannt hat, zeigt, wie dünn die politische Personaldecke um ihn herum geworden ist. 

Wahlergebnis von 2024 ignoriert

Gleichzeitig setzt Macron ein drittes Mal fort, was er seit den Parlamentswahlen 2024 bereits zwei Mal getan hatte: Er ernennt einen Premierminister, der als Konservativer dem Ergebnis der Parlamentswahlen von 2024 erneut einfach nicht entspricht. 

Macrons Partei hatte bei diesen Wahlen Dutzende Sitze eingebüsst und war der klare Verlierer. Mit den Abgeordneten zweier Mitte-Rechts-Parteien kam man gerade noch auf 150 Sitze. Zählt man die nur noch 47 Sitze der traditionellen Rechten hinzu, schaffte man es auf knapp 200 – weit entfernt von einer Mehrheit, die bei 289 liegt. 

Die drei Linksparteien hatten zusammen aber 215 und damit mehr Sitze erobert. Doch Macron tat und tut weiterhin so, als spiele das überhaupt keine Rolle und wäre es schlicht undenkbar, beispielsweise einen Sozialisten als Regierungschef zu ernennen und ihn mit der Regierungsbildung zu beauftragen. 

Selbst Konservative üben Kritik

Jacques Toubon, ein eher konservativer Politiker der alten Schule, unter Präsident Chirac einst Kultur- und später Justizminister, brachte es dieser Tage so auf den Punkt:

«Macron ist von einer Minderheit gewählt worden, er ist weiterhin in der Minderheit, tut aber ständig so, als wäre das nicht der Fall.» 

Ein anderer, Alain Minc, seines Zeichens Ökonom, Essayist und Unternehmer, ist einer, der seit François Mitterrand so ziemlich alle französischen Präsidenten, ob links oder rechts, beraten hat und über eine diskrete Hintertür stets direkten Zugang zum Élysée hatte. Selbiger Alain Minc sagte dieser Tage, dass er mit Präsident Macron nicht mehr rede. Auf die Frage warum kam die Antwort: « À cause de son imbécillité politique», also auf Grund seiner politischen Dummheit. Ein Alain Minc, der so etwas öffentlich sagt, das lässt aufhorchen und ist ein weiteres Zeugnis für den tiefen Fall des Emmanuel Macron, spätestens seit Beginn seiner zweiten Amtszeit im Mai 2022. 

Macron hatte sich damals den Luxus erlaubt, so gut wie gar keinen Wahlkampf zu machen, so als wäre es selbstverständlich, dass er wiedergewählt wird. War dann auch so, nur dass die Kandidatin der extremen Rechten gegenüber dem Ergebnis von 2017 um satte acht Punkte zugelegt hatte und in der Stichwahl auf 41 Prozent gekommen war! 

Und alle Analysen zeigten damals, dass Macron 2022 überhaupt nur wiedergewählt wurde, weil sich Millionen linker Wähler noch einmal die Nase zugehalten und in der Stichwahl für ihn gestimmt hatten, einzig und allein um Marine Le Pen den Weg in den Élyséepalast zu verbauen. Dieser Tatsache hat Macron, entgegen aller verbalen Beteuerungen, bis zum heutigen Tag nirgendwo Rechnung getragen.

Ganz entscheidend für die derzeitige Untergangsstimmung und die politische Krise im Land – manche sprechen von einer Regimekrise – ist, dass Emmanuel Macron spätestens seit der Wiederwahl ohne Wahlkampf 2022 darauf verzichtet hatte, den Französinnen und Franzosen zu sagen, was er eigentlich vorhat, wie sein Projekt für Frankreich bis zum Jahr 2027 aussieht, kurzum: Wohin der Weg führen soll. 

Von Emmanuel Macron, dem gerade mal 37-jährigen Strahlemann, der Frankreich im TGV-Tempo erobert hatte, ist schlicht nichts mehr übriggeblieben. «Revolution» hatte er 2016 sein Wahlkampfbuch betitelt und versprochen, nun würden wirklich die Links-rechts-Gegensätze verschwinden, das Regieren im Zentrum sei möglich, er könne mit Links genauso wie mit Rechts etc. etc. Aus heutiger Sicht darf man ungeniert sagen: «Parole, parole, sempre parole.»

Rechtsrutsch

Heute muss Macron, dem innenpolitisch alle Hände gebunden sind, es zulassen, dass der von ihm ernannte Innenminister Bruno Retailleau sich austoben kann mit Äusserungen, die sich so gut wie gar nicht mehr von denen des rechtsextremen Rassemblement National unterscheiden, wenn es um die innere Sicherheit, die kulturelle Hohheit der Konservativen oder um das Thema Immigration geht. Gleichzeitig ernannte Macron mit Gerald Darmanin einen strammen Rechten zum Justizminister in einer Zeit, in der Richter und die Justiz auch in Frankreich immer stärker unter Beschuss geraten, sich vehementen öffentlichen Angriffen, auch seitens der Politik, erwehren müssen. 

Man nehme nur das Beispiel des ehemaligen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy oder der Chefin des rechtsextremen Rassemblement National, Marine Le Pen, die nach den Strafanträgen beziehungsweise der Urteilsverkündung in ihren jeweiligen Prozessen alle Masken fallen liessen und Richter und Justiz heftig angegriffen haben. 

Was bleibt für Macron innenpolitisch noch zu tun in den zwanzig langen Monaten bis zum Ende seiner zweiten und letzten Amtszeit? Im Land selbst ist er schlicht und einfach eine lahme Ente geworden.

Er, der in die Geschichte eingehen wollte, hat sich mit der unsinnigen, von niemandem verstandenen Parlamentsauflösung im Juni 2024 ins eigene Bein geschossen. Sein politisches Lager hatte die darauf folgende Parlamentswahl krachend verloren, so dass sich in der Nationalversammlung nun definitiv drei etwa gleich starke politische Kräfte (Links, Mitte-rechts und extrem Rechts) gegenüberstehen. Das rechtsextreme Rassemblement National von Marine Le Pen avancierte dort zur stärksten Partei. Gleichzeitig verfügte die Linke mit ihrem vagen Vierparteien-Wahlbündnis über die meisten Stimmen. Die Logik der Verfassung der Fünften Republik hätte eigentlich verlangt, dass Präsident Macron diesem Ergebnis Rechnung trägt und einen Premierminister aus den Reihen der Linken ernennt. Doch nichts dergleichen geschah. 

Mit Michel Barnier nominierte Macron nach dieser Wahl ausgerechnet einen Mann der alten Schule zum Premierminister, einen Vertreter der traditionellen konservativen Partei «Les Republicains», einst die Partei von Chirac und Sarkozy, die inzwischen nicht mal mehr über 50 Abgeordnete verfügt in einem Parlament mit 577 Sitzen. Im Grunde eine Provokation.

Mit Barniers Nachfolger, François Bayrou, seit Jahrzehnten der Mann, der das politische Zentrum verkörpert, hatte Macron keine glücklichere Hand. In den Monaten, in denen der Zentrist im Amt war, fragte sich angesichts seiner Ideenlosigkeit und seiner Passivität das ganze Land, warum dieser Mann unbedingt hatte Premierminister werden wollen. Zu keiner Zeit konnte er den Eindruck aus der Welt schaffen, dass er im Chaos schwimmt, ihm alles über den Kopf wächst und er alles andere als Herr der Lage ist. 

Lecornu noch immer ohne Regierung

Und nun Sebastien Lecornu. Seit zwei Wochen ist er bereits im Amt, hat aber immer noch keine Regierung auf die Beine stellen können. Langsam kommt das Gefühl auf, als sei es eigentlich egal, ob es eine Regierung gibt oder nicht. Und so mancher witzelt über die Situation mit dem Satz: So lange es keine Regierung gibt, kann sie zumindest nicht gestürzt werden. Auch dies ein Ausdruck für die Stimmung im Land. 

Und schon schiessen die Spekulationen ins Kraut, wie lange eine Regierung Lecornu Bestand haben könnte. Schliesslich muss der Premier eigentlich bis 19. Oktober einen Haushaltsentwurf vorlegen, der eine Mehrheit im Parlament finden könnte. Wie das gelingen soll, steht in den Sternen. 

Inzwischen haben über 80 Prozent der Franzosen von ihrem Präsidenten eine schlechte Meinung. 70 Prozent sagen sogar, sie könnten ihn schlicht nicht mehr ertragen und wollten ihn nicht mehr sehen. Zwei Drittel wünschen, dass er zurücktritt und sein Mandat nicht bis 2027 ausübt. Doch Macron wird das mit Sicherheit nicht tun. 

Am Ende seiner zweiten Amtszeit wird man auf fünf Jahre zurückblicken, in denen eine Regierung der anderen die Klinke in die Hand gegeben hat und in denen im Grunde so gut wie nichts vorangegangen ist – Jahre, in denen schlecht und recht verwaltet, aber keine Politik mehr gemacht wurde. 

Macron wird dann das Ganze ausgesessen haben, fast drei Jahre lang im Élyséepalast verbarrikadiert, verlassen von fast allen früheren Weggefährten und bis zum Ende von Millionen Franzosen regelrecht gehasst, wie kein einziger seiner Vorgänger.

Letzte Artikel

Der Papst und der Patriarch von Istanbul in Nizäa – Nur der Kaiser fehlte

Erwin Koller 4. Dezember 2025

EU berechenbarer als USA

Martin Gollmer 4. Dezember 2025

Dröhnendes Schweigen um Venezuela

Erich Gysling 1. Dezember 2025

Spiegel der Gesellschaft im Wandel

Werner Seitz 1. Dezember 2025

Bücher zu Weihnachten

1. Dezember 2025

Nichts Dringlicheres als die Rente?

Stephan Wehowsky 1. Dezember 2025

Newsletter abonnieren

Abonnieren Sie den kostenlosen Newsletter!

Abonnieren Sie den kostenlosen Newsletter!

Zurück zur Startseite
Journal 21 Logo

Journal 21
Journalistischer Mehrwert

  • Kontakt
  • Datenschutz
  • Impressum
  • Newsletter
To top

© Journal21, 2021. Alle Rechte vorbehalten. Erstellt mit PRIMER - powered by Drupal.