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Gaza-Friedensplan

«Was für eine Waffenruhe ist das?»

30. Oktober 2025
Ignaz Staub
Ignaz Staub
Gaza
Nach dem Luftschlag im Flüchtlingscamp Al Shatea in Gaza City am 29. Oktober 2025 (Keystone/EPA/Mohammed Saber)

Der Waffenstillstand in Gaza ist nach wie vor fragil. Beide Kriegsparteien beschuldigen sich gegenseitig, ihn zu brechen. Israel wirft der Hamas vor, die Überführung toter Geiseln mutwillig zu verzögern, während die israelische Luftwaffe weiterhin Angriffe auf Ziele im Küstenstreifen fliegt. Was bleibt: Palästinenserinnen und Palästinenser sterben – im Schnitt fast 20 pro Tag.

Die letzten schweren Luftangriffe der israelischen Armee (IDF) auf Gaza begannen am Dienstagabend und endeten 14 Stunden später am Mittwochmorgen um zehn. Der lokalen Gesundheitsbehörde zufolge töteten die Attacken der IDF 104 Menschen, unter ihnen 20 Frauen und 46 Kinder, und verwundeten 253 Personen. (siehe: https://www.journal21.ch/artikel/ist-trumps-gaza-plan-schon-gescheitert)

Mohammed Abu Selmia, Direktor des Al-Shifa-Spitals in Gaza City, teilte am Mittwoch mit, 45 Menschen einschliesslich 20 Kinder befänden sich noch in kritischem Zustand. Israels Verteidigungsminister Israel Katz liess verlauten, unter den Getöteten befänden sich «Dutzende von Hamas-Kommandanten».

Das Al-Awda-Spital im Zentrum Gazas indes berichtete, es seien 30 Leichen in die Klinik eingeliefert worden, die Hälfte unter ihnen jene von Kindern. Derweil wurden laut Kinderarzt Ahmad al-Farra die Leichen von 13 Kindern jünger als 15 Jahre und weitere 15 verwundete Kinder ins Nasser-Spital in Khan Younis gebracht.

Die Gewalt dauert an 

Israel hatte am 19. Oktober die Waffenruhe ein erstes Mal gebrochen, als die IDF während Stunden Luftangriffe flog, die 44 Menschen töteten. Doch die Gewalt, berichten Menschen in Gaza, habe auch zwischen den beiden grossen Luftschlägen nicht aufgehört, nachdem der Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas am 10. Oktober in Kraft getreten war. 

Jedenfalls gab es täglich Berichte von Panzerfeuer, Schiessereien und Drohnenangriffen auf Menschen, die sich etwa über die gelbe Linie oder in deren Nähe verirrten, welche die Grenze zu jenem Gebiet im Osten Gazas markiert, auf das sich die israelische Armee zurückgezogen hat. Der lokalen Behörde in Gaza zufolge hatte die IDF seit Beginn der Waffenruhe vor den Angriffen vom Mittwoch 107 Palästinenserinnen und Palästinenser getötet. 

«Kämpfen Kinder im Krieg?»  

«Was für eine Waffenruhe ist das?», fragte Amna Qrinawi, eine überlebende Palästinenserin aus einem Lager in der Nähe des Al-Awda-Spitals. Yeyha Eid, der bei den Luftschlägen seinen Bruder und Neffen verloren hatte, erzählte, die Attacken seien ohne Vorwarnung erfolgt. «Was ist der Grund dafür? Das sind Kinder, die getötet worden sind», sagte er: «Was haben sie Falsches getan? Haben sie im Krieg gekämpft?»

Die israelische Armee teilte am Mittwoch mit, sie habe 30 Terroristen angegriffen, die Kommando-Ränge innerhalb terroristischer Organisationen in Gaza innegehabt hätten. Die IDF werde sich aber weiter an das Waffenstillstandsabkommen halten, auf jede Verletzung aber «entschlossen antworten».

Umstrittene Übergabe von Geiseln

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte tags zuvor «mächtige Luftschläge» befohlen und die Hamas angeklagt, sie würde die Waffenruhe verletzen, weil sie die Übergabe toter Geiseln entweder verzögere oder in einem Fall, von einer Drohne dokumentiert, vorgetäuscht habe. Der Premier nannte den Transfer von Teilen einer Leiche, die Israel bereits früher geborgen hatte, einen «klaren Bruch» des Waffenstillstandsabkommens. 

Ausserdem griffen Bewaffnete am Dienstag im Süden Gazas Truppen der IDF an und töteten einen Soldaten. Die Hamas dementierte eine Beteiligung ihrer Kämpfer am Angriff in Rafah und hielt fest, sie halte die Waffenruhe ein und tue ihr Möglichstes, um unter aufgrund der Zerstörung erschwerten Bedingungen die Leichen jener Geiseln zurückzugeben, die sie beim Massaker am 7. Oktober 2023 ins Gebiet verschleppt hatte. Noch befinden sich die sterblichen Überreste von 13 getöteten Israelis in Gaza.

Angriffe auch im Westjordanland

Israel seinerseits hält noch die Leichen Hunderter Menschen aus Gaza zurück. Die Mehrheit der sterblichen Überreste, die bisher übergeben worden sind, blieben unidentifiziert, während etliche unter ihnen Spuren von Folter oder Hinrichtungen trugen. Bisher hat Israel die Leichen von 195 Palästinenserinnen und Palästinensern nach Gaza transferiert. 45 unbekannte Leichen sind Anfang Woche in einem Massengrab in Deir al-Balah beigesetzt worden. 

Ebenfalls am Montag griff die IDF mit einer Eliteeinheit im Westjordanland das Dorf Kufr Qoud westlich von Dschenin an und tötete dort drei Widerstandskämpfer, deren Leichen sie zurückhielt. Gleichzeitig haben seit Beginn der Olivenernte am 9. Oktober jüdische Siedler in der West Bank ungestraft mehr als 100 Menschen verletzt und in 50 Dörfern Tausende von Olivenbäumen beschädigt.

Donald Trump hinter Israel 

US-Präsident Donald Trump, unterwegs nach Südkorea, sagte am Mittwoch an Bord von Air Force One, er unterstütze Israels Luftangriffe in Gaza. Israel solle zurückschlagen, wenn seine Soldaten getötet würden. Nichts aber werde die Waffenruhe gefährden, die Teil des Friedensplans ist, den er vorgeschlagen hat: «Die Hamas ist ein äusserst kleines Stück des Friedens im Nahen Osten und sie muss sich benehmen.» Falls sie das nicht tue, so Trump weiter, werde sie ausgelöscht.

Währenddessen äusserte Israels Verteidigungsminister Katz, was sich wie eine Drohung an die Adresse der Hamas-Führung ausserhalb Gazas anhört: «Es gibt und wird keine Immunität für irgendjemanden in der Führung der Terrororganisation Hamas geben – weder für jene in Anzügen noch für jene, die sich in den Tunnels verstecken.» Die IDF sei angewiesen worden, entschlossen gegen jedes Hamas-Ziel vorzugehen und das werde sie künftig auch tun.

Schwierige Lebensumstände

Inzwischen sollen rund 470’000 Palästinenserinnen und Palästinenser in den Norden Gazas zurückgekehrt sein. Die Versorgungslage und die Lebensumstände dort sind prekär, denn Israel schränkt nach wie vor den Import von Zelten, Mobilheimen und anderen essenziellen Waren ein. Auch sind Lebensmittel, sauberes Wasser und dringend benötigte Medikamente noch nicht in genügendem Ausmass vorhanden. 

Dem Waffenstillstandsabkommen zufolge sollten täglich 600 Lastwagen nach Gaza fahren können, doch was sie bringen, reicht nicht aus. «Es ist nicht genug», sagt Unicef-Sprecherin Tess Ingram, deren Organisation die Zahl der importierten Palette verdoppelt hat: «Wir wollen noch mehr als das hineinbringen. Wir haben die Kapazität, höhere Hilfsvolumen zu liefern.»

Viele Waren zu teuer

Uno-Daten zufolge, die Hilfslieferungen nicht erfassen, die von Staaten direkt oder von Privaten nach Gaza transportiert werden, haben während der Waffenruhe bisher im Schnitt nie mehr als 200 Lastwagen von Hilfsorganisationen die Grenze passiert. COGAT, jene Behörde der israelischen Armee, die den Fluss der Hilfe nach Gaza kontrolliert, gibt keine täglichen Statistiken bekannt. Ein Communiqué vom vergangenen Freitag teilte mit, «Hunderte von Lastwagen, die Lebensmittel, Wasser, Benzin, Gas, Medikamente, medizinisches Gerät, Zelte und Notunterkünfte transportieren, fahren täglich in den Gazastreifen».

Ein Problem dabei bleibt, dass sich die Menschen in Gaza viele der importierten Waren, die zwar billiger geworden und auf Märkten zu kaufen sind, nicht leisten können, und die erhältlichen Lebensmittel nicht nahrhaft genug sind. Israel erlaube Händlern Produkte wie Biskuits, Schokolade oder Sodawasser zu importieren, sagt Bahha Zaqout, Sprecher einer palästinensischen Hilfsorganisation. Dies jedoch zu einer Zeit, da viele Menschen in Gaza unter Hunger und Unterernährung litten: «Wir brauchen überlebensnotwendige Ware.»

Hilfsgesuche abgelehnt

Wobei ein neues Registrierungssystem seitens von Israel die Lieferung ausländischer Hilfe erschwert. Hilfsorganisationen müssen neu ihre Mitarbeiter in Gaza registrieren lassen, was vermeiden soll, dass allenfalls Mitglieder der Hamas Waren verteilen. Einige Organisationen haben sich denn geweigert, das zu tun, um ihre lokalen Mitarbeitenden nicht zu gefährden. 

Vergangene Woche teilten 41 internationale Hilfsorganisationen einschliesslich Médecins Sans Frontières und Oxfam mit, seit Beginn der Waffenruhe seien 99 ihrer Gesuche, Hilfe nach Gaza zu liefern, von Israel abgelehnt worden – angeblich aufgrund des neuen Systems. So sind denn 50 Tonnen Hilfsgüter, inklusive Zelte, Nahrung, Kleider, Bettwaren und Hygiene-Produkte, nicht bei notleidende Menschen im Küstenstreifen angekommen.

Quellen: AP, New York Times, Washington Post, The Guardian, Zeteo

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