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Gaza

Ist Trumps Gaza-Plan schon gescheitert?

29. Oktober 2025
Reinhard Schulze
Gaza
Wieder Tote: Gaza-City am Mittwoch (Keystone/EPA/Mohammed Saber)

Östlich der sogenannten «gelben Linie» am Rande des Rückzugsgebietes gerieten israelische Soldaten erneut unter Beschuss: Palästinensische Kämpfer griffen mit Gewehren und Panzerabwehrgranaten an, ein Scharfschütze eröffnete das Feuer. Die Antwort Jerusalems folgte prompt – Luftangriffe trafen Stellungen der Hamas vor allem in Gaza-Stadt. 

Nach Berichten internationaler Beobachter und humanitärer Organisationen kamen binnen zwei Tagen mindestens 46 Menschen ums Leben, über 170 werden verletzt. Dies war die zweite Eskalation nach dem Bruch des Waffenstillstands am 19. Oktober. Damals hatte es Trump geschafft, Netanjahu von weitreichenden militärischen Reaktionen abzuhalten. Auch diesmal hat Netanjahu verkünden lassen, dass Israel den Waffenstillstand wieder achten werde. Dennoch argwöhnen nicht wenige Beobachter, dass diese Auseinandersetzungen der Anfang des Endes von Trumps Gaza-Plan darstellten.

Trumps Gaza-Plan und die Grenzen amerikanischer Ordnungspolitik

Kaum ein politisches Projekt der Gegenwart steht so exemplarisch für den Versuch, Machtpolitik mit moralischem Anspruch zu verbinden, wie der Gaza-Plan, den Präsident Trump zur Chefsache erklärt hat. Der Plan will nicht weniger, als die seit Jahrzehnten blockierte Konfliktordnung im Nahen Osten neu justieren. Er ist das Produkt internationaler Initiativen, diplomatischer Pragmatik und persönlicher Ambition – und damit zugleich ein Selbstversuch amerikanischer Weltpolitik.

Ein Projekt unter Beobachtung

In der Aussenpolitik gilt seit jeher der Grundsatz, dass das Gelingen einer Initiative untrennbar an die Glaubwürdigkeit ihres Initiators gebunden ist. Im Fall des Gaza-Plans ist diese Bindung besonders eng. Trump, der das Projekt persönlich vorantreibt, hat es mit seinem politischen Kapital aufgeladen. Das bedeutet: Ein Scheitern wäre nicht nur eine Niederlage für Washingtons Nahoststrategie, sondern ein persönlicher Rückschlag für den Präsidenten selbst.

Dass der Plan in den Vereinigten Staaten wie international kontrovers diskutiert wird, liegt nicht allein an seinem Inhalt, sondern an seiner Symbolkraft. Für die einen ist er Ausdruck eines erneuten amerikanischen Anspruchs, globale Ordnung zu definieren. Für andere dokumentiert er das Gegenteil – eine Politik der Einbindung, die durch Rücksichtnahme auf regionale Machthaber Kompromisse sucht, wo früher Dominanz galt. Zwischen diesen Deutungen liegt das Spannungsfeld, in dem sich die amerikanische Nahostpolitik seit Jahrzehnten bewegt.

Zwischen Entwaffnung und Exilierung

Kernstück des Plans ist der Versuch, die Hamas zu entwaffnen und zugleich neue politische Strukturen im Gazastreifen zu etablieren. Das klingt technisch, ist aber strategisch riskant. Denn die Hamas ist keine ideologisch einheitliche Organisation, sondern ein komplexes Gebilde aus politischen, militärischen und sozialen Netzwerken, deren Legitimität sich aus einem Katalog an Loyalitäten speist. Ihre Macht beruht nicht nur auf Waffen, sondern auf Sozialkapital.

Wer die Hamas entwaffnen will, muss diesen Rückhalt schwächen – und das gelingt nicht allein mit militärischen Mitteln. Nicht wenige ziehen hier Parallelen zu Nordirland, aber auch zu lateinamerikanischen Entwaffnungsinitiativen, bei denen paramilitärische Gruppen nur dann demobilisiert werden konnten, wenn zugleich eine glaubwürdige politische Alternative entstand. Übertragen auf Gaza heisst das: Ohne den Wiederaufbau funktionierender Institutionen bleibt jede militärische Lösung brüchig.

Der Gaza-Plan sieht daher vor, die Entwaffnung mit einer Exilierung führender Hamas-Kader zu verknüpfen und eine gesamtgesellschaftliche Repräsentationsordnung zu schaffen. Diese Kombination aus sicherheitspolitischer Kontrolle und institutioneller Erneuerung soll langfristig eine neue politische Realität schaffen. Doch die Umsetzung stockt. Bislang haben die militärischen Operationen lediglich dazu geführt, dass die Hamas ihre strategischen Positionen neu definiert. Von einem substanziellen Fortschritt kann keine Rede sein.

Die zweite Phase als Bewährungsprobe

Laut Plan soll erst die zweite Phase – die Einrichtung einer internationalen Sicherungstruppe – den entscheidenden Durchbruch bringen. Sie ist Voraussetzung für die vollständige Entwaffnung und den Beginn eines zivilen Wiederaufbaus. Doch genau dieser Übergang ist politisch fragil. Die Hamas verknüpft jede Konzession an eine internationale Kontrolle mit dem Erhalt eines Restgewaltmonopols, das sie als Ausdruck «nationaler Selbstbestimmung» bezeichnet. Damit bleibt der Waffenstillstand unter Vorbehalt, die Friedensarchitektur prekär.

Trump versucht, dieses Misstrauen durch eine Reihe flankierender Initiativen zu kompensieren. Katar und die Türkei, als Anwälte der Hamas, sollen mit ökonomischen Zugeständnissen zu einer moderierenden Rolle bewegt werden. Zugleich drängen viele auf eine stärkere europäische Beteiligung, um die internationale Legitimation des Prozesses zu erhöhen. Doch in den Hauptstädten Europas überwiegt bisher Skepsis. Zu oft endeten westliche Befriedungsversuche im Nahen Osten in neuen Abhängigkeiten oder unkontrollierbaren Dynamiken.

Die asymmetrische Realität des Gazastreifens

Ein weiteres Problem liegt in der Wirklichkeit der Hamas selbst. Ihre militärischen Kommandanten können längst nicht mehr über alle Milizen im Gazastreifen verfügen. Ein Geflecht rivalisierender Fraktionen, teils religiös radikaler als die Hamas-Führung, entzieht sich jeder zentralen Kontrolle. Dadurch kann die Organisation Angriffe als spontane Reaktionen des «palästinensischen Volks» deklarieren und sich gleichzeitig davon distanzieren. Für den Friedensprozess bedeutet das eine systematische Undurchsichtigkeit, die jede Rechenschaftslogik unterläuft.

Noch gravierender ist die moralische Dimension: Die Hamas verzögert bislang die Übergabe der Leichen getöteter israelischer Geiseln und camoufliert die Übergabe geborgener Toter, um zu verschleiern, dass sie keine sicheren Informationen über den Verbleib der Getöteten hat. Statt durch möglichst grosse Transparenz das Auffinden der menschlichen Überreste zu ermöglichen, inszeniert sie vermeintliche Funde. Solange hier kein Fortschritt erzielt wird, dürfte Israel nicht bereit sein, sich auf Dauer an eine Waffenruhe zu binden. Sollte Jerusalem die Geduld verlieren und militärisch erneut eingreifen, käme der Gaza-Plan zum Erliegen, noch bevor seine politische Substanz erprobt werden könnte.

Eine Wette auf Kontrolle

In Wirklichkeit steht der Gaza-Plan für eine Wette: auf die Steuerbarkeit politischer Gewalt durch diplomatische Instrumente. Diese Wette ist riskant, aber nicht aussichtslos. Erfolg hätte sie nur, wenn internationale Akteure neben dem Sicherheitsaspekt auch eine glaubwürdige Perspektive für wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufbau bieten. Doch genau daran mangelt es. Die Bevölkerung des Gazastreifens sieht bislang vor allem Zerstörung, nicht Zukunft.

Für Trump persönlich ist der Plan dennoch von strategischem Wert. Er erlaubt es ihm, aussenpolitische Gestaltungskraft zu demonstrieren – in einer Region, in der die Vereinigten Staaten ihre Deutungshoheit in den vergangenen Jahren zunehmend eingebüsst haben. Dass sein Erfolg keineswegs garantiert ist, macht den Plan politisch nur umso bedeutender. Denn gerade im Scheitern solcher Projekte spiegelt sich die zentrale Paradoxie amerikanischer Weltpolitik: der Glaube, Stabilität durch Intervention herstellen zu können.

Ausblick

Ob der Gaza-Plan mehr sein wird als ein diplomatisches Manöver, hängt letztlich von einem Faktor ab, den keine Macht vollständig kontrollieren kann: Vertrauen. Die Region lebt von Misstrauen, sie reproduziert es täglich. Trump versucht, diesem Muster eine Logik der Berechenbarkeit entgegenzusetzen, die er mit seiner Person verknüpft. Doch bleibt der Plan – trotz aller Verhandlungserfolge – ein Versuch auf unsicherem Terrain.

Er steht damit in der langen Reihe jener Versuche, den Nahen Osten durch Verträge zu befrieden, die auf militärischer Disziplinierung und politischer Hoffnung zugleich beruhen. Das hat noch nie leicht zusammengepasst. Aber es ist möglich, dass dieser Plan – gerade weil er den Widerspruch nicht leugnet – eine Chance bietet, wo andere gescheitert sind.

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