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Kommentar21

Vorbild Deutschland?

2. September 2015
Urs Meier
Die Zahl der Flüchtlinge, die nach Europa hereindrängen, wächst massiv. Deutschland heisst sie willkommen.

Die Bilder vom randalierenden rechten Pöbel und seinen Mitläufern im sächsischen Heidenau sind schon fast vergessen. An ihre Stelle sind die Berichte vom Münchener Hauptbahnhof gerückt. Sie zeigen freundliches Willkommen für die zu Tausenden ankommenden Flüchtlinge und eindrückliche spontane Hilfe aus der Bevölkerung. Die Zivilgesellschaft funktioniert. Menschen reagieren aktiv, rasch und mit praktischem Sinn auf die massenhafte Not der Gestrandeten.

Die beschämenden Ausschreitungen gegen Flüchtlingsunterkünfte waren nicht Auslöser, sondern Verstärker der Solidarität. Gefördert wurde die Woge der Empathie auch von den Medien, die in breiter Phalanx gegen Hetzer auftraten und wild kursierende Falschinformationen richtigstellten; sogar die Bild-Zeitung machte mit und unterschied sich vorteilhaft etwa von der englischen Boulevardpresse, die auch bei diesem Thema nur das Prinzip des maximalen Krawalls kennt.

Deutschland ist in Europa das bevorzugte Zielland der Fliehenden und es übernimmt den Löwenanteil der gewaltigen Zunahme des ersten Halbjahrs 2015. In Hochrechnungen wird geschätzt, dass es in Deutschland in diesem Jahr bis zu 800'000, eventuell bis zu einer Million neu zugewanderte Asylsuchende werden könnte.  - Im Vorjahr waren es 170’000. Eine Herkulesaufgabe auch für ein so reiches und wohlorganisiertes Land! Die Kanzlerin macht Mut: «Wir schaffen das.» Richtigerweise zieht sie aber auch Grenzen, indem sie erklärt, nur wer in Not sei, werde bleiben können.

Ob die positive Einstellung zu den Zuzügern den Stress der wachsenden Zahlen und der unvermeidlichen Reibungen auf Dauer überstehen wird? Schweden, das in Europa relativ zur Bevölkerung das weitaus grösste Flüchtlingskontingent beherbergt, leidet unter wachsenden Problemen mit der Akzeptanz. Die rechtsnationalen Schwedendemokraten schlagen kräftig politischen Profit aus dem Asylthema und verändern das gesellschaftliche Klima des traditionell offenen Landes.

Deutschland steht vor einer Gratwanderung. Gelingt sie, so wird es möglicherweise zum Vorreiter eines menschenwürdigen und realistischen Umgangs mit dem heraufziehenden Jahrhundertproblem dieses Kontinents.

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