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Minder-Initiative

Volkes Stimme

4. März 2013
René Zeyer
Da schaffte es die Schweiz mal wieder auf Seite eins der Weltpresse. Nachahmenswert, heucheln Politiker allerorten.

Wir werden sehen, welche konkreten Auswirkungen die Annahme der Abzocker-Initiative haben wird. Die «Süddeutsche Zeitung» brachte das wichtigste Ergebnis der Abstimmung auf den Punkt: «Über Abzocker in Nadelstreifen würden auch Deutsche, Franzosen oder Briten liebend gerne mal höchstpersönlich den Daumen senken.» Nicht nur darüber, muss hinzugefügt werden.

Das Demokratie-Problem

Man kann Wirtschaftspolitik gegen die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung machen. Man kann bewirken, dass die Arbeitslosigkeit in den Himmel steigt, die wirtschaftliche Leistungskraft in die Hölle sinkt. Man kann durch das Herstellen von Neugeld im Billionenbereich den Zahltag von morgen auf übermorgen verschieben.

Man kann fundamentale Entscheidungen in demokratisch völlig unlegitimierte Dunkelkammern wie den Europäischen Stabilitätsmechanismus auslagern. Man kann auch mehr oder weniger staatsmännisch den Kopf schütteln, dass Griechen, Italiener, Finnen und auch Franzosen «Populisten» oder gar «Clowns» wählen. Aber man kann das alles nicht tun, ohne die Demokratie aus den Angeln zu heben.

Vorbild Schweiz

Natürlich labt es die Schweizer Volksseele, dass die Eidgenossen für ein Mal nicht wegen auf Banken gehortetem Schwarzgeld, angeblicher Rosinenpickerei oder Abseitsstehen beim vermeintlichen Bau des europäischen Hauses in den Schlagzeilen sind. Und auch nicht wegen putziger Langsamkeit, Kompromisswahn und Ausgleichsliebe. Aber wird der entscheidende Punkt wirklich von den Medien und den Politikern ausserhalb der Schweiz zur Kenntnis genommen?

Er lautet ganz einfach: In der Schweiz wird abgestimmt. Nicht alle vier oder sechs Jahre über die Zusammensetzung der Volksvertretung. Sondern auch über Sachfragen. Und zwar ständig und überall. Über den Beitritt zum EWR, über Minarette und über Abzocker. Das ist vorbildlich, und das ist in Europa ziemlich einzigartig.

Nicht kleinreden

Natürlich wird das Ergebnis der Volksabstimmung nun innerhalb und ausserhalb der Schweiz kleingeredet. Nutzt es was, sind die Auswirkungen schädlich, ändert es was an vom Leistungsausweis völlig abgekoppelten Gehältern von leitenden Angestellten in Aktiengesellschaften? Alles bedenkenswert, geht aber alles am entscheidenden Punkt vorbei. Man kann ihn nicht oft genug wiederholen: In der Schweiz wird auch über komplizierte Sachfragen abgestimmt. Volkes Stimme kann nicht nur grummeln, sondern schlicht und einfach Ja oder Nein sagen. Deshalb hat die Schweiz relativ gute Chancen, das aktuelle Schlamassel zu überstehen. Die Eurozone nicht.

Die Krise der Demokratie

So wie es in der Wirtschaft einen «point of no return» gibt, von einem gewissen Moment an alle möglichen Handelsalternativen unter dem Begriff Desaster zusammengefasst werden können, so gibt es einen Punkt ohne Umkehr auch in der Politik, in der Demokratie.

Dabei spielt es überhaupt keine Rolle mehr, ob wirtschaftlich «das Schlimmste überstanden ist», wie Europolitiker nicht müde werden zu wiederholen. Oder ob nur Staatsbankrotte und eine Rückkehr zu den Nationalwährungen der einzige Ausweg ist. Was es auch sein wird, in Europa, mit Ausnahme der Schweiz, wird das innerhalb der existierenden politischen Systeme nicht vonstatten gehen.

Reine Heuchelei

All die Politiker, die nun das Beispiel Schweiz als nachahmenswert bezeichnen und auf Versuche der EU hinweisen, ebenfalls Obergrenzen für Boni einzuführen, sind nicht nur Heuchler, sondern leiden unter galoppierendem Realitätsverlust. Die gleichen Politiker liessen Volksabstimmungen über so etwas Fundamentales wie die EU-Verfassung solange wiederholen, bis ihnen das Ergebnis passte. Die gleichen Politiker fürchten inzwischen selbst Parlamentswahlen wie der Teufel das Weihwasser.

Sie fürchten jede Gelegenheit, bei der sich Volkes Stimme, der sogenannte «Wutbürger», per Wahlzettel äussern kann. Zu Recht. Denn indem sie Europas Völkern jede Mitbestimmung beim «Aufbau des europäischen Hauses» verweigern, machen sie sie zu Untertanen. Und Untertanen äussern ihre Missbilligung anders als Staatsbürger, die sich von ihren Regierungen als demokratisch vertreten empfinden. Die über ihr Schicksal mitbestimmen können.

Unregierbar

Griechenland ist faktisch unregierbar, fundamentale Entscheidungen werden bereits von der berüchtigten Troika gefällt, nicht mehr in Athen. Italien ist faktisch unregierbar. Spanien, Portugal sind faktisch unregierbar. Frankreich nähert sich der Unregierbarkeit. Bleibt noch Zahlmeister Deutschland.

Der deutsche Michel hat in der Geschichte bewiesen, dass er erstaunlich leidensfähig ist. Aber auch mit gleicher Leidensfähigkeit zu Wutausbrüchen und Bluträuschen neigt, bei denen kein Stein auf dem anderen bleibt. Auf diesem Vulkan tanzen inzwischen die Europolitiker, denen nichts ferner liegt, als die Schweiz als Vorbild zu nehmen.

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