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Zwischenruf

Irritierendes aus der Bundespolitik

3. Oktober 2025
Markus Mohler
Markus Mohler
Bundeshausmotto
Keystone/Peter Klaunzer

Ein Nationalrat fordert, das Bundespersonal solle ab 2027 auf drei Prozent der Löhne verzichten. So kämen über vier Jahre zusätzliche 1,5 Milliarden Franken für die Armee zusammen, rechnete der FDP-Mann vor.  Er findet bei 62 Mitunterzeichnern Unterstützung. Das ist in der Tat ein neues Rechnungsmodell.

Dieses könnte man beispielsweise auch auf die eidgenössische Steuerverwaltung ausdehnen, wenn deren Software nach einem Hackerangriff ausfällt, aber die nötigen Mittel für Ersatz oder Reparatur nicht budgetiert sind. Oder auf die Löhne der Lehrpersonen, wenn Toilettenanlagen in einem Schulhaus nach Vandalismus dringend saniert werden müssen, aber die Gemeinde dafür kein Geld hat. 

So ist jedoch das Motto im Bundeshaus wahrlich nicht zu verstehen: Unus pro omnibus, omnes pro uno. Einer für alle, alle für einen.

Weshalb soll allein das Bundespersonal (hier der unus) die vom Parlament dringend benötigten, bisher aber nicht bewilligten Mittel für die Aufrüstung der Armee zugunsten der ganzen Schweiz aufbringen?

Dazu meinte derselbe Nationalrat gemäss Berichterstattung: «Bürokratie wird hauptsächlich beim Bundespersonal gemacht». Was heisst da «hauptsächlich»? In der eben zu Ende gegangenen Herbstsession wurden 500 (fünfhundert!) persönliche Fragen und Vorstösse von Parlamentsmitgliedern eingereicht. Wer «macht» da Bürokratie? Oder erwarten der Nationalrat und seine Mitunterzeichner, dass diese Vorstösse alle von KI, ohne jedes menschliche Zutun, beantwortet werden? Dem ist – bislang mindestens – nicht so. Analog zu diesem Vorstoss könnte man daher die Remuneration der Parlamentsmitglieder um etwa drei bis fünf Prozent kürzen, um die Personalkosten für den von ihnen so verursachten Verwaltungsaufwand zu finanzieren.

Ein Ständerat der gleichen Partei will vom Bundesrat einen Bericht darüber, wie er gedenke, die bestehende Munitionslücke für den Verteidigungsfall zu schliessen. Tags zuvor hat er den Antrag der zwar knappen Mehrheit Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerates, für die Beschaffung von Fliegerabwehrmunition eine Milliarde zu bewilligen, aus finanziellen Gründen abgelehnt. Buchhaltermentalität und Bürokratie über alles, auch wenn die Sicherheit des Landes in der aktuellen Bedrohungslage auf diese Weise bewusst dem Volk vorgegaukelt wird. Sie ist eine Illusion. Wofür ein Bericht, wenn längst feststeht und auch dem Stabsoffizier bekannt sie müsste, dass die Armee derzeit bloss Übungs-, aber keine scharfe Munition auch für die Kurzdistanz Luftabwehr, z.B. gegen Drohnen, hat?

Die Jungfreisinnigen starten eine Volksinitiative zur Schaffung einer «Verwaltungsbremse». Diese Initiative kommt zeitgleich mit dem Beschluss des Bundesparlamentes über die Einführung der Individualbesteuerung. Diese, falls in einem Referendum angenommen, führte zu einer ungefähren Verdoppelung der Steuererklärungen. Wie sollte dieser riesige Mehraufwand ohne Personalvermehrung innert der gesetzlichen Fristen bewältigt werden? Dazu werden merkwürdige Vergleiche angestellt wie etwa mit den Einwohnerzahlen von Thun und Köniz. Was soll das? Dagegen zeigen zwei andere Vergleiche Aussagekräftigeres: Der Bund beschäftigt rund 44'000 Personen. Die hierzulande oft wegen Bürokratie gescholtene EU dagegen zählt rund 60'000 Verwaltungsangehörige einschliesslich Dolmetscher in 26 Sprachen für rund 450 Millionen Einwohner. Oder: Zwischen 2000 (Inkrafttreten der revidierten Bundesverfassung) und 2023 ist die Bevölkerung um 21 Prozent gewachsen, die Zahl der Beschwerden ans Bundesgericht aber um 53 Prozent. Nun zählt das Bundesgericht zwar nicht zur Bundesverwaltung, dennoch zeigen die Zahlen Entwicklungen, welche offenbar in der Politik nicht zur Kenntnis genommen werden. Auch dort muss der nicht selbst verursache Mehraufwand fristgerecht bewältigt werden. 

Die jungen Initianten beklagen die Zunahme des Bundesrechts. Seit 1960 seien rund 240 000 Druckseiten publiziert worden – mehr als ein Drittel davon erst seit 2010. In der Tat, doch hat die Verwaltung diese Rechtsetzungsflut nicht aus eigenem Antrieb bewirkt, sondern ausschliesslich auf Begehren der Bundespolitik. Ein Beleg dafür ist u.a. die ungebremste Freude an persönlichen Vorstössen, die alle etwas bewirken sollen. Und das bedeutet, solange das Legalitätsprinzip gilt, das Schaffen einer Rechtsgrundlage oder die Änderung einer Bestehenden. Also Arbeit – und «Papier», in drei Sprachen.

Hinterher beklagen die Gleichen die zunehmende Regulierungsflut.

Für  Beobachter sind die Inkonsistenzen und Widersprüchlichkeiten, bei aller Wertschätzung des demokratischen Prozesses, beklemmend, kaum mehr erträglich. Ausser in der Produktion von «Papier» herrscht Stillstand. Professor Max Imbodens Helvetisches Malaise aus dem Jahre 1964 ist aktueller denn je. Ein nationalkonservativer Nationalrat schwärmte von der Rückkehr in die 80er Jahre als politische Vision für die Zukunft der Schweiz. Zukunft! Darf man fragen: des letzten oder vorletzten Jahrhunderts? Selbstverständlich setzt er stillschweigend voraus, dass sich der Rest der Welt dem helvetischen Sonderfall anschliessen soll, nein muss. Es scheint offenbar auch bei hm zu gelten: Wie soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich gesagt habe.

Die Demokratie war nie eine Garantie für Qualität, sondern für mehr oder weniger Teilhabe an der Rechtsetzung und an der Wahl des politischen Personals. Bis anhin gelang es oft verblüffend gut, in letzter Zeit immer weniger oder nicht mehr. 

Was die Sicherheitspolitik betrifft, haben wir das bisherige Verhindern eines totalen Fiaskos einigen Stauffacherinnen hauptsächlich aus zwei Parteien zu verdanken, derweil die oft sehr lauten Tellensöhne sich bloss in Buchhaltung oder Schweigen üben.

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