Nun ist Andreas Homoki weg. Nach dreizehn Jahren als Intendant des Zürcher Opernhauses. Das ist gewöhnungsbedürftig für beide Seiten: für das von hochkarätigen Programmen verwöhnte Publikum und auch für ihn selbst.
Der Abgang von der Bühne unter herzlichem Applaus seines Publikums war am Schluss kurz und bündig. Zuvor hatten Verwaltungsrat Markus Notter und Regierungsrätin Jacqueline Fehr auf Homokis Meriten verwiesen und Regisseur Barry Kosky, dieses «australische jüdische Känguru», als das er sich selbst bezeichnet, erwies dem scheidenden Intendanten mit launigen Worten und einigem Augenzwinkern die Reverenz. Musikdirektor Gianandrea Noseda packte seine Dankesworte natürlich in schönste Klänge ein und der Geehrte, Andreas Homoki, hörte von rechts oben in der Loge sicher mit vielerlei Gefühlen zu. Dann sagte auch er noch ein paar letzte Worte auf der Bühne – und eilte mit einem kurzen «Tschüss» von dannen.
Mehr Worte fand er Tage zuvor im Interview beim Blick zurück auf dreizehn Jahre Intendanz am Opernhaus Zürich. Das Büro sah noch nicht nach Auszug aus und Homoki versank in seinem schönen roten Ledersessel.
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Annette Freitag
Ihre letzte Inszenierung war das Oratorium «Elias» von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Weshalb gerade dieses Werk?
Andreas Homoki
Die Idee zu «Elias» ist drei Jahre alt, Christian Gerhaher hatte sie und ich habe nicht lang gezögert. Auch, weil ich damit noch einmal eine ganze andere Art von Theater zeigen konnte. Also etwas zu erzählen, ohne eine tatsächliche Grunderzählung im konventionellen Sinne. Es ist eine ganz offene Form und die Figuren wechseln ständig ihre Funktion.
Dreizehn Jahre Opernhaus sind zu Ende. Wie fühlen Sie sich jetzt?
Ich fühle mich gut, ich fühle mich zufrieden. Ich hatte ja Erfahrung als Intendant an der Komischen Oper in Berlin. Aber die Schweiz ist doch ein ganz anderes Umfeld. Und die Aufgabe war, das Opernhaus in eine neue Richtung zu lenken. Und dann die Frage: Wie wird das funktionieren?
In der Rückschau kann man sagen, ich habe doch recht viel erreicht von dem, wie ich mir Musiktheater wünsche und vorstelle. Das führt dann auch zur Frage, was du für das Publikum bringen musst: auch das, was dir selber Spass macht? Oder musst du dich verbiegen? Und da hatte ich das Gefühl, dass es bei aller Kritik, die es halt auch gibt, sehr gut funktioniert. Es ist eine grosse Freude, dass man als Künstler authentisch bleiben kann. Ich weiss aber auch, dass ich nicht ewig weitermachen kann, sonst fängt man an, sich selbst zu wiederholen, wird selbstzufrieden. Jetzt ist es Zeit für einen Wechsel.
Als Sie angefangen haben, war es ja kein kompletter Bruch zum Vorherigen, aber es hat sich ständig verändert, trotzdem ist das Stammpublikum nicht vor den Kopf gestossen worden.
Das ist natürlich im Vorfeld mit dem Verwaltungsrat diskutiert worden, insbesondere Josef Estermann wies darauf hin, dass es ein sehr treues Publikum gebe, ein interessantes Umfeld und dass man gut daran tue, die Menschen abzuholen. Das ist sowieso eine Schweizer Tugend: Respekt! Man sagt: Pass auf, ich mach jetzt etwas anderes, es ist vielleicht neu für euch, ich hoffe, ihr macht das mit. Und nicht: Ich hau euch jetzt was vor den Kopf und zeige euch, was für Bourgeois ihr seid.
Das hat ja auch prima funktioniert. Sehen sie das Haus jetzt nach dreizehn Jahren anders als zu Beginn?
Eigentlich nicht. Es ist natürlich vieles von mir verwirklicht worden und damit fühle ich mich hier mehr zuhause als am Anfang. Da war ich zwar willkommen, musste aber schauen, wie die Dinge laufen. Das war ein Prozess. Und jetzt bin ich wirklich angekommen. Dann wird’s Zeit, aufzuhören.
Das Zürcher Opernhaus ist relativ klein. Was ist aus Ihrer Sicht der Vorteil gegenüber grösseren Häusern?
Die Nähe natürlich. Die Nähe zwischen Bühne und Publikum. Ich habe hier die Möglichkeit, die besten Sängerinnen und Sänger mit den tollsten Dirigenten und interessantesten Regisseuren auf die doch ziemlich grosse Bühne zu bringen – und der Zuschauerraum ist ganz nah. Das heisst, ich habe hier eine Nähe, eine Kraft im Miterleben der Performance dieser Bühnenkünstlerinnen und -künstler wie nirgendwo anders. An der Scala beispielsweise gibt es eigentlich keinen einzigen guten Platz. Entweder sind die Zuschauer zu nah dran und gucken von unten oder sie gucken nicht von unten aber sie schauen von der Seite oder ganz von oben und sind zu weit weg. Das ist ein grosser Vorteil im Opernhaus Zürich.
Auch hinter der Bühne gibt es eine grosse Intimität. Die Leute, die hier arbeiten, schätzen die familiäre Atmosphäre, und da war es natürlich hilfreich, dass ich nicht ein Intendant bin, der die Dinge ausschliesslich aus seinem Büro steuert, sondern dass ich auch als Regisseur auf der Bühne stehe und mit den Menschen direkt arbeite. Sie merken, ich bin ansprechbar. Dadurch konnte ich mich gut einbringen und spürbar machen.
Konnten Sie in den dreizehn Jahren all das verwirklichen, was Sie sich am Anfang vage vorgestellt hatten?
Wir haben die Struktur beibehalten und ich habe immer versucht, Künstlerinnen und Künstler, die erfolgreich hier gearbeitet haben, wieder zu holen und ich habe bei den Regisseuren auch was ausprobiert. Ich denke, es sind viele interessante neue Kräfte in die Opernwelt gebracht worden. Angefangen vom Opernstudio, aus dem regelmässig grosse Sänger-Persönlichkeiten heranwachsen, bis zu Regisseuren, die hier vor einigen Jahren noch unbekannt waren und jetzt an grossen Häusern inszenieren. Auf diese Dinge bin ich stolz, denn die Kunstform der Oper bedarf der ständigen personellen Erneuerung. Wir schaffen nichts Bleibendes. Wir schaffen etwas Vergängliches.
Sie waren vorher an der Komischen Oper in Berlin. Was war denn da der Unterschied? Nur schon als Stadt sind Berlin und Zürich ganz verschieden.
Die Komische Oper gilt als das kleinste der drei Opernhäuser in Berlin. Damit war man natürlich angehalten, dem Haus ein sehr starkes Profil zu geben, um sich von den anderen Häusern zu unterscheiden. Hier in Zürich musste ich keine Rücksicht mehr nehmen auf andere Häuser, hier konnte ich alles machen, das gesamte Repertoire, obwohl das Zürcher Opernhaus nicht grösser ist als die Komische Oper in Berlin. Aber hier gibt es nicht diese Einschränkungen. Das war natürlich toll! Deshalb bin ich hier in Zürich auch richtig angekommen. Als Künstler.
Aber was war denn grundsätzlich die grösste Herausforderung für Sie, als Sie nach Zürich kamen?
Ich hatte das Handicap, dass ich das Haus nicht kannte. Von innen. Ich hatte hier nie inszeniert. In Basel, München oder Hamburg zum Beispiel kannte ich die Theater. Ich bin sozusagen im Blindflug rein und war dann sehr erleichtert, als ich gesehen habe: Es war alles ganz prima. Ich hatte eigentlich gar keine Widerstände innerhalb des Betriebs, sondern fand sofort grosse Unterstützung. Von daher war da nichts vermurkst.
Man war einfach als Intendant gefordert: zwölf Premieren, dazu die Proben, verschiedene Anlässe. Auch repräsentativ ist man stark gefordert durch die verschiedenen Kontakte in die Stadt hinein. Da hatte ich grosse Unterstützung durch den Verwaltungsrat, indem ich, noch bevor ich richtig anfing, den wichtigsten Firmenchefs und Sponsorenfamilien vorgestellt worden bin. Da sahen sie alle: Der kommt zwar aus Berlin, aber er kann trotzdem anständig guten Tag sagen und benimmt sich gut (Homoki lacht herzlich darüber …). Was ich unbedingt vermeiden wollte, das ist der hässliche, besserwisserische Deutsche, der reinkommt und allen erzählt, wo’s lang geht.
Das käme nicht gut an.
Da war ich natürlich gewarnt. Und jedes Schriftstück, das ich geschrieben habe, jedes Interview oder Statement, habe ich immer meinen eidgenössischen Kollegen zu lesen gegeben und gefragt, ob man das so sagen kann. Und dann hiess es: nein, hier noch einen Konjunktiv und jenes noch ein bisschen so – das habe ich natürlich gelernt. Ich schreibe Briefe heute ganz anders als früher. Man ist in der Schweiz verbindlicher und respektvoller und defensiver und hört zu, ohne den Qualitätsanspruch aufzugeben. Man ist zugewandter, das habe ich sehr zu schätzen gelernt und das hat mich auch persönlich verändert. Es ist viel entspannter als in Deutschland.
Gibt es beim Blick zurück auch Lieblingsstücke, die Sie ganz präsent im Kopf haben?
Ach, das sage ich nicht. So ein Ranking zu machen, das ist wie … hmmm … Aber natürlich bin ich stolz auf bestimmte Produktionen. Zum Beispiel diese Ausgrabung von Haubenstocks «Amerika». Das war sehr schön. Ich bin auch stolz darauf, dass wir den «Ring» so reibungslos über die Bühne gebracht haben: mit einer guten Planung, einer konsistenten Besetzung, jede Rolle mit den gleichen Sängerinnen und Sängern – und dann all die technischen Herausforderungen! Solche Dinge sind für mich persönlich sehr beglückend, wenn man zurückschaut. Gerade auch nach der letzten Premiere, «Elias», mit dieser ungeheuren Leistung des Chors. Was ein toller Abschluss ist nach einer dreizehnjährigen Intendanz.
Hat denn das Publikum während dieser dreizehn Jahre beim Spielplan den gleichen Geschmack gehabt wie Sie?
Da gibt es vielfältige Ansprüche. Es gibt bestimmte Titel, die bei regelmässigen Operngängern immer funktionieren. In Zürich zum Beispiel Belcanto. Oder Verdi. Lieber italienisches Repertoire als deutsches, wie Wagner oder Strauss. Strauss läuft nicht von alleine, Lucia di Lammermoor dagegen immer. Dann spielt es eine Rolle, wie die Inszenierung ist. Interessant? Zugänglich? Spannend? Da kann man vielleicht auch ein vom Titel her schwieriges Werk zum Erfolg bringen. Und eine gute Oper verträgt auch mal eine missglückte Inszenierung.
Also «Zauberflöte» funktioniert immer?
Ja. Allerdings gibt es bei der «Zauberflöte» auch bestimmte Erwartungen, und wenn die nicht bedient werden, dann mögen es die Leute nicht. Man kollidiert manchmal, wenn man sich zu weit vom gängigen Bild entfernt. Dann muss es wirklich besser oder einleuchtend sein. Wenn man nur etwas wegnimmt und nichts Sinnliches dafür zurückgibt, sind die Leute enttäuscht. Verständlich.
Gerade bei Stücken wie der «Zauberflöte», bei denen man sogar vieles selbst nachpfeifen kann, da hat man automatisch klare Vorstellungen, wie es sein muss: herzig und lieb.
Ja, aber ich glaube, man kann es auch kritisch machen und trotzdem die herzigen Teile lassen, das geht schon. Es ist grundsätzlich nicht so einfach, weil wir uns hauptsächlich mit Stücken beschäftigen, die als bekannt vorausgesetzt werden, aber grundsätzlich immer wieder neuer szenischer Realisierung bedürfen, sonst gibt es sie nur als Partitur. Man muss sie auf die Bühne bringen, aber unser heutiges Theater ist anders als vor 200 Jahren. Das heisst, man versucht die Stücke mit unseren heutigen Theatermitteln zu erzählen. Da gibt es die produktive Reibung, und da gibt es auch das Scheitern.
So ist das Leben.
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