In Erwartung eines russischen Grossangriffs suchen Ukrainerinnen und Ukrainer Schutz in einer U-Bahn-Station in Kiew (Foto: Keystone/AP/Efrem Luzkatsky). Inzwischen hat Russland seine Angriffe auf ukrainische Städte intensiviert. Mehrere Häuser wurden in Brand geschossen. Marschflugkörper trafen ein Spital. Vor Kiew wird heftig gekämpft. Die Zahl der Toten und Verletzten steigt. Der gestern von Satelliten gesichtete 60 Kilometer lange Militärkonvoi ist vor Kiew angekommen.
Im Norden der Hauptstadt errichten die Ukrainerinnen und Ukrainer Panzersperren mit Bussen, Lastwagen und Sandsäcken, um ein Vorrücken russischer Truppen aufzuhalten.
Kiew war am Mittwochfrüh eine fast menschenleere Stadt. Einzig vor Apotheken wurden lange Schlangen von Menschen gesichtet. Die meisten Ukrainerinnen und Ukrainer suchen Schutz in Kellern, U-Bahn-Stationen und anderen unterirdischen Räumen. Überall gibt es Kontrollposten. Freiwillige, die an gelben Armbinden zu erkennen sind, kontrollieren die Lage. Einige tragen Tarnkleidung, andere sind in Zivil gekleidet.
Bomben auf Charkiw
Russische Truppen haben am Mittwochfrüh Charkiw, die zweitgrösste ukrainische Stadt, mehrmals mit Artillerie und Raketen angegriffen. Dabei wurden nach ukrainischen Angaben 21 Menschen getötet und 112 weitere verletzt. Bilder, die getötete Zivilisten zeigen, wurden verbreitet. Angegriffen wurden unter anderem eine Zweigstelle des ukrainischen Innenministeriums und ein Polizeigebäude. Auch Wohnhäuser wurden getroffen.
Cherson erobert?
Russische Truppen haben nach eigenen Angaben die ukrainische Gebietshauptstadt Cherson erobert. Die Lage in Cherson ist unübersichtlich.
Mariupol im Süden des Landes hart umkämpft.
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskyj erklärt, dass bisher 6'000 russische Soldaten ums Leben gekommen seien. Nach Angaben westlicher Geheimdienste sei die Moral der russischen Truppen schlecht.
Die Uno verurteilt Russland
Die Uno-Vollversammlung hat den Angriff Russlands auf die Ukraine mit grosser Mehrheit verurteilt. Der Entscheid hat vor allem symbolische Bedeutung und zeigt, dass der überwältigende Teil der Weltgemeinschaft gegen Putin ist. 141 Mitgliedstaaten stimmten in New York für eine entsprechende Resolution, 35 Länder enthielten sich, 5 stimmten dagegen. Im Gegensatz zum Uno-Sicherheitsrat kann Russland bei Entscheiden der Vollversammlung kein Veto einreichen. Der russische Uno-Delegierte Wassili Nebensja sagte denn auch, das Verdikt kümmere Russland nicht. «Dieses Dokument wird uns nicht erlauben, militärische Aktivitäten zu beenden.» Die Resolution verlangt, dass sich die Russen sofort und bedingungslos aus der Ukraine zurückziehen. Als das Resultat bekannt wurde, standen die meisten Delegierten auf und klatschten.
China wusste es im Voraus
China hat offenbar im Voraus gewusst, dass Russland die Ukraine angreifen will. Wie die New York Times berichtet, haben chinesische Regierungsvertreter die Russen gebeten, den Angriff auf die Zeit nach den Olympischen Spielen zu verschieben.
Deutsche Waffen angekommen
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte am Sonntag die Lieferung von 500 «Stinger»-Boden-Luftraketen und tausend Panzerfäuste angekündigt. Diese Waffen sind jetzt den Ukrainern übergeben worden. Russland hat die Nato gewarnt, Waffen zu liefern. Das bringe «Risiken», erklärte Vizeaussenminister Alexander Gruschko und sei in dieser Situation «sehr gefährtlich».
Kampfwillige Ausländer
Der ukrainische Präsident Selenskyj hatte Ausländer dazu aufgefordert, in die Ukraine zu kommen, um gegen die Russen kämpfen. Diesem Aufruf sind offenbar bereits mehr als tausend Ausländer gefolgt. Sie würden aus 16 Ländern stammen, erklärte der ukrainische Aussenminister Kuleba. Selenskyj hatte die Visumspflicht für kampfwillige Ausländer aufgehoben.
Fast 900’000 Flüchtlinge
874’000 Ukrainer und Ukrainerinnen haben ihr Land verlassen. Die Zahl steigt stündlich dramatisch. Das Uno-Hochkommissariat für das Flüchtlingswesen UNHCR rechnet damit, dass sie bald die Millionengrenze überschreiten wird. Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge, 454’000, wurden in Polen aufgenommen. An zweiter Stelle folgt Ungarn mit 116’000, dann Moldawien mit 79’000, die Slowakei mit 67’000 und Rumänien 45’000. 70’000 sind in andere Länder weitergereist. Zudem gibt es etwa anderthalb Millionen Binnen-Flüchtlinge, also Menschen, die ihre Häuser verlassen haben und irgendwo anders im Land Schutz suchen.
Neue Gespräche?
Nach unbestätigten Berichten sollen die ukrainisch-russischen Gespräche am Donnerstag in der belarussischen Grenzstadt Gomel weitergeführt werden. Sie waren am Montag ohne greifbare Ergebnisse abgebrochen worden. Zuerst hatte es geheissen, sie würden schon am Mittwoch weitergeführt.
«Der andere Aggressor»
Die EU will auch Sanktionen gegenüber Belarus verhängen. Von belarussischem Gebiet aus werden Angriffe auf die Ukraine ausgeübt. Belarussische Truppen haben am Dienstag die belarussisch-ukrainische Grenze überquert und wollen die russischen Streitkräfte unterstützen. Alexander Lukaschenko, der Präsident von Belarus, gilt als schwacher Vasall von Putin. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nannte Belarus «den anderen Aggressor».
«Unser offensichtlich wahnsinniger Zar»
Der inhaftierte Putin-Kritiker Alexej Nawalny fordert die Russinnen und Russen auf, täglich auf die Strasse zu gehen und gegen den Krieg und gegen Putin zu demonstrieren. Nur Feiglinge würden so tun, als würden sie den Krieg gegen die Ukraine nicht bemerken – ein Krieg, der «unser offensichtlich wahnsinniger Zar entfesselt hat».
Orthodoxe Geistliche gegen den Krieg
Geistliche der Moskauer russisch-orthodoxen Kirche fordern eine Ende der Kämpfe. In einem offenen Brief, der von bisher über 230 Priestern und Diakonen unterzeichnet wurde, heisst es, das ukrainische Volk müsse seinen Weg selber wählen, ohne Druck des Westens und Russlands. Alle Soldaten, sowohl die russischen als auch die ukrainischen, sollten unverletzt nach Hause zurückkehren. Die Unterzeichner drücken die Trauer über das Leid aus, dem das ukrainische Volk «unverdient» ausgesetzt sei. Der Aufruf der Priester und Diakone ist vielleicht nicht im Sinne der russisch-orthodoxen Kirchenspitze. Patriarch Kyrill I. hatte zuvor die Gegner Russlands als «Kräfte des Bösen» bezeichnet.
«Ein isolierter Diktator»
Joe Biden griff in seiner State-of-the-Union-Botschaft Putin scharf an. Der Kreml-Chef hat sich schwer verkalkuliert. Vielleicht könne er auf dem Schlachtfeld einige Geländegewinne machen, doch langfristig zahle er «einen hohen Preis». Für die Ukrainer will Biden eine Milliarde Dollar Direkthilfe bereitstellen. Einen Militäreinsatz schliesst er weiterhin aus. US-Truppen werden nur zum Einsatz kommen, wenn Nato-Verbündete angegriffen werden. Dann würden die Amerikaner um jeden Zentimeter kämpfen. Biden kündigte an, er wolle den Flugraum für russische Flugzeuge sperren.
Für einen Moment waren sich Demokraten und Republikaner einig und klatschten dem Präsidenten frenetisch zu. Einige Senatoren und Abgeordnete waren in blau-gelber Kleidung erschienen.
(Wird laufend aktualisiert)
Journal21