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Seawatch 3

Sündenbock Flüchtlinge

29. Juni 2019
Heiner Hug
Italien hat kein Flüchtlingsproblem (mehr). Das hindert den populistischen Innenminister nicht daran, sein Volk gegen Migranten aufzuhetzen. Ein Kommentar.

2014 kamen 170’700 Bootsflüchtlinge von Nordafrika nach Italien. 2016 waren es gar 181’126. Italien hat das geografische „Pech“, erste Anlaufstation für Migranten aus Afrika zu sein.

Die früheren sozialdemokratischen Regierungen unter Matteo Renzi und Paolo Gentiloni riefen in Brüssel mehrmals um Hilfe. Es kann doch nicht sein, sagten sie, dass Italien die ganze Flüchtlingslast allein tragen muss. Die EU zeigte dem Belpaese die kalte Schulter. Flüchtlinge – nicht willkommen!

Vor allem linke italienische Politiker behaupten, Italien wäre nicht in die populistische Fänge geraten, hätte die EU die Flüchtlinge gesamteuropäisch verteilen können.

Seit 2017 geht die Zahl der Mittelmeer-Migranten zurück. Die Trendwende begann schon mindestens anderthalb Jahre bevor die populistische Regierung in Rom das Szepter übernahm. Das hindert diese Regierung nicht daran zu behaupten, sie sei für die Trendwende verantwortlich.

Unter der Regierung Conte/Salvini/Di Maio verstärkte sich der Rückgang. Im Juni 2018, als die neue Regierung die Macht übernahm, kamen noch gut 3’100 Bootsflüchtlinge über das Mittelmeer nach Italien. Ein 60-Millionen-Einwohner-Land, sollte man meinen, sollte das verkraften können. Dann ging die Zahl weiter rasant zurück. Grund ist sicher Salvinis Politik, die manche als „menschenverachtend“ bezeichnen. Er sperrte die Häfen für die Ankommenden.

In einem hat der Innenminister sicher recht. Für Gangster und Schlepper war der Transport von Flüchtlingen ein lukratives Geschäft. Sie zahlten bis zu 5’000 Dollar für eine Überfahrt von Libyen nach Sizilien oder Kalabrien. Boote transportierten bis zu 100 Menschen: 100 mal 5’000 Dollar – ein Riesengeschäft. Indem Salvini die Grenzen schloss, entging den Schleppern viel Geld. Sie suchten dann andere Routen. Italien blieb weitgehend verschont.

Doch auch in Afrika und im Mittleren Osten sprach sich herum, dass es in Europa keine Willkommenskultur mehr gibt. Ganz allgemein ging der Flüchtlingsstrom stark zurück. Es ist also keineswegs nur das Verdienst Salvinis, dass der Exodus abreisst.

In diesem Monat kamen nur noch gut 600 Flüchtlinge in Italien an. Dass Salvini jetzt die Kapitänin der Seawatch festnehmen lässt, ist billige, pure, populistische Machtpolitik.

Auch wenn die Flüchtlingswelle stark zurückgegangen ist, hört Salvini nicht auf, gegen Migranten zu hetzen.

Die Populisten brauchen Sündenböcke. Sie sind schuld, sagt der Innenminister, dass es den Italienern nicht so gut geht, wie sie möchten. Anstatt endlich vor der eigenen Tür zu wischen und die eigentlichen Probleme Italiens beim Namen zu nennen und dagegen anzukämpfen, schiebt Salvini die Schuld auf die Flüchtlinge – und die EU. Die Botschaft ist klar: Wir Italiener wären eigentlich stark und gut, wenn uns da nur nicht die EU reinpfuschen würde – und wenn da nur nicht die Flüchtlinge wären.

Diese Botschaft wiederholen die Populisten täglich: im Fernsehen, in Interviews, in Zeitungen und an Veranstaltungen. Eine kritische Berichterstattung gibt es immer seltener. Vom staatlichen Fernsehen Rai, das sich jetzt in den Händen von Salvini-Adepten befindet, ist nichts Anderes zu erwarten. Die Regionalzeitungen haben sich längst im Salvini-Lager verkrochen. Doch selbst die grossen, überregionalen „Qualitätszeitungen“ berichten immer unkritischer über das Thema und räumen den Aussagen der Populisten grossen Raum ein – oft unwidersprochen.

Folge davon ist, dass zwar kaum noch Flüchtlinge kommen, ein grosser Teil der Bevölkerung aber glaubt, das Migrationsproblem sei eines der grössten Probleme des Landes. Deshalb klatschen die Salvini-Anhänger, wenn Carola Rackete jetzt ins Gefängnis muss. Einige entgleisen: In einem inzwischen entfernten Tweet hiess es: „Hoffentlich wird sie im Gefängnis vergewaltigt.“

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