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Vom Himmel geholt

„Staatsterrorismus“

24. Mai 2021 , aktualisiert
Journal21
Roman Protasewitsch, ein Archivbild aus dem Jahr 2017 (Foto: Twitter)
Roman Protasewitsch, ein Archivbild aus dem Jahr 2017 (Foto: Twitter)
Dem festgenommenen Lukaschenko-Kritiker Roman Protasewitsch droht die Todesstrafe.

In einer beispiellosen Aktion hatte am Sonntagnachmittag ein belarussisches Kampfflugzeug vom Typ Mig-29 eine Ryanair-Maschine, die sich auf dem Flug von Griechenland nach Litauen befand, zur Landung in der belarussischen Hauptstadt Minsk gezwungen. Der sich an Bord befindliche Journalist Roman Protasewitsch wurde festgenommen.

Der 26-jährige belarussische Blogger Protasewitsch (Raman Pratasevich) ist ein scharfer Kritiker des belarussischen Diktators Alexander Lukaschenko. Er ist Mitbegründer und Redaktor des in Polen ansässigen Online-Nachrichtenportals Nexta, das Videos der Massenproteste über die Messenger-App Telegram ausstrahlte.

Mit fast zwei Millionen Abonnenten auf Telegram spielten Nexta Live und sein Schwesterkanal Nexta eine Schlüsselrolle bei der Steuerung und Koordinierung der Proteste im vergangenen August, als der Internetzugang oft blockiert und unabhängige Medien stark eingeschränkt waren.

Protasewitsch, der befürchtete, verhaftet zu werden, floh 2019 nach Polen. Im Januar 2020 beantragte er Berichten zufolge Asyl.

Später sei er in die litauische Hauptstadt Vilnius umgezogen, wo auch die politische Führerin Swetlana Tichanowskaja, die von der belarussischen Opposition als die eigentliche Gewinnerin der umstrittenen Wahl angesehen wird, Zuflucht gesucht habe.

Offenbar hat Lukaschenko die Festnahme persönlich angeordnet und den Geheimdienst damit beauftragt. Laut Ryanair könnten sich auch Mitglieder des russischen KGB-Geheimdienstes an Bord befunden haben.

In fünf Jahren zwölf Menschen hingerichtet

Die belarussische Justiz beschuldigt  Protasewitsch des Terrorismus und hat ihn auf die Liste der meistgesuchten Personen gesetzt. Dafür droht in Belarus die Todesstrafe. Belarus ist das einzige europäische Land, das die Todesstrafe vollstreckt. In den letzten fünf Jahren wurden mindestens zwölf Menschen hingerichtet.

Protasewitsch spielte während den Demonstrationen nach den gefälschten belarussischen Wahlen im vergangenen August eine wichtige Rolle. Seine Internetkanäle riefen immer wieder zum Aufstand auf und informierten die Manifestanten über die Vorhaben der Sicherheitskräfte. Hunderttausende hatten im vergangenen August gegen den letzten europäischen Diktator protestiert.

Demonstration im vergangenen August gegen Lukaschenko in Minsk. (Foto: Keystone)
Demonstration im vergangenen August gegen Lukaschenko in Minsk. (Foto: Keystone)

«Unverschämt und illegal»

Die Festnahme Protasewitschs hat international Empörung ausgelöst. Die EU will über Sanktionen beraten. EU-Ratspräsident Charles Michel sagte, der Vorfall werde «nicht ohne Konsequenzen» bleiben. EU-Ratspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte: «Das unverschämte und illegale Verhalten des Regimes in Belarus wird Konsequenzen haben. Die Verantwortlichen für die Ryanair-Entführung müssen sanktioniert werden.» Der deutsche Aussenminister Heiko Maas fordert «deutliche Konsequenzen».

Auch die USA verurteilen das Lukaschenko-Regime scharf. Ausssenminister Antony Blinken sprach von einer «dreisten und schockierenden Tat des Lukaschenko-Regimes». Und: «Wir fordern eine internationale Untersuchung.» Der belarussische Botschafter in Paris wurde ins französische Aussenministerium zitiert.

«Staatlich unterstützte Piraterie»

Michael O’Leary, der Chef von Ryanair, spricht von einem «Fall von staatlich unterstützter Entführung» und «staatlich unterstützter Piraterie».

Die litauische Regierung nennt die Entführung der Maschine «Staatsterrorismus». Der litauische Generalstaatsanwalt und die Kriminalpolizei haben eine Untersuchung eingeleitet.

Die in Litauen im Exil lebende belarussische Oppositionsführerin Svetlana Tikhanouskaya sagte, sie fürchte um das Leben von Protasewitsch. Er sei ein hochkarätiger Gegner von Präsident Lukaschenko. »Wir sorgen uns nicht nur um seine Freiheit, sondern um sein Leben.»

Die belarussische Oppositionsführerin am Sonntagabend in Vilnius (Foto: Keystone/AP/Mindaugaqs Kulbis)
Die belarussische Oppositionsführerin am Sonntagabend in Vilnius (Foto: Keystone/AP/Mindaugaqs Kulbis)

Mit Putin abgesprochen?

Der Vater des festgenommen Bloggers, Dmitri Protasewitsch, spricht von einem «staatlichen Terrorakt». Er schliesst nicht aus, dass die Aktion mit Russland abgesprochen worden sei.

Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) fordert in einer Twittermeldung die Freilassung des Bloggers. «Eine gründliche Untersuchung ist unerlässlich.»

Laut Angaben des Menschenrechtszentrums Wesna soll auch Protasewitschs 23-jährige Freundin Sofia Sapega, eine Russin, festgenommen worden sein.

Sofia Sapega (Foto: Twitter)
Sofia Sapega (Foto: Twitter)

Am Mittwoch hatten die belarussischen Justizbehörden auch das Nachrichtenportal Tut.by gesperrt und vom Netz genommen.

Oppositionelle erklärten, das harte und offenbar von langer Hand vorbereitete  Vorgehen gegen Protasewitsch und Tut.by zeige, dass Lukaschenko mit dem Rücken zur Wand stehe.

Die Ryanair-Maschine landete am Sonntagabend mit achtstündiger Verspätung – ohne Protasewitsch – in der litauischen Hauptstadt Vilnius.

(J21)

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