Der ukrainische Präsident Selenskyj ist in die schwer umkämpfte Stadt Lyssytschansk gereist und hat dort Soldaten Medaillen übergeben. Anschliessend begab er sich in die Region Saporischschja, die von russischen Truppen belagert und beschossen wird. Militäranalysten bezeichnen solche Reisen des Präsidenten als «extrem riskant».
Der unangekündigte Besuch in Lyssytschansk fand am Sonntag statt und wurde am Montag bekanntgegeben. Lyssytschansk und die Zwillingsstadt Sewerodonezk sind die zur Zeit «am heissesten» umkämpften Gebiete im Donbass. Ziel des Besuchs in Lyssytschansk war es, die Moral der Truppe zu stärken.
Wie Selenskyj nach Lyssytschansk gelangte, wird geheim gehalten. Die Strassen sind vermint, überball droht russischer Artillerie- und Raketenbeschuss.
«Ich bin stolz auf jeden, den ich getroffen und dem ich die Hand geschüttelt habe», sagte Selenskyj in einer Videoansprache, in der er seinen Besuch beschrieb.
Er sagte auch: «Wir haben dem Militär etwas gebracht. Ich werde nicht im Detail darüber sprechen». Sofort wurde spekuliert, ob er damit die Lieferung dringend notwendiger moderner Waffen meinte.
In der Region Saporischschja traf er mit Soldaten und mit Zivilisten zusammen, die aus der Stadt Mariupol geflohen waren. «Jede Familie hat ihre eigene Geschichte», sagte er. Er traf vor allem Frauen und Kinder. «Männer sind in den Krieg gezogen, Männer wurden gefangen genommen, Männer starben, eine Tragödie.»
Letzte Woche hatte Selenskyj ukrainische Soldaten in der Region Charkiw getroffen.
Das «heisseste» Konfliktgebiet
Die Meldungen über die Lage in der umkämpften Stadt Sewerodonzk widersprechen sich. Generalmajor Kyrylo Budanov erklärt, dass seine Streitkräfte die russischen Truppen allmählich aus der Stadt verdrängen – dies, obwohl «der Feind eine zehnfach stärkere Artillerie» hat.
Demgegenüber sagte Serhij Haidai, der Gouverneur von Luhansk, die Lage habe sich für die Ukrainer «wieder etwas verschlechtert».
Ultimatum
Der Kreml hat General Aleksandr Dwornikow, dem Oberbefehlshaber der russischen Invasionstruppen, nach ukrainischen Angaben, ein Ultimatum gestellt, Sewerodonezk bis zum kommenden Freitag zu erobern. Sollte dies nicht gelingen, müsste er wenigstens die Fernstrasse zwischen Lyssytschansk und Bachmut vollständig unter russische Kontrolle bringen. Dies erklärt der ukrainische Militärchef von Luhansk, Serhiy Haidai.
Haidai hatte am Freitag gesagt, die ukrainischen Streitkräfte hätten die Hälfte der Stadt zurückerobert, nachdem die russischen Streitkräfte zuvor rund 80 % kontrolliert hätten. Die stellvertretende ukrainische Verteidigungsministerin Hanna Malina sagt, die Situation sei unübersichtlich und könne sich «alle 30 Minuten radikal ändern».
«Wir werden die Stadt zurückerobern»
Die ukrainischen Truppen hätten genug «Kräfte und Mittel», um Sewerodonesk zurückzuerobern. Dies sagt Oleksandr Stryuk, der Bürgermeister Stadt. Zur Zeit würden erneut «heftige Strassenkämpfe» stattfinden, aber die «ukrainischen Truppen werden die strategisch wichtige Stadt im Osten nicht verlassen», erklärte Stryuk der ukrainischen Nachrichtenagentur Unian.
«Die Situation ändert sich stündlich, aber ich schwöre, wir werden die Stadt zurückerobern».
«Tote Städte»
Die ukrainischen Streitkräfte halten den Moskauer Truppen in der östlichen Stadt Sewerodonezk «stand», sind aber den «stärkeren» russischen Truppen zahlenmäßig unterlegen, erklärte am Montag Präsidemnt Wolodimir Selensyj.
«Wir halten stand, aber die Russen «sind in der Überzahl und stärker», sagte er. Sewerodonezk und das benachbarte Lyssytschansk seien jetzt beides «tote Städte».
Britische Waffen
Grossbritannien gab am Montag bekannt, es werde den USA folgen und ebenfalls M270-Mehrfachrakten-Systeme (M270 multiple-launch rocket systems) liefern. Bisher hat das Vereinigte Königreich die Ukraine mit 750 Millionen Pfund unterstützt.
Neben dem Satelliten-gesteuerten M270-Raketensystem wird Grossbritannien folgende Waffen liefern.
- Mehr als 5’000 leichte Panzerabwehrwaffen der nächsten Generation
- 120 gepanzerte Fahrzeuge
- Fünf Flugabwehrsysteme, darunter «Starstreak»-Raketen
- Dutzende Drohnen
«Wir werfen die Ukrainer weiter zurück»
Der russische Aussenminister Sergej Laworw reagierte am Montag auf einer Pressekonferenz auf die Ankündigung der USA und Grossbritanniens, Langstreckenraketen an die Ukraine zu liefern. Je grösser die Reichweite der westlichen Raketen sei, desto mehr werde Russland «die Neonazis» zurückdrängen, damit die russischen Verbände nicht getroffen würden, sagte er.
Tod eines russischen Generals bestätigt
Russische Staatsmedien haben den Tod eines hochrangigen Moskauer Generals bei schweren Kämpfen in der ostukrainischen Region Donbass bestätigt.
Generalmajor Roman Kutusow sei bei einem Angriff auf eine ukrainische Siedlung in der Region getötet worden, sagte ein Reporter des staatlichen Senders Rossija 1.
Alexander Sladkov berichtete, General Kutusow habe Truppen der selbsterklärten «Volksrepublik» Donezk befehligt. Das russische Verteidigungsministerium hat sich zu den Berichten nicht geäussert.
«Der General hat Soldaten in den Angriff geführt, als ob es nicht genug Obersten gäbe», schrieb Sladkow auf Telegram.
Sein Tod kam zu einem Zeitpunkt, als in den sozialen Medien Gerüchte kursierten, dass ein zweiter hoher Offizier, Generalleutnant Roman Berdnikow, Kommandeur der 29. Armee, ebenfalls bei den Kämpfen am Wochenende getötet wurde.
Russische Kommandeure wurden zunehmend an die Front gedrängt, um die Invasion voranzutreiben, und Moskau hat den Tod von drei hochrangigen Generälen bestätigt.
Kiew behauptet, zwölf Generäle getötet zu haben, westliche Geheimdienstler sprechen von mindestens sieben getöteten hochrangigen Befehlshabern.
Bevorstehender Angriff auf Saporischschja?
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskyj rechnet mit einem baldigen Angriff auf die südukrainische Stadt Saporischschja. Die Grossstadt hat etwa 750‘000 Einwohner. Sie ist ein Industriezentrum und ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt. In der Nähe befindet sich das leistungsstärkste Atomkraftwerk Europas.
Cholera in Mariupol?
In der südukrainischen Stadt Mariupol, die wochenlang von russischen Verbänden eingekesselt war, wird ein Ausbruch von Cholera befürchtet. «Wir sehen, wie die Stadt geschlossen wird», sagte Petro Andrjuschtschenko, ein Berater des Bürgermeisters gegenüber einer Fernsehstation. Die humanitäre Lage in der zerbombten Stadt würde sich zunehmend verschlechtern, sagte er. Es fehle an Nahrungsmitteln und sauberem Wasser.
Sergej Lawrow geht nicht nach Serbien – zwangsläufig
Der russische Aussenminister Sergej Lawrow hat seinen Besuch in Serbien abgesagt. Mehrere Nachbarländer sperrten den Luftraum für sein Flugzeug.
Russische Nachrichtenagenturen zitierten die Sprecherin des Ministeriums, Maria Sakharowa, mit den Worten: «Die russische Delegation hätte zu Gesprächen in Belgrad eintreffen sollen. Aber die EU- und Nato-Mitgliedsländer haben ihren Luftraum geschlossen.» Lawrow sagte, er werde nun seinen serbischen Amtskollegen Nikola Selakovic zu einem Besuch nach Moskau einladen: «Niemand wird in der Lage sein, unsere Beziehungen zu Serbien zu zerstören», sagte er.