Es war eines der tödlichsten Gefechte in diesem Krieg. Fast 500 russische Soldaten wurden letzte Woche bei der Überquerung des Donez-Flusses getötet oder schwer verwundet. Neu ist, dass pro-russische Blogger beginnen, die russische Militärführung scharf zu kritisieren und als «inkompetent» zu bezeichnen.
Wird laufend aktualisiert
- Russland will Asowstal-Verwundete retten
- Russische Blogger kritisieren Militärführung
- Mariupol-Evakuierte in Lager gesteckt
- Ukrainische Soldaten an russischer Grenze
- Russland fehlen Reservisten
- Auch Schweden will Nato beitreten
Das Drama von Bilohoriwka
Ukrainischen Soldaten war es am 10. Mai gelungen, fast ein gesamtes russisches Bataillon zu vernichten. Die russischen Soldaten waren dabei, den Donez-Fluss auf einer Pontonbrücke zu überqueren, als sie angegriffen wurden. Nach Ermittlungen von Militäranalysten wurden dabei über 450 russische Soldaten getötet oder schwer verletzt.
Nach Angaben der New York Times findet das russische Drama in russischen Blogs mehr und mehr Erwähnung. Die Zeitung zitiert das renommierte amerikanische «Institute for the Study of War», ein in Washington ansässiger Thinktank. Danach kämen in den sozialen russischen Medien zunehmend «Zweifel an Russlands Aussichten in diesem Krieg und an der Kompetenz der russischen Militärführung» auf. Auch pro-russische Kriegsblogger, von denen einige mit Truppen an der Front zusammenarbeiten, würden die russische Kriegsführung mehr und mehr kritisch betrachten.
Mehrere Pontonbrücken zerstört
Am 11. Mai hatte das russische Kommando rund 550 Soldaten der 74. motorisierten Schützenbrigade der 41. kombinierten Armee über den Fluss Donez bei Bilohoriwka in der östlichen Region Luhansk beordert. Ziel war es, die ukrainischen Streitkräfte bei Rubischne einzukesseln.
Satellitenbilder zeigen, dass ukrainische Artillerie mehrere russische Pontonbrücken zerstörte und eine dichte Konzentration russischer Truppen und Ausrüstung um den Fluss herum vernichtete.
Das Institute for the Study of War gab unter Berufung auf Analysen der öffentlich zugänglichen Bilder an, dass bis zu 485 russische Soldaten getötet oder verwundet und mehr als 80 Ausrüstungsgegenstände zerstört worden sein könnten.
2,1 Millionen Follower
Als sich die Nachricht von den Verlusten bei der Flussüberquerung in Bilohoriwka verbreitete, schienen einige russische Blogger mit ihrer Kritik an der ihrer Meinung nach inkompetenten Führung nicht zu sparen.
«Ich habe lange geschwiegen», sagte Juri Podoljak, ein Kriegsblogger mit 2,1 Millionen Followern auf Telegram, in einem am Freitag veröffentlichten Video. Er erklärte, er habe es bisher vermieden, das russische Militär zu kritisieren.
«Ich betone: aufgrund der Dummheit»
«Der letzte Strohhalm, der meine Geduld überforderte, waren die Ereignisse um Bilohoriwka, wo aufgrund von Dummheit – ich betone, aufgrund der Dummheit der russischen Führung – mindestens eine taktische Gruppe des Bataillons vernichtet wurde, möglicherweise zwei.»
Podoljak machte sich über die Behauptung des Kremls lustig, der Krieg verlaufe «nach Plan». In dem fünfminütigen Video erklärte er, dass es der russischen Armee «an funktionstüchtigen, unbemannten Drohnen, Nachtsichtgeräten und anderen Ausrüstungsgegenständen katastrophal mangelt».
«Ja, ich verstehe, dass es unmöglich ist, dass es im Krieg keine Probleme gibt», sagte er. «Aber wenn die gleichen Probleme drei Monate lang andauern und sich nichts zu ändern scheint, dann fange ich persönlich und Millionen Bürger der Russischen Föderation an, Fragen an die Leiter der Militäroperation zu stellen.»
Auch Schweden
Nach Finnland will, wie erwartet, auch Schweden der Nato beitreten. «Wir verlassen eine Ära und beginnen eine neue», sagte die schwedische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson auf einer Pressekonferenz in Stockholm. Zuvor hatte sie angekündigt, dass ihr Land einen Antrag auf Beitritt zur Nato stellen wird.
Schweden und Finnland haben beide den Wunsch geäussert, ihre Nato-Beitrittsanträge gemeinsam einzureichen. «Wir gehen davon aus, dass es nicht länger als ein Jahr dauern wird, bis die 30 Mitglieder der Allianz den schwedischen Beitrittsantrag einstimmig ratifizieren», so Andersson.
Russland will Asowstal-Kämpfer retten
Russland will die im Asowstal-Werk in Mariupol eingeschlossenen verwundeten Kämpfer in ein russisch kontrolliertes Spital bringen. Das russische Verteidigungsministerium erklärt, es habe mit der Ukraine eine entsprechende Vereinbarung getroffen. Von ukrainischer Seite verlautete bisher nichts dazu. Nach Angaben der staatlichen russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti sollen die Verwundeten in ein Spital evakuiert werden, das sich in einem Gebiet befindet, das von Russland besetzt ist.
Weitere Bomben auf Asowstal
Das Stahlwerk Asowstal in Mariupol wird weiterhin aus der Luft und vom Meer aus bombardiert. Es gibt Berichte, wonach die Russen international geächtete Phosphorbomben einsetzen. Auf einem Video, das ein Kommandant der «Volksrepublik Donezk» veröffentlichte, sind weisse, hell glühende Geschosse zu sehen. Der Berater des ukrainischen Innenministers, Anton Gerashchenko, spricht von Phosphorbomben.
Die ukrainischen Soldaten, die im Stahlwerk Asowstal in Mariupol eingeschlossen sind, haben nur noch sehr wenig Lebensmittel und Trinkwasser, berichtet die ukrainische Nachrichtenagentur Unian unter Berufung auf die Ehefrauen der Verteidiger.
«Ich habe gestern mit meinem Mann gesprochen. Er sagte, dass die Bombardierung unvermindert anhält und dass sie fast nie an die Oberfläche gehen», sagt Yuliya, die Frau des Soldaten Arseniy Fedosyuk.
Drei-Tonnen-Bomben
«Und wenn sie doch nach draussen gehen, versuchen sie, Wasser und Nahrung zu finden. Sie sind ziemlich pessimistisch. Sie bereiten sich auf die letzte Schlacht vor, weil sie nicht an eine diplomatische Lösung des Problems glauben.»
«Die meiste Zeit bleiben sie im Bunker, weil sie ständig unter Beschuss stehen. Es handelt sich um Drei-Tonnen-Bomben, ständige Luftangriffe, Marine- und Bodenartillerie sowie Panzer. Sie können bis zu drei Tage am Stück unter der Erde bleiben», sagte Yuliya.
Den Ehefrauen der Soldaten zufolge gibt es im Asowstal-Werk nur sehr wenig Wasser, und ihre Männer müssen gebrauchtes Wasser trinken, das zuvor für den Betrieb der Anlage verwendet worden war.
«Vor ein paar Stunden erhielten wir einen Anruf. Die Nachricht, dass die Russen Phosphorbomben auf Asowstal abwerfen, hat mich beunruhigt», sagt Kateryna, die Frau des Kommandeurs des Asowschen Regiments Denys Prokopenko.
Ukrainische Truppen an der russischen Grenze?
Ukrainische Streitkräfte sind nach eigenen Angaben bei ihrer Gegenoffensive östlich von Charkiw bis an die russische Grenze vorgestossen. Dies hat vor allem auch symbolische und psychologische Bedeutung. Das ukrainische Verteidigungsministerium veröffentlicht ein Video, auf dem man ukrainische Soldaten neben einem Grenzpfahl an der ukrainisch-russischen Grenze sieht. Dem ukrainischen Militär ist es seit Tagen gelungen, die Russen schrittweise zurückzudrängen.
«Wie ein Konzentrationslager»
Mindestens 3’000 Einwohner von Mariupol werden in einem «Filtrationslager» in der Region Donezk festgehalten. Das sagte Petro Andrjuschtschenko, ein Berater des Bürgermeisters von Mariupol. Viele Ukrainer hätten erschreckende Berichte über das Leben in diesen Zentren abgegeben. Einer bezeichnete sie als «wie ein echtes Konzentrationslager».
Die ehemalige Justizvollzugsanstalt in der Stadt Oleniwka südwestlich von Donezk wurde in ein Filtrationslager umgewandelt. «Sie werden nur wegen ihrer aktiven pro-ukrainischen Haltung festgehalten. Ist das nicht Repression und politische Verfolgung?», zitierte die Nachrichtenagentur Interfax-Ukraine Andrjuschtschenko.
Der russische «Repressionsapparat» habe seine Aktivitäten in Mariupol und seinen Aussenbezirken verstärkt. Die Russen würden «aktiv» nach ukrainischen Kriegsveteranen suchen, sagte Andrjuschtschenko.
Russland zielt auf Luhansk
Vorrangiges Ziel der Russen sei jetzt die Einnahme der Verwaltungsregion Luhansk. Nach Einschätzung des amerikanischen «Institute for the Study of War» (ISW) haben die russischen Kräfte die «gross angelegte Umzingelung der ukrainischen Truppen von Donezk bis Isjum» aufgegeben.
Erstes Ziel sei jetzt die Eroberung der Stadt Sewerodonezk. Dies würde es Russland ermöglichen, nach Westen vorzudringen.
«Zu wenig russische Reserven»
Das «Institute for the Study of War» (ISW) ist der Ansicht, dass Russland nicht mehr über genügend kampffähige Reservekräfte verfügt. Das Militärkommando sei gezwungen, Soldaten aus verschiedenen Einheiten zusammenzuziehen. Auch Private und Milizen würden beigezogen.
Nach Angaben des ukrainischen Generalstabs trainieren zur Zeit rund 2’500 Reservisten in den russischen Grenzregionen Belgorod, Woronesch und Rostow. Es sei jedoch unwahrscheinlich, dass diese Zahl die russischen Ausfälle wettmachen könnte. Russland habe zum Teil einen Viertel seiner Truppen verloren.
Belarus stationiert Truppen entlang der Grenze
Das mit Russland liierte Belarus stationiert auf belarussischen Übungsplätzen entlang der ukrainischen Grenze Flugabwehr-, Artillerie- und Raketeneinheiten. Dies berichtet der britische Militärgeheimdienst am Montag.
«Die Präsenz der belarussischen Streitkräfte in der Nähe der Grenze wird die ukrainischen Truppen wahrscheinlich festsetzen, so dass sie nicht zur Unterstützung der Operationen im Donbass eingesetzt werden können», erklärt der Geheimdienst. Die belarussischen Streitkräfte hätten jedoch bisher nicht direkt in den Konflikt eingegriffen.
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Journal 21