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Kommentar 21

Sind wir Schmiede unseres Glücks?

27. Juni 2017
Reinhard Meier
Reinhard Meier
Gottfried Keller hat die Spruchweisheit, wir seien „Schmiede unseres Glücks“, ironisch gebrochen. So sollten wir es auch mit anderen gängigen Leitsätzen halten.

Der selbstgefällige Seldwyler Bürger Johannes Kabis, der Protagonist in Gottfried Kellers Novelle „Der Schmied seines Glücks“, ist überzeugt von der Richtigkeit dieses Titelspruchs  und er zitiert ihn daher gern und häufig. Doch mit seinen vermeintlich cleveren Unternehmungen, zu denen auch der Versuch gehört, in Augsburg zum Erben eines reichen alten Patriarchen zu werden, erleidet John Kabys peinvollen Schiffbruch. Kleinmütig muss er nach Seldwyla zurückkehren. Dort überlassen ihm mitfühlende Bürger günstig eine alte Nagelschmiede. Er lernt hier schliesslich „das Glück einfacher und unverdrossener Arbeit“ kennen.  Nicht Kabys selbst, so lehrt die Kellersche Erzählung, hat also sein Glück geschmiedet, sondern das Leben selbst (man kann es auch das Schicksal oder eine höhere Macht nennen) hat es ihm geschenkt.

You can get it if you really want?

Allzu weit verbreitet scheint diese Weisheit in unseren Breitengraden nicht zu sein. Nicht selten liest man in der Presse Interviews mit erfolgreichen Zeitgenossen, von denen manche auf entsprechende Fragen nach ihren besonderen Fähigkeiten gerne mit dem Spruch aufwarten „Jeder kann alles, wenn er nur will“.  Das erinnert wiederum  an den berühmten Song „You can get it if you really want, but you must try, try and try …“ des Reggae-Singers Jimmy Cliff, der seit dem Film „The Harder They Come“ zum  globalen Evergreen geworden ist.

Nichts gegen den Willen und Ansporn zu grossen Leistungen. Und selbstverständlich verdienen aussergewöhnliche Leistungen, wenn sie zustande kommen, auch unseren Respekt. Aber soll man beim Nachdenken im Ernst glauben, solche Triumphe seien allein unser eigenes Verdienst? Der Publizist Rolf Dobelli hat unlängst in der NZZ mit scharfer Stringenz argumentiert, dass man schwerlich behaupten könne, ein in Bangladesh geborener Durchschnittsbürger habe die gleichen materiellen Lebenschancen wie ein solcher in der Schweiz. Und wer von seinen hohen intellektuellen oder körperlichen Exploits behaupte, sie seien allein das Produkt eines starken Willens, sollte sich auch ein paar Gedanken darüber machen, durch welche Genkonstellationen diese Fähigkeiten und dieser starke Wille zustande gekommen ist – und ob diese wirklich unser persönliches Verdienst sind.

Dobelli meint, dass solche Überlegungen gerade die erfolgreichen Zeitgenossen zu einiger Demut und Bescheidenheit veranlassen sollten. Der Ratschlag gilt vielen unter uns.

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