Direkt zum Inhalt
  • Politik
  • Kultur
  • Wirtschaft
  • Gesellschaft
  • Medien
  • Über uns
close
Sprach-Akrobatik

Selbsternannt

4. September 2014
Stephan Wehowsky
Unsere Zeit ist subtiler geworden.

Man belegt Feinde nicht mehr mit abwertenden Ausdrücken wie Schwein oder Affe, Gelber oder Schlitzauge, man nennt sie auch nicht mehr „Untermenschen“, wie es die Deutschen zeitweilig für richtig und angemessen hielten. Doch bei aller Subtilität unserer Zeit: Abwertung muss nach wie vor sein. Daher hat sich das Wort „selbsternannt“ eingebürgert. Das klingt nicht nach pöbelhafter Verbalinjurie und erfüllt gerade deshalb seinen Zweck.

Die Welt wimmelt nur noch so von „selbsternannten“ Gotteskriegern, Stammesführern oder Bürgermeistern und Gouverneuren wie derzeit im Osten der Ukraine. Die westlichen Medien haben das Attribut „selbsternannt“ so fest an manche Namen geklebt, dass es wie ein unverzichtbarer Abwehrzauber wirkt.

„Selbsternannt“ bedeutet: Da masst sich jemand ein Amt an, das ihm nur von anderen, sei es durch Wahl oder im Rahmen einer Hierarchie“, verliehen werden könnte, aber nicht verliehen worden ist. Wer sich selbst ernennt, ist im Grunde ein erbärmlicher Wicht. Er bläst sich mit einer Bedeutung auf, die er faktisch nicht hat.

Der Feind: ein Wicht. Mit dieser Erkenntnis hat man ihn wenigstens schon einmal moralisch vernichtet, bis die robusteren Kräfte den physischen Rest erledigen. Aber wie immer, wenn so wunderbar klar zwischen „us and them“ unterschieden wird, gibt es einen gewaltigen blinden Fleck.

Kein „selbsternannter“ Gotteskrieger, Bürgermeister oder Gouverneur kommt ohne eine hinreichend grosse schlagkräftige Gruppe aus. Ohne seine Gefolgschaft ist er nichts. Täglich, stündlich muss er sich gegen Rivalen durchsetzen und seine Anhängerschaft konsolidieren. Das ganze ist natürlich anarchisch und folgt nicht den demokratischen Spielregeln, die bei uns gelten - sofern wir einmal Ränkespiele in Hinterzimmern und Wahlergebnisse bei minimalen Wahlbeteiligungen ausblenden.

Aber das Wort „selbsternannt“ hat noch eine andere Konnotation: Jemand bildet sich ein, er sei für ein bestimmtes Amt besonders geeignet oder gar berufen. Das ist der Grössenwahn des Feindes! Wie aber kommt jemand in demokratischen Staaten ganz nach oben, wenn er von seinen ausserordentlichen Führungsqualitäten nicht absolut überzeugt ist? Von diesen Aspirationen handeln zahllose Anekdoten. Und wie steht es mit Ärzten oder Geistlichen, wenn diese keine „innere Berufung“ spüren?

Und wenn es ans Verhandeln geht: Wird man dann von „selbsternannten Verhandlungspartnern“ sprechen oder bloss froh sein, dass da jemand ist, der die nötige Autorität hat, ein Ergebnis auch bei seinen Anhängern durchzusetzen?

Letzte Artikel

Der Papst und der Patriarch von Istanbul in Nizäa – Nur der Kaiser fehlte

Erwin Koller 4. Dezember 2025

EU berechenbarer als USA

Martin Gollmer 4. Dezember 2025

Dröhnendes Schweigen um Venezuela

Erich Gysling 1. Dezember 2025

Spiegel der Gesellschaft im Wandel

Werner Seitz 1. Dezember 2025

Bücher zu Weihnachten

1. Dezember 2025

Nichts Dringlicheres als die Rente?

Stephan Wehowsky 1. Dezember 2025

Newsletter abonnieren

Abonnieren Sie den kostenlosen Newsletter!

Abonnieren Sie den kostenlosen Newsletter!

Zurück zur Startseite
Journal 21 Logo

Journal 21
Journalistischer Mehrwert

  • Kontakt
  • Datenschutz
  • Impressum
  • Newsletter
To top

© Journal21, 2021. Alle Rechte vorbehalten. Erstellt mit PRIMER - powered by Drupal.