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Auch das noch

See- oder Baumsicht?

26. November 2014
Sabine Windlin
Sabine Windlin
Was anderswo ein Segen ist, kann in manchen Wohnlagen eine Plage sein: der Baum vor dem Fenster.

Dass Bäume der Vögel wichtigster Lebensraum sind, unser Landschaftsbild verschönern und zum Klettern animieren, wissen die Menschen zwischen Rorschach und Lausanne, aber nur Leute, die in wirklich exklusiven Lagen wohnen, vorzugsweise als Stockwerkeigentümer in Zug, sind sich im Klaren darüber, dass Bäume eigentlich stören. Sie rauben uns den Seeblick.

Höhe einfrieren

So kam es, dass an der Eigentümerversammlung das Traktandum „Baum“ zu behandeln war. Die drei Eschen in unmittelbarer Nähe zum Kinderspielplatz waren kaum gepflanzt und streckten ihre zierlichen Äste mit den wenigen, im Sonnenlicht fast durchsichtig schimmernden Blättern erst zaghaft gegen aussen, schon wurden sie zum Thema.

Die Eigentümerin aus dem 3. Stock schlug vor, die Höhe der Bäume – es waren eher Bäumchen – „einzufrieren“: Konkret gefordert wurde ein Wachstumsstopp. Man möge doch bitte bereits jetzt, so der Vorschlag, wo der Baum noch nicht allzu weit gediehen sei, dessen definitive Höhe bestimmen: bis hierher - und nicht weiter.

Der Einwand eines Sitzungsteilnehmers, die Bäume würden dereinst als Schattenspender für im Sandkasten spielende Kinder eine wichtige Funktion haben, wurde umgehend negiert: „Die Kleinen können einen Sonnenhut anziehen!“

Wertminderung durch den Baum

Es war klar, worauf die Angelegenheit hinauslief: die Dame hatte ihre Wohnung mit dem Wert steigernden Hinweis „Seeblick“ gekauft und dieser - nicht ein diffuser Blätterblick - sollte auch bei einem allfälligen Wiederverkauf erwähnt werden können. Dass Bäume wachsen, hatte der Dame zuvor niemand gesagt.

Es zeichnete sich im Laufe der Sitzung ab, dass der Baumgegnerin mit vernünftigen Argumenten nicht beizukommen war, geschweige denn mit einem Zitat von Wojciech Kuczok, dem 1972 geborenen polnischen Schriftsteller, der in seinem jüngsten Buch schreibt: „Jeder Mensch sollte vor dem Fenster einen Baum haben, zumindest den Teil eines Baumes, zumindest ein paar Äste, um zu sehen, wie ein anderer Organismus auf Wind und Regen reagiert, voller Gezwitscher zur Zeit der Vogelversammlungen, in Blüte oder mit fallenden Blättern, ruhig den Jahreszeiten entgegensehend, langlebig. Ich spreche von dem Recht jedes Menschen auf einen durch nichts verstellten Blick auf Blätter und Rinde.“

Die Meinungen der Eigentümergemeinschaft zum Traktandum „Baum“ waren klar: Im armen Polen mag sich das Mietvolk über den Anblick eines Baumes freuen, so naiv sind wir Zuger Immobilienbesitzer nicht.

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