
Nach einer Pause von knapp einem Jahr greife ich hier meine Gewohnheit wieder auf, einmal im Monat Im «Journal 21» wieder eine Kolumne zu publizieren, die sich mit klassischer Musik beschäftigt. Ab sofort soll es sich aber nicht mehr allein um Musik aus der Welt der Opern handeln, sondern ebenso Orchestermusik, Kammermusik und Musik von Instrumentalsolisten umfassen, unter dem Titel «Musik für diesen Monat».
Alle meine Empfehlungen sind CD-Aufnahmen und stammen aus meiner privaten Diskothek, die allesamt noch im erweiterten CD-Handel erhältlich sind.
Den Anfang macht ein Klavierzyklus von Robert Schumann aus dem Jahr 1838, den Schumann selbst 1850 noch einmal revidiert hat. Kreisler ist eine wichtige Figur im literarischen Werk von E. T. A. Hoffmann. Eine skurrile romantische Fantasiefigur also, grotesk und tragisch gleichzeitig, so wie auch Schumann selbst in unterschiedlichen Lebensphasen sich empfunden haben mag. Schumann hat das Werk ursprünglich Frederic Chopin gewidmet, was ein direkter Hinweis auf pianistische Bravour und Virtuosität gewesen sein mag.
Ein Wechselbad der Gefühle
Das Werk besteht aus acht pianistischen Phantasien, fünf Sätze in geradezu jagendem Tempo und drei im lyrischen Modus. Schumann nimmt uns mit in ein Wechselbad der Gefühle, nicht ohne uns allem auszusetzen, was ein Klavier oder moderner Flügel an Zauberwirkungen in sich bergen mag. Es ist darum kein Wunder, dass alle grossen Pianisten der Vergangenheit und der Gegenwart die «Kreisleriana» in ihr Repertoire aufgenommen haben, sodass es keinen Mangel an faszinierenden Interpretationen gibt.
Ich habe mich hier für eine Aufnahme mit dem grossen ungarischen Pianisten András Schiff entschieden, der, wie man weiss, ein ebenso überzeugender Interpret von Johann Sebastian Bach, Schubert und Bartók ist, um nur drei zu nennen unter den Komponisten die ihm am Herzen liegen. Seine Schumann-Aufnahmen in meiner Ausgabe sind 2009 bei Warner Classics erschienen.
Wie immer man sich Robert Schumann nähern mag: Sein Leben war ein Liebe- und Leid-erfülltes. Zumal sein spätes Werk erst im 20. Jahrhundert neu entdeckt und hochgeschätzt wurde. Seine Oper «Genoveva», das Violinkonzert, die Manfred-Ouvertüre, die späten Klavierwerke: lauter grosse und kleine Wunder, die ein Genie romantischer Klänge zum Schöpfer hatten.
Franz Liszt über Schumann
Niemand vermag es genau zu sagen, was für jeden Einzelnen von uns der innigste Beweggrund für sein Ausgeliefertsein an Musik sein mag. Robert Schumann war auch ein Meister im Umgang mit Worten, wie wir aus seinen Schriften und Briefen wissen. Die rororo-Bildmonographie von André Boucourechliev aus dem Jahr 1958 gibt Zeugnis von Schumanns Multitalent.
Von Franz Liszt gibt es aus dem Jahr 1855 – ein Jahr vor Schumanns Tod, er war bereits in der Klinik von Endenich – eine wunderbare Charakteristik von Robert Schumann: «Schumann hatte, ehe er Musiker wurde, sich zu sehr im Reiche der Phantasie bewegt, zu oft mit den das Feuer und die Luft bevölkernden Geistern verkehrt und in zu vertrauter Bekanntschaft mit jenen seltsamen, anziehenden, unmöglichen Wesen gelebt, wie sie dem Gehirn eines Hoffmann und Jean Paul entspringen, um seine Kunst nicht mit fortzuziehen in diese Regionen, die vielleicht minder göttlich, aber mannigfacher, phantastischer und zauberischer sind, als die jenes abstrakten Gefühls, das mit Sturmeswehen, mit einem Lufthauch die schlummernden Wellen der Instrumentation in Bewegung setzt. Dabei befähigte ihn aber ein seltenes Gleichgewicht zwischen lebhaftem Enthusiasmus, feuriger Einbildungskraft und wohltemperierter Kritik, sich Rechenschaft darüber zu geben, welchen Anteil unsere verschiedenen Fähigkeiten an der Produktion von Werken dieser Art haben.»
«Sinnbild der Seele des Klaviers»
Abschliessend möchte ich hier einige Sätze des Pianisten Edwin Fischer zitieren, die er 1949 in «Musikalische Betrachtungen» Schumann betreffend aufgenommen hat. «Seine Musik lebt, und unter den Händen magisch veranlagter Künstler, Dirigenten, im herrlichen Timbre einer beseelten Stimme erwacht sein ganzes Zauberreich zu neuem Leben: Da ersteht das Wien der vierziger Jahre, da jubelt und singt und tanzt es – und der ganze Zug seiner geliebten Gestalten zieht im Karneval an uns vorüber, der Dichter spricht, Eusebius und Florestan sind unter uns – die ‘Frauenliebe’ und die ’Dichterliebe’ flammen als herrliche Feuer der ewigen Macht des Eros auf dessen Altar. Zwischen Waldszenen, Kinderszenen, Nachtstücken geistert die Figur des Kapellmeisters Kreislers und für uns Pianisten wurde das Triptychon der C-Dur-Fantasie zum Sinnbild der Seele des Klaviers. (…) Wenn die Blumen alle wandern könnten, so zöge ein himmlisches Gefolge der schönsten, der Rosen, der Lilien, der Tulipanen und Kaiserkronen, geführt von der blauen Wunderblume der Romantik an sein Grab , es zu schmücken, und sie sammelten alle Tränen, die er je vergossen, und reihten sie perlengleich aneinander und bildeten eine Himmelsleiter bis hinauf zu den Sternen, zu den seligen Gefilden – in denen sein Geist, nun heiter und unbeschwert, wandelt, in ewiger Harmonie.»