Je näher die Abstimmung über die Bilateralen III rückt, umso mehr schwingen SVP-Exponenten die Hellebarden. Doch trotz momentan guter Umfragewerte haben die Nationalkonservativen kaum Chancen mit ihrem Kurs, der die Schweiz in die Isolation treibt.
Mit ihrem nationalkonservativen Gepolter mag die SVP in unverbindlichen Umfragen ein paar Prozentpunkte gewinnen, wie dies eben durch die Medien ging. Wenn es dann wirklich um die Wurst geht, werden eine Mehrheit von Schweizerinnen und Schweizern einen Vernunftentscheid für eine sichere und wohlhabende Schweiz in Europa treffen. Dies gilt für die gesamte Batterie von nationalkonservativen Sprengsätzen, welche mit Geld aus Herrliberg und neuerdings aus dem Steuerparadies Zug darauf abzielen, das Verhältnis der Schweiz zu unseren Nachbarn in Europa nachhaltig zu zerstören.
Neben dem Verhandlungspaket Schweiz–EU – den Bilateralen III – betrifft dies auch die Neutralitätsinitiative, die sogenannte Nachhaltigkeitsinitiative (Keine Zehnmillionen-Schweiz), die sogenannte Grenzschutzinitiative (Asylmissbrauch stoppen) und auch die nur scheinbar nicht aus derselben Ecke stammende sogenannte Kompassinitiative, die das doppelte Ja zur Bedingung für die Annahme der Bilateralen III machen will.
Der Teilnahmevertrag
Anders als die SVP-Verunglimpfung behauptet, sind die Bilateralen III kein «Unterwerfungsvertrag», sondern im Gegenteil ein umfassendes und ausgewogenes Verhandlungspaket Schweiz–EU. Es gibt der Schweiz zum ersten Mal ein Mitspracherecht bei der Teilnahme am europäischen Binnenmarkt. Dieser hat zu einem guten Teil zum Wohlstand der Schweiz beigetragen.
Der schweizerische Zugang zum EU-Binnenmarkt ist aber in Erosion begriffen und musste daher neu ausgehandelt werden, mit dem rundum befriedigenden Resultat der Bilateralen III. Die Polemik dagegen wird von einer Wirtschaftskapitänin geführt, deren Unternehmen ohne Export in europäische Kernländer nicht bestehen könnte.
Fast ebenso schlimm wie Nationalrätin Martullo-Blocher sind angebliche Experten, wie ausrangierte europäische Richter, spitzfindige und überängstliche Professoren, welche mit Kritik an Kleinigkeiten das ganze Verhandlungspaket in Frage stellen. Dasselbe gilt für die drei superreichen Urheber der Kompassinitiative aus Zug. In der vernünftig erscheinenden Verpackung «Allen eine Stimme geben» verlangen sie das obligatorische Ständemehr für die Abstimmung über die Bilateralen III.
Dies ist verfassungswidrig, wie der Bundesrat klar festgestellt hat. Zudem würde das Ständemehr in dieser Frage bedeuten, dass ein einziger ländlicher Appenzeller die gleiche Stimmkraft hätte wie Dutzende von urbanen Zürcherinnen.
Die Pro Putin-Initiative
Wäre der Text der Neutralitätsinitiative 2022 bereits gültiges Verfassungsrecht gewesen, hätte die Schweiz die EU-Sanktionen gegen den russischen Aggressor nicht übernehmen können. Das absurde Begehren, neutrales Verhalten in jedem Konflikt neu als Hauptziel aller schweizerischen Aussenpolitik festzulegen, kann man daher ganz korrekt als Pro-Putin-Initiative bezeichnen.
Neutralität ist nicht das Ziel, sondern eines unter mehreren Mitteln schweizerischer Aussenpolitik. Schon die Urheber unserer Verfassung haben daher die Wahrung der Neutralität lediglich als eine unter den «weiteren Aufgaben» des Parlaments eingereiht. Ob Neutralität heute in Europa überhaupt noch eine Bedeutung hat, ist umstritten. Im Ukrainekrieg hätte sie die Unterstützung des Kriegsverbrechers Putin bedeutet, was der Schweiz als Unterzeichnerin der Uno-Charta verboten ist und moralisch absolut verwerflich wäre.
Leider ist auch der Gegenentwurf des Ständerats, welcher die Initiative abgelehnt hat, nicht zu gebrauchen, weil er an der falschen Gewichtung der Neutralität als Staatsziel festhält. Der Gegenentwurf, so eine beteiligte Politikerin dem Schreibenden gegenüber, sei lediglich aus der Angst geboren, das in der Schweiz so beliebte Etikett «Neutralität» nicht rundweg abzulehnen. Dazu ist zu sagen, dass die oft zitierte Umfrage zur Beliebtheit der Neutralität mit der plumpen Fragestellung «Sind sie für oder gegen die Neutralität?» zu deren masslosen Überschätzung einlädt. Denn wer ist schon gegen «motherhood and apple pie», wie die Amerikaner sagen – auf Schweizerdeutsch etwa «gegen Mutter Helvetia und Rösti».
Anti-Wachstums-, Anti-Wohlstands- und Kündigungsinitiative
Diesen Sommer in National- und Ständerat, dem Beispiel des Bundesrates folgend, wuchtig verworfen, wird die sogenannte Nachhaltigkeitsinitiative im Sommer 2026 zur Abstimmung gelangen, als erste der SVP-Schreckpetarden gegen Europa. Würde dieser Text angenommen, müsste die Schweiz ihre Teilnahme an der Personenfreizügigkeit in Europa kündigen.
Die Folgen wären katastrophal für unser Land: Von den deutschen Ärzten bis zu den südeuropäischen Bauarbeitern und Kellnerinnen, von den osteuropäischen IT-Spezialisten bis zu den Universitätsprofessorinnen aus ganz Europa würden zahlreiche Fachkräfte fehlen, ohne welche die Schweiz, wie wir sie kennen, nicht mehr denkbar ist.
Zudem: Eine Kündigung der Personenfreizügigkeit würde von unseren Partnerländern in Europa nicht goutiert. Mittelfristig würden wohl alle Abkommen mit der EU von Brüssel gekündigt, kurzfristig würden alle unsere Annäherungsversuche, etwa in der Sicherheitspolitik, wo die Schweiz auf sich allein gestellt wehrlos ist, auf eine Mauer europäischer Ablehnung stossen. Die Schweiz würde zum egoistischen Aussenseiter im Herzen Europas.
Initiative gegen den Rechtsstaat
Das tatsächlich bestehende Problem illegaler Immigration ist für die Schweiz ein ebenso grosses Problem wie für unsere Nachbarländer. Es kann, wenn überhaupt, nur durch kontrollierte Aussengrenzen des Kontinents bekämpft werden. Das ist eine der Aufgaben des Schengen-Abkommens, dem die Schweiz sich wohlweislich seit dessen Beginn angeschlossen hat. Die Annahme der im September 2025 von der SVP eingereichten sogenannten Grenzschutzinitiative würde die Kündigung von Schengen bedeuten.
Das hätte vielleicht im zentralschweizerischen Oberiberg, wo SVP-Präsident und Hellebarden-Schwinger Dettling wohnt, weniger Folgen als an der langen Landesgrenze der Schweiz. Diese würde zum Ziel aller aus den Schengen-Staaten abgeschobenen Immigranten. Dettling müsste dann wohl nach Trumpscher Manier eine Spezialeinheit zum Aufspüren unrechtmässig in der Schweiz tätigen Ausländer fordern. Ganz zu schweigen davon, dass mit dieser Unrechtsstaatsinitiative eine lange schweizerische Tradition zur Formulierung, Propagierung und Befolgung von menschenrechtlichen Grundsätzen verletzt würde.
Die Schweiz nach dem Trump-Schock
Der europa- und ausländerfeindliche Grossangriff des bald abtretenden Volkstribuns aus Herrliberg wird von einer Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer abgelehnt werden. Eine Mehrheit will im Gegensatz zum aktuellen Drama in den USA die Tradition des demokratischen Rechtsstaates aufrechterhalten. Gerade wegen dieses Trump-Schocks wurde das Wissen gestärkt, dass sich die Schweiz Europa annähern muss, um zu überleben.
Glücklicherweise weiss das auch Verteidigungsminister Martin Pfister, der eben in Deutschland einen Schritt zur sicherheitspolitischen Verzahnung mit Europa getan hat. Aber weiss das auch unsere Bundespräsidentin? Es irritiert, dass sie bei ihrer Ankunft am kürzlichen Europa-Gipfel in Kopenhagen, wo die russische Aggression gegen Europa im Mittelpunkt stand, den Medienvertretern beschied, Sicherheit sei kein Thema und im Schweizer Bundesrat nicht besprochen worden.