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Europa

Plädoyer für eine europäische Streitmacht

18. Juni 2017
Daniel Woker
In Rufweite des Bundeshauses erklärt ein deutscher Liberaler, warum und wie Europa mehr für seine Sicherheit tun muss.

Alexander Graf Lambsdorff ist Vizepräsident des europäischen Parlamentes, überzeugter Liberaler und europäischer Vordenker der deutschen FDP.  Wie sein Onkel, der ehemalige Bundesminister für Wirtschaft, glaubt er nicht, dass der Staat alles tun müsste. Er ist aber überzeugt, dass die Bürger von Europa, also der EU, mehr Sicherheit verlangen. Weil Sicherheit für den einzelnen Bürger von keinem Nationalstaat mehr allein geleistet werden kann.

Ein europäisches FBI

In seiner kürzlichen Rede an der Uni Bern im Rahmen der bemerkenswerten Vorlesungsreihe AULA (Aussenpolitik von Aussenpolitikern) der Schweizerischen Gesellschaft für Aussenpolitik plädierte Lambsdorff für eine Art europäische FBI. Angesichts grenzüberschreitender Kriminalität und islamistischem Terror genügt „Europol“ nicht länger. Es braucht nicht mehr nur Datensammlung und Koordination nationaler Anstrengungen, sondern Kompetenz zu eigener Untersuchung und Strafverfolgung.

Mehr als Frontex

Wie Europol ist „Frontex“, die europäische Behörde zum gemeinsamen Grenzschutz, ein Vehikel zwischenstaatlicher Koordination. Auch hier reicht dies nicht mehr aus, so Lambsdorff. Frontex braucht militärische Muskeln und eigene Entscheidungsfähigkeit.

Für beides dient die Intervention in Libyen, welche zum Sturz von Gadhafi führte, als Menetekel. Angesichts eines drohenden Genozids durch die Schergen des libyschen Diktators in Bengasi kam damals ein europäisches Abseitsstehen nicht in Frage. Nach 48 Stunden Einsatz waren aber die für einen nachhaltigen Luftschlag notwendigen Reserven der beiden führenden Militärmächte Europas, Frankreich und Grossbritannien, aufgebraucht. Die USA mussten zu Hilfe eilen; „leading from behind“ nannte dies der interventionsscheue Präsident Obama.

Eine konventionelle europäische Streitmacht

Eine solche Operation zu nachhaltiger Grenzsicherung „über den nahen Horizont hinaus“ muss in Zukunft allein mit europäischen Mitteln möglich sein. Weil zentrale europäische, nicht aber amerikanische Interessen auf dem Spiel stehen. So wie die Vermeidung einer Situation, wie sie zur unkontrollierten Armutsimmigration aus Afrika, und damit zum anschwellenden Bocksgesang europäischer Nationalisten geführt hat.

Dies braucht natürlich mehr Mittel. Lambsdorff glaubt, dass dazu primär eine Europäisierung der bestehenden nationalen Streitkräfte notwendig ist, ohne sich allein auf die in der Nato gebräuchliche Zahl von mindestens 2% der einzelnen Staatsbudgets zu versteifen. Europäisierung auch im Verteidigungsbereich beginnt aber mit gemeinsamer Beschaffung und Ausbildung. Dem standen bislang nicht nur rüstungspolitische, sondern auch wirtschafts- und souveränitätspolitische Gründe entgegen.

Brexit, Trump und Putin

Wenn nun Angela Merkel vor kurzem gesagt hat, dass „wir unser Schicksal in die eigenen Hände nehmen müssen“, so spreche sie die grundlegenden Veränderungen an, welchen sich Europa gegenübersehe. Mit Brexit und Trump sind zwei bisherige Pfeiler europäischer Sicherheitsgarantien am Wanken, mit dem Regime eines aggressiven Zaren in Moskau wird die Ostgrenze der EU nachhaltig destabilisiert.

Jedenfalls in der Bundesrepublik sei damit breite politische Unterstützung für „mehr Europa“ auch in Sicherheitsfragen vorhanden. In Brüssel hat die Vertreterin für Aussen- und Sicherheitspolitik Federica Mogherini gleich nach dem Brexit-Entscheid ein EU-Verteidigungspapier vorgelegt, in dem zwar das Wort „Europäische Armee“ nicht ausdrücklich vorkommt, tatsächlich aber eine europäische Streitmacht angesprochen wird. Mit Emmanuel Macron und seiner klaren Mehrheit im Parlament dürfte auch in diesem Bereich die deutsch-französische Antriebswelle der EU wieder ins Rollen kommen.

Staatsinteresse

Neben der Sicherheit sprach Lambsdorff weitere Bereiche an, wo und wie die demokratischen Kräfte in der EU das Vertrauen der Bevölkerung in europäischen Fortschritt zurückgewinnen müssen. Allen diesen Punkten gemeinsam war die nüchterne Feststellung Lambsdorffs, dass die EU „ein essentieller Teil des deutschen Staatsverständnisses darstellt“, wofür gewisse Opfer unumgänglich seien.

In der Diskussion auf den aktuellen schweizerischen Diskurs zu Europa angesprochen, äusserte sich Lambsdorff höflich, aber unmissverständlich. Ja, gewisse Entscheide, wie beispielsweise die Abstimmung über die sogenannte Masseneinwanderungsinitiative wären als EU-Mitglied nicht mehr möglich. So wie dies in jüngster Zeit auch generell in Brüssel zu hören ist: Die Schweiz wird sich entscheiden müssen. Darüber, ob europäische Sicherheit nicht auch schweizerischem Staatsinteresse entspricht.

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