Das Bundesgericht erweist sich bei der Beurteilung der Befangenheit eines seiner Mitglieder selber als befangen. Betrachtet man den Vorgang im Detail, kommen Verfehlungen an den Tag, die das oberste Gericht in einem unvorteilhaften Licht zeigen.
In den CH-Medien (27. Dezember 2025) wird ein Fall geschildert, wonach ein vom Bundesstrafgericht wegen Geldwäscherei Verurteilter vom Bundesgericht freigesprochen worden ist. Bei diesem bundesgerichtlichen Freispruch wirkte ein Bundesrichter mit, der zuvor als Bundestrafrichter im gleichen personellen Zusammenhang bereits zwei Freisprüche wegen Geldwäscherei zu verantworten hatte. Die Bundesanwaltschaft stellte daher wegen Befangenheit eines der urteilenden Richter ein Revisionsgesuch an das Bundesgericht.
Ungeheuerlichkeit Nr. 1
Bei der Beurteilung dieses Revisionsgesuches durch das Bundesgericht kam es zu einer ersten rechtsstaatlichen Ungeheuerlichkeit: Das Dreiergericht lud den betreffenden Bundesrichter zu einer Stellungnahme ein. Man kann den Anspruch auf rechtliches Gehör ja auch ad absurdum treiben. Der Betroffene sah selbstverständlich keine Befangenheit seinerseits, sonst hätte er ja von sich aus in den Ausstand treten müssen. Er sah keine Gründe, dies zu tun.
Ungeheuerlichkeit Nr. 2
Dabei kommt es darauf an, ob objektiv der Anschein von Befangenheit vorliegt. Seine Kollegen in diesem bundesgerichtlichen Gremium folgten ihm und lehnten das Revisionsgesuch der Bundesanwaltschaft ab. Das war die zweite Ungeheuerlichkeit bei diesem Entscheid. Das Bundesgericht argumentierte, die Bundesanwaltschaft hätte früher, d. h. vor der Beurteilung der strafrechtlichen Frage, ob Geldwäscherei vorliege oder nicht, Einspruch gegen den betreffenden Bundesrichter erheben müssen. Zwar werde die Zusammensetzung des Spruchkörpers in den zu beurteilen Fällen nicht publiziert, doch sei die Zusammensetzung der zuständigen Abteilung bekannt. Dass die Zusammenseetzung eines Spruchkörpers aus kurzfristigen Gründen ohne Weiteres geändert werden kann, scheint für das Bundesgericht ohne Belang. Und gerade hier hätte ein solcher Grund vorgelegen. Dieses Dreiergericht argumentierte so auch an der eigentlichen Streitfrage vorbei.
Es ging im Revisionsverfahren nicht mehr direkt um die strafrechtliche Frage, sondern darum, ob strafprozessual das Richterkollegium rechtsstaatlich korrekt zusammengesetzt war. Mit der Begründung, die Bundesanwaltschaft hätte das Ausstandsgesuch früher stellen müssen, vermengt das Bundesgericht die beiden Verfahren, dasjenige über die Frage der Strafbarkeit des vorinstanzlich Verurteilten und dasjenige im Revisionsverfahren über die Zusammensetzung des Spruchkörpers.
Ungeheuerlichkeit Nr. 3
Hätte die Bundesanwaltschaft ahnen müssen, dass im Revisionsverfahren erneut der betreffende Bundesrichter in der Form der Anhörung mitwirken wird? Darf die Bundesanwaltschaft beim Bundesgericht nicht davon ausgehen, dass dieses der verfassungsrechtlichen Pflicht von Treu und Glauben nachkommt? Art. 5 Abs. 3 der Bundesverfassung lautet: «Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben». Dass dies bei Privaten nicht immer der Fall ist, beweist die Notwendigkeit von Gerichten. Dass sich das Bundesgericht aber nicht daran hält, ist die dritte Ungeheuerlichkeit.
Das Bundesgericht hat in früheren Fällen ganz anders, rechtsstaatlich korrekt entschieden. So in einem Urteil vom Dezember 2024: «Den Anschein von Befangenheit erwecken können daher insbesondere vor oder während eines Prozesses abgegebene Äusserungen, die den Schluss zulassen, dass sich der Richter oder die Richterin bereits eine feste Meinung über den Ausgang des Verfahrens gebildet hat» (Urteil 7B_985/2024). Das war mit dem Freispruch als vorinstanzlicher Richter im gleichen personellen Zusammenhang der Fall.
Missachteter Leitentscheid
Oder: «Eine Praxis, welche den dargelegten Anforderungen nicht nachkommt, ist mit Art. 30 Abs. 1 und Art. 191c BV sowie Art. 6 Ziff. 1 EMRK unvereinbar und kann den Anschein der Befangenheit nicht nur in Bezug auf die betroffene Gerichtsperson, sondern für den gesamten Spruchkörper begründen» (BGE 137 I 227. E. 2.6.4: ein Leitentscheid!).
Und auch dieser Leitentscheid war nicht aus der Luft gegriffen, denn in einem früheren Urteil von 2010 heisst es: «Nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat der Einzelne Anspruch darauf, dass seine Sache von einem durch Gesetz geschaffenen, zuständigen, unabhängigen und unparteiischen Gericht ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Dieser Anspruch ist verletzt, wenn bei einem Richter – objektiv betrachtet – Gegebenheiten vorliegen, die den Anschein der Befangenheit und der Gefahr der Voreingenommenheit begründen. Solche Umstände können entweder in einem bestimmten Verhalten des betreffenden Richters oder in gewissen äusseren Gegebenheiten funktioneller und organisatorischer Natur begründet sei.» (Urteil 1C_278/2010, E 2.2). Klarer geht es nicht.
Prozessuales vor Materielles gestellt
Es kommt dazu, dass das Argument, die Bundesanwaltschaft hätte ein Ausstandsbegehren vor der strafrechtlichen Urteilsfindung stellen müssen, ebenfalls verfehlt ist, denn damit wird eine bloss prozessuale Ordnungsvorschrift über eine materiell-rechtlich zwingende Ausstandsbestimmung gestellt.
Dieser Revisionsentscheid des Bundesgerichts ist daher nicht nur durch drei Ungeheuerlichkeiten zustanden gekommen, sondern untergräbt das Vertrauen ins Bundesgericht.
Die NZZ titelte kürzlich: Skandal am obersten Gericht: Brasiliens Richter brauchen einen Verhaltenskodex. Das Bundesgericht auch? Das fragte man sich schon im Frühsommer 2020 nach der sexistischen Entgleisung des damaligen Bundesgerichtspräsidenten im Zusammenhang mit einer Inspektion beim Bundesstrafgericht, die – von ihm geleitet – zudem verfahrensrechtlich auch nicht korrekt durchgeführt worden war.