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Irak-Chilcot report

Musste Saddam Hussein weg?

26. Juli 2016
Daniel Woker
Klar ist, dass die Irak-Invasion 2003 katastrophale Fogen hatte. Ob sie deshalb grundsätzlich ungerechtfertigt war, ist nicht nur historisch von Interesse.

Der kürzlich veröffentlichte Chilcot-Bericht hat deutlich gemacht, dass die britische Beteiligung an der amerikanisch geführten Invasion des Iraks zum Sturz des Diktators Saddam Hussein ein Fehler war. In einem durchdachten und schonungslos aufrichtigen Kommentar kommt ein  damaliger Kommentator im „Journal 21“ zum  Schluss, dass Planung, Durchführung und vor allem der strategische Gewinn für das schiitische Iran von allierter Seite wenig durchdacht waren. Unterstützung, eingeschlossen rethorischer Art, für die Invasion sei ein Fehler gewesen.

Logenplatz in Kuwait City

Das ist, auch wenn der Bonus der Rückschau abgezogen wird, zweifellos richtig. Der primär aus militärisch-logistischen Gesichtspunkten heraus gewählte Zeitpunkt der Invasion im Frühjahr 2003 war politisch kaum abgesichert und in der Uno sowohl politisch wie auch völkerrechtlich heftig umstritten. 

Nach einem kurzen, rein militärisch zunächst erfolgreichen und wenig Opfer fordernden Einmarsch wurden dann insbesondere von einer ideologisch verblendeten Besatzungsbehörde der Administration George W. Bush  die Früchte dieses schnellen Erfoges sträflich verspielt. Zudem konnte sich damals kaum jemand vorstellen, wie völlig jedes national- und rechtsstaatliche Bewusstsein unter den Iraki in der Folge jahrzehntelanger Diktatur ausradiert worden war.

Aus beruflich bedingtem Zufall hatte der Schreibende in den vier Jahren im Vorfeld der Invasion einen diplomatischen Logenplatz inne. Kuwait City ist lediglich 40 Kilometer vom irakischen Anstoss am Schatt-al-Arab an den persischen Golf entfernt und diente bekanntlich als Sprungbrett der alliierten Invasion. In dieser spezifischen Perspektive, vor dem Hintergrund des irakischen Vernichtungsfeldzuges gegen Kuwait 1990/91 und dem damals keineswegs abwegigen Szenario, dass Saddam die Einverleibung des erdölreichen Ministaates erneut versuchen könnte, sind insbesondere drei Aspekte zu erwähnen, welche den damaligen Entscheid zur Invasion etwas komplexer darstellen. Trotz 800 Seiten werden sie im Chilcot-Bericht unverständlicherweise kaum behandelt.

Operation „Desert Fox“

Da ist erstens die Tatsache zu erwähnen, dass es Präsident Clinton war, nicht die „kriegslüsterne Bush-2 Regierung“, welcher den Regimewechsel im Irak zum Ziel erklärte, was vom amerikanischen Kongress mit überwältigender Mehrheit bereits im Herbst 1998 zum Gesetz erhoben wurde. Er hatte allen Grund dazu. Saddam hatte zur Genüge gezeigt, dass er sich sowohl gegen innen (Giftgasangriffe gegen irakische Kurden, Aushungerung von Schiiten im Delta des Schatt-al-Arab) als auch international (Sabbotage aller dem Irak nach der Befreiung von Kuwait auferlegeten Abrüstungsmassnahmen der Uno) an keinerlei Regeln hielt. 

Mit anderen Worten stellte der Irak unter Saddam Ende der 90er Jahre durchaus, und im Westen wenig bestritten eine „clear and present danger“ dar, für die eigene Bevölkerung, für seine Nachbarn und für den Weltfrieden generell.

Nach einer speziell  flagranten Verletzung der Uno-Massnahmen durch Saddam (Ausweisung aller Uno-Experten) fand dann Ende 1998 „Desert Fox“ statt, eine viertägige Bombardierung irakischer Militäreinrichtungen durch die USA. Gleichzeitig wurden Vorbeugemassnahmen in Kuwait verstärkt; so führten wir in der Botschaft mit der relativ kleinen Schweizergemeinde in Kuwait Gasmaskendrills und weitere Schutzmassnahmen gegen B/C Kampfstoffe durch.

Das Trauma von Saddams Invasion in Kuwait 1990

Wie man jetzt weiss, war die Sorge wegen irakischen Massenvernichtungswaffen (WMD) weitgehend unbegründet. Damals war dies aber keineswegs so. Die von der Uno entsandten Experten hatten wohl eine gewisse Menge von ABC-WMD unschädlich gemacht, aber ob alles weg war, und ob Saddam nicht im Begriffe war, ein neues Arsenal aufzubauen, wusste niemand. Auch die Experten nicht, unter denen sich eine gewisse Anzahl von Spezialisten aus „Spiez“ (ABC-Zentrum der schweizerischen Armee) befand. Dies der zweite Grund , warum eine gelegentliche Entfernung von Saddam damals breit akzeptiertes Ziel war.

Schliesslich ist das Trauma der Besetzung von Kuwait vom Sommer 1990 bis Frühling 1991 zu erwähnen. Die Iraki hatten damals gehaust nicht wie die Deutschen in Norwegen während des 2. Weltkrieges, sondern wie damals die Nazis in Osteuropa. Plünderung, Folter, Verschleppung und willkürliche Ermordung waren an der Tagesordung, ethnische Säuberung eben einer laut Saddam „historischen Provinz des Iraks“. (Was keineswegs den Tatsachen entspricht, ist doch die überwiegende Mehrheit der Kuwaiti entweder aus dem Innern der Halbinsel oder über den Golf hinweg aus Persien eingewandert.)

Keine kuwaitische Familie, welche nicht aus eigener Erfahrung Saddam und seine Schergen abgrundtief hasste. Der Freudentaumel fiel entsprechend aus, eingeschlossen beim antiwestlichsten Islamisten, als der Tyrann schliesslich gestürzt wurde.

Notwendige Unterscheidungen

Damit soll nun keineswegs die Geschichte neu geschrieben werden. Es ist aber von grösster Wichtigkeit, dass eine klare Unterscheidung gemacht wird mit Bezug einerseits auf Notwendigkeit und Berechtigung, Saddam zu stürzen, und andererseits bezüglich Zeitpunkt und  konkretem Vorgehen. So wenig wahrscheinlich eine grosse westliche Militäraktion nach zwei, selbst in den USA als verloren wahrgenommenen Kriegen in Afghanistan und im Irak im Moment auch scheint, so wenig ist die Notwendigkeit für sicherheitspolitisch harte Massnahmen gegen „rogue states“ und deren Popanzen ein für alle Male auszuschliessen.

Angesichts von ISIS-Metastasen in Libyen, in Schwarzafrika und anderswo gilt das auch und speziell für Europa, wenn wirklich alle Gewaltausläufer illegaler Migration und islamistischen Terrors bekämpft werden.

                                                                                                                                              

 

    

         

   

   

 

 

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