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Lobbying

Machtspiele in der Schweiz

27. April 2025
Christoph Zollinger
Christoph Zollinger
von Links: Gerhard Pfister, Markus Ritter, Martin Pfister, Matthias Bregy
Die beiden Bundesratskandidaten der Mitte-Partei, Markus Ritter und Martin Pfister (mit Blumenstrauss) bei der Vorstellung im Bundeshaus am 21. Februar 2025. Pfister gewann die Wahl gegen den bäuerlichen Oberlobbyisten Ritter. (Foto: KEYSTONE/Peter Klaunzer)

Überraschungs-Niederlage für den Chef-Lobbyisten. Was heisst das für den helvetischen Lobby-Betrieb?

Am Mittwoch, dem 12. März, passierte Unerhörtes im Bundeshaus: Der bekannteste und virtuoseste Lobbyist der Schweiz verlor – die Bundesratswahl. Darf man das so interpretieren, dass auch im National- und Ständerat die Einsicht keimt, dass das helvetische Lobbysystem seinen Zenit überschritten hat? Zweifel sind angebracht.

Immer wieder hört man, Lobbyisten aus der Wirtschaft ginge es darum, Einfluss zugunsten ihres Unternehmens zu nehmen. So gilt es zu berücksichtigen, dass z. B. die UBS 2023 675'000 Franken an SVP, FDP, Mitte und GLP spendete. Das Parlament soll jetzt darüber entscheiden, welche Eigenmittelregeln für die einzige Schweizer Grossbank zukünftig gelten sollen. Da wird wohl hier und dort ein indirekter Zusammenhang vermutet.

Gekaufte «unabhängige» Politik?

Alle Schweizer Grosskonzerne budgetieren namhafte Beträge in ihren Kommunikationsabteilungen, deren Aufgabe es ist, via Lobbyisten und PR-Spezialisten Einfluss auf die Gesetzgebung in Bern zu nehmen. Dies ist weder verboten noch prinzipiell falsch. Doch, fragt es sich, sind die damit erzielten Erfolge auch im Sinne der Bevölkerung?

Ist die vielgerühmte Unabhängigkeit der Parlamentarier wirklich garantiert? Neuerdings gibt es zwar eine Deklarationspflicht für Unterstützungsgelder an politische Figuren und Gruppierungen, doch bei weitem werden nicht alle diese Zuwendungen erfasst. Die entsprechenden «Löcher» sind bekannt.

Lobbying hat im Volk einen wachsenden schalen Nachgeschmack. Unser Schweizer Politsystem lässt jedoch einen sehr grossen Spielraum offen. Nun hat bei der Bundesratswahl vom vergangenen März ausgerechnet der siegesgewisse Chef-Lobbyist (der Bauern) überraschend verloren. Was steckt hinter dieser Entwicklung? 

Meine persönliche, abenteuerliche Vermutung geht in die Richtung, dass es einer steigenden Anzahl Damen und Herren in diesen Räten nicht mehr ganz wohl ist mit dem jetzigen politischen Zustand des Landes, bei dem die Bauern in Bern das Sagen haben. Konservative, auf ihre Kundschaft fixierte Lobbyisten – wie es Herr Ritter ist – sind Vertreter eines helvetischen Regierungssystems, dessen Organisationsstruktur einst von Napoleon begründet worden ist. Es könnte, wie ich seit 20 Jahren schreibe, mittlerweile reformbedürftig sein. 

Doch wird in Zeiten erhöhter Transparenzforderung an die Regierungen (unterstrichen und ermöglicht durch entsprechende Fortschritte der IT-Branche) die verdeckte Arbeit der Lobbyisten nicht immer fragwürdiger? «Öffentlich» statt «geheim» bei der Publikation von Ratsbeschlüssen ist Ausdruck dieses Wandels. Damit einher geht der Ruf nach Klärung der politischen Machtstrukturen: Wer beeinflusst hinter den Kulissen und vor Abstimmungen das Verhalten der Verantwortlichen? Und wie steht es eigentlich mit den Machtkartellen der Verwaltungen?

Helvetische Machtkartelle 

Sie dirigieren diskret und leise hinter den Kulissen. Tatsächlich bringt es die föderale Struktur der Schweiz mit sich, dass auf allen drei Ebenen – Gemeinden, Kantone, Bund – hinter den Exekutiven und Legislativen die Verwaltungen vorbestimmen und vorentscheiden. Hier sind die Praktiker, die Insider, die sich seit Jahren mit den Geschäften beschäftigt haben – dort sind die «Dilettanten», die temporär involvierten Politikerinnen und Politiker auf Kantons- und Bundesebene respektive «das stimmberechtigte Volk».

«Unten», auf kommunaler Ebene, sind es vielenorts die Repräsentanten der Baubranche, die vor Abstimmungen zusammenspannen, an Gemeindeversammlungen Sympathisanten mobilisieren und auf diese Weise Abstimmungsresultate in ihrem Sinne – oft jedoch nicht im Sinne der Bevölkerung – entscheiden.

Auf Kantonsebene lobbyieren die kantonalen Abgeordneten in den Wandelhallen des Bundeshauses. «Es dominiert ungezähmtes Kantonslobbying», sagt die Föderalismusforscherin Rahel Freiburghaus (furrerhugi). Leider gibt es keine Liste der in Bern akkreditierten Kantonslobbyisten – es dürften rund 20 sein. Sie wirken unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nochmals Freiburghaus: «Die eigentliche Blackbox sind die direkten Kontakte zwischen den kantonalen Exekutiven einerseits, dem Bundesrat, der Bundesverwaltung und den Ratsmitgliedern andererseits (NZZ am Sonntag). Diese «Spezialität» des öffentlich finanzierten Lobbyismus ist kein Ruhmesblatt der föderalistischen Schweiz, auf die wir so stolz sind.

Bleibt die Bundesverwaltung selbst, die oberste Ebene. Ein Vorgeschmack: Innerhalb von 15 Jahren ist die Zahl der Vollzeitangestellten beim Bund um 20 Prozent auf 38'600 gestiegen. Da mag es wenig erstaunen, dass die «meistunterschätzte Macht im Land die Bundesverwaltung ist» (NZZ am Sonntag). Verschiedene politische Player haben sich dahingehend geäussert, dass die Bundesbeamten mächtig seien und nie zögerten, ihre Ideen einzubringen. Ehemalige Bundesräte können ein Müsterchen davon erzählen, wie sie mit ihren Beamten rangen. Diese seien die dominante Kraft in Bern. Christoph Blocher: «Die faktische Macht liegt jedoch bei der Verwaltung. Erstens sind es viele. Zweitens überleben sie fast alle Bundesräte. Drittens haben sie ein grosses Netz untereinander.» (NZZ am Sonntag)

Zum Machtkartell in Bundesbern: Jedes Mitglied der Bundesversammlung hielt 2023 durchschnittlich rund acht Interessenbindungen. Im amtlichen «Register der Interessenverbindungen» wird über die diversen Verflechtungen zwischen Politik und Lobbys berichtet. «Durchschnittlich» heisst, es können auch mal bei einer Person über 30 Verwaltungsrats-, Direktions- oder Verwaltungsratsposten sein …

Wenn ich eingangs gefragt habe, ob nach der Bundesratswahl im März 2025 im National- und Ständerat die Einsicht keime, das helvetische Lobbysystem habe seinen Zenit überschritten, so ist mir klar, dass solche ketzerischen Ideen noch Jahre bis zur Erfüllung zu warten haben. Dem helvetischen System aus dem 19. Jahrhundert täten zwar Reformschritte gut, doch es ist ausgesprochen reformresistent – dafür ist es im Vergleich zu anderen Regierungsformen zu erfolgreich.

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