Wie Präsident Trump mit der Wahrheit umgeht, ist allen normal denkenden Menschen klar. Gefragt wird allenfalls, ob er nach zwei Minuten noch wisse, was er eben zuvor gerade gesagt hatte, an gestern nicht zu denken.
Dennoch ist in seinem Umgang mit Tatsachenwidrigkeiten, auch wiederholter Behauptungen (an die er sich dann zu erinnern vermag), die nachweislich und bekanntermassen falsch sind, eine Art Systematik festzustellen. Es sind ja nicht «kleine» Unwahrheiten, die auch auf eine mögliche Gedächtnisfehlleistung zurückgeführt werden können. Es sind massive Unwahrheiten oder eben Lügen.
Dieses «System» hat ein übelstes Vorbild. Der in der Weimarer Republik sehr erfolgreiche Schriftsteller und Theaterautor Bruno Frank schrieb 1939, am Tag bevor der 2. Weltkrieg von Hitler losgetreten wurde, in Kalifornien, wohin er mit seiner Frau geflüchtet war, ein Essay: «Lüge als Staatsprinzip». Gedacht war dieser Text für eine von Thomas Mann, der sein Nachbar und Freund wurde, konzipierte Schriftenreihe. Dies gelang bis zu Franks Tod 1945 nicht. Nun wurde der Text im Nachlass Franks in der Münchner Stadtbibliothek/Monacensia gefunden und letztes Jahr erstmals publiziert. Er liest sich wie eine Anleitung zum Trump’schen Regierungsstil:
«In der Grösse einer Lüge liegt immer ein gewisser Faktor des Geglaubtwerdens, da die breite Masse des Volkes bei seiner primitiven Einfalt ihres Gemüts einer grossen Lüge leichter zum Opfer fällt als einer kleinen … Sie wird an die Möglichkeit einer so ungeheuren Frechheit der infamste Lüge auch bei anderen nicht glauben können …»
Dies ist ein von Frank für den Titel des Essay verwendetes Zitat aus Hitlers «Mein Kampf» (S. 244).
Mit Zivil- oder Strafklagen eingedeckt
Damit soll hier die amerikanische Bevölkerung nicht mit Hitlers Abqualifizierung des damaligen deutschen Volkes verglichen werden. Aber es ist dennoch höchst erstaunlich, dass bisher zwar eine eher knappe Mehrheit der amerikanischen Wählerinnen und Wähler nur mit der Regierung, d. h. vor allem der ökonomischen Entwicklung, nicht zufrieden ist, sich aber ausschliesslich intellektuelle Kreise und wenige der Qualitätsmedien auch gegen die offenkundige Lügenmaschinerie Trumps und seiner Adlaten zur Wehr setzen. Wenn vor allem Medien dieses zu tun wagen, werden sie mit Zivil- oder Strafklagen eingedeckt, Medienleute in unflätigster Weise diffamiert. Dies kommt der faschistischen Methode gleich.
Zuvor heisst es bei Hitler: «In der ewig gleichmässigen Anwendung der Gewalt allein liegt die allererste Voraussetzung zum Erfolge» (S. 188). Die Parallele zum Vorgehen der Einwanderungsbehörde ICE, kombiniert mit dem Einsatz des Militärs innerhalb der USA, ist nicht zu übersehen. Dafür schiebt Trump eine zumindest im Ausmass nicht gegebene kriminelle Bedrohung in einzelnen Städten vor. Diese könne durch die örtliche Polizei nicht wirksam bekämpft werden, weshalb er Truppen einsetze. Dies bestreiten nicht nur die örtlichen zuständigen Behörden, sondern bestreitet auch die dortige Bevölkerung. Umgekehrt begnadigt er alle jene Anhänger von ihm, die wegen der Gewaltverbrechen am 6. Januar 2021 beim Sturm aufs Kapitol zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden sind.
Die Tragödie geschehen lassen
Es macht den Anschein, dass die Menetekel überall ausserhalb der USA deutlich festgestellt werden, die Republikaner im Parlament – von wenigen einzelnen Ausnahmen abgesehen – die Tragödie aber geschehen lassen, obwohl ihnen die rechtlichen Mittel, dem allem Einhalt zu gebieten, zustehen. Sie tragen Mitverantwortung am Untergang der Rechtsstaatlichkeit der USA.
Davon ist nicht nur die Bevölkerung der USA betroffen, sondern fast alle in Trumps Visier geratenen Länder. Diese bekämpft er mit wirtschaftlichen Aktionen oder droht mit dem Einsatz militärischer Gewalt. Auch für dieses völkerrechtswidrige Verhalten tragen die republikanischen Parlamentarier die entsprechende Mitverantwortung. Man wird sich erinnern.
Dass die freiheitlichen Ordnungen in der Welt nicht nur von Putins und teilweise chinesischem kriegerischem Expansionismus, sondern nun von zwei Seiten her derart unter Druck geraten, ist bedrohlich.