Die Schlussklassierung der Schweiz unter den Zollopfern von Trump und der letzte Platz, den die Neutralität einnahm in einer kürzlichen Befragung nach den Idealen der Schweizer, sind direkt verknüpft: Regierung und viele Politiker haben, im Gegensatz zu einer Mehrheit im Volk, noch nichts begriffen.
Ohne ein Wunder in Form eines plötzlichen Sinneswandels von Trump wird die Schweiz mit den praktisch höchsten Zollsätzen aller Exporteure in die USA bestraft, zudem droht Roche und Novartis Trump’sches Ungemach in Form von künstlich gesenkten Konsumentenpreisen in den USA: eine ganz spezielle Art von Special Relationship zwischen den zwei «ältesten Republiken der Welt»
Eine wirkliche Sonderbeziehung unterhält die Schweiz mit ihren europäischen Nachbarn auf der Basis von Geschichte, Kultur und Wirtschaft. Allein in der Sicherheitspolitik nehmen wir nicht nur letzte Plätze in der internationalen Beschaffung von Rüstungsmaterial ein. Sondern es kommt die oft unserer Aussenpolitik generell zugrunde liegende Neutralität von diesen Partnern unter Beschuss.
Zuviel Schmeicheleinheiten Trump?
Seit dem «Liberation Day» im April haben besonnene Stimmen in der Schweiz geraten, in möglichst enger Absprache mit der EU gegen die Erpressung von Trump vorzugehen. Denn bei aller sicherheitspolitisch bedingten Zurückhaltung gegenüber dem launischen Trump als wichtigster Akteur in der Nato verfügt die EU als grösste Wirtschaftsmacht der Welt über Hebel gegen die USA. Die Schweiz nicht.
Desungeachtet hat unsere Regierung, unter der Anleitung der «Vance-Versteherin» Karin Keller-Sutter – man erinnert sich an ihre lobenden Worte nach der skandalösen Rede von US-Vizepräsident Vance anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz im vergangenen Frühling – ihren Schmusekurs gegenüber der Trump-Regierung ungerührt fortgesetzt. Eigentlich nicht erstaunlich mit einer Exekutive, bei der sich Infrastrukturminister Rösti vor der amerikanischen Wahl für Trump aussprach und wo eine SVP-FDP Mehrheit bestimmt. Mit dem Resultat, das man nun kennt.
Dettling in AfD-Manier
Mit dem vorliegenden Verhandlungspaket EU-Schweiz, das in der Hauptsache die Teilnahme unseres Landes am europäischen Binnenmarkt festschreibt, den Bilateralen III, haben wir ein der eingangs erwähnten Sonderbeziehung zu den EU-Ländern entsprechendes, im Ganzen höchst zufriedenstellendes Resultat erreicht. Im Gegensatz zu Trump und auch anderen Autokraten ist eben auf Europa Verlass.
Umso stossender – ja geradezu obszön – die zum Nationalfeiertag inszenierte «Bratwurstfeuer-Aktion», das Verbrennen des Vertragstextes der Bilateralen III durch den ausser Rand und Band geratenen SVP-Präsidenten. Nicht nur hat er damit den tüchtigen Diplomaten und Diplomatinnen, welche dieses Kunststück für die Schweiz verhandelt haben und die auch von seinem Parteikollegen Parmelin dabei direkt angeleitet wurden, in den Rücken geschossen. Es handelt sich um eine schwere Beleidigung der EU und damit ihrer Mitglieder, zu vergleichen etwa mit den schlimmsten politischen Provokationen einer AfD im Nachbarland. Diese sieht zumindest Dettling offensichtlich als Verbündete bei seinen krachenden Blindgängern Richtung Brüssel.
Ende der Toleranz
Die nachsichtige Toleranz, mit welcher unsere Nachbarn lange der spezifisch schweizerischen Ausprägung der Neutralität begegnet sind, hat spätestens seit der russischen Aggression gegen die Ukraine einer zunehmenden Irritation Platz gemacht. Weil «Neutralität» der schweizerischen Politik primär als Nichtteilnahme an zusätzlichen Zwangsmassnahmen gegen den Aggressor – was die Schweiz als Uno-Mitglied unter deren Charta ohne weiteres hätte tun können – und als Vorteilssuche zulasten der mit der Ukraine solidarisch handelnden Länder erscheint. Die Ukraine- aber auch die Nahostpolitik von Bundesrat und bislang einer Mehrheit von Politikern und Politikerinnen wird letztlich immer mit dem Neutralitätsargument gerechtfertigt. Das jüngste Beispiel ist das Zögern unseres Aussenministers angesichts des entsetzlichen Geschehens in Gaza.
Noch nichts begriffen
Die Folgen des Ukrainekrieges ebenso wie die durch Trump in Gang gesetzte Zerschlagung der bisherigen Weltordnung ist offensichtlich in der schweizerischen Politik noch nicht voll angekommen. Es gilt, sich auf internationaler Ebene verlässlichen Partnern anzuschliessen, konkret dem EU-Binnenmarkt und seiner Weiterentwicklung, sowie aktiv teilzunehmen am gegenwärtigen globalen Kampf zwischen Autokratie und Demokratie.
Im Gegensatz zur offiziellen Politik hat das schweizerische Volk diesen grundsätzlichen Paradigmenwechsel bereits gespürt: Ersetzt man heute bei Umfragen die naive Frage «Für oder gegen die Neutralität» mit der einzig aussagekräftigen Frage nach deren Anwendung im konkreten Fall, im Moment dem Ukrainekrieg, so fällt die Zustimmungskurve jäh ab.
Eine offensichtliche Mehrheit in der Zivilgesellschaft tendiert dazu, die Bilateralen III als willkommenen Neuanfang mit unseren engsten Partnern anzusehen, nicht als Prügelobjekt von Hellebarden. Dies ungeachtet der immer schriller und verzweifelter werdende, aber gut finanzierten Abwehrschlachten der Nationalkonservativen gegen Europa mit ihrer zusätzlichen Initiativenflut zur Torpedierung der schweizerischen Europapolitik: «Pro-Putin Initiative» (Neutralität), um die Teilnahme an EU-Sanktionen zu verunmöglichen, «Grenzschutzinitiative», deren Annahme den Austritt der Schweiz aus «Schengen» zur Folge hätte, «10-Millionen-Schweiz-Initiative», welche die Personenfreizügigkeit mit der EU aufheben würde, sowie die «Kompass-Initiative», welche unter dem unschuldigen Vorwand der Rücksicht auf kleine, bekanntermassen national-konservativ stimmende Kantone einem Appenzeller Bauern die gleiche Stimmkraft gibt wie Dutzenden von Zürcherinnen, welche eine Schweiz als grosses Ballenberg-Museum ablehnen.