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Kommentar 21

Kulturkampf oder Demokratie

17. Juli 2025
Urs Meier
MAGA
MAGA forever – eine Impression aus dem US-Wahlkampf 2024 (KeystoneAP Photo, Evan Vucci)

Politik funktioniert zunehmend als permanenter, universeller Wahlkampf. Die Auseinandersetzungen sind maximal zugespitzt, der Gegner wird zum Feind, statt Argumenten sind nur noch Kampfparolen im Umlauf und kein Thema bleibt ausserhalb der umkämpften Zone.

Politik gibt es nicht ohne das Element des Wettbewerbs. Es treten Ideen, Problemlösungen, Weltbilder gegeneinander an und werben um Zustimmung und Gefolgschaft. Solche politische Konkurrenz kann die Form des Kampfes annehmen, in welchem die Kontrahenten sich nichts schenken. Wahlen und Abstimmungen sind die typischen Situationen solch kämpferischer Politik. Sie können den Eindruck erwecken, es stünden sich unversöhnlich verfeindete Lager gegenüber. Da werden Sachfragen auf Krawall gebürstet und Positionen des Gegners verteufelt, während man gleichzeitig die eigenen Programme als Allheilmittel ohne jegliche Nebenwirkungen anpreist.

In Kampfsituationen sind Differenzierungen und Relativierungen Gift. Man will von möglichen eigenen Schwächen ablenken und dem Gegner keine Angriffsflächen bieten. Auch werden interne Differenzen im eigenen Lager tunlichst unter dem Deckel gehalten. Nur mit geschlossenen Reihen ist eine Partei, eine Organisation, eine Bewegung stark genug, um sich in der schärfsten Form des Wettbewerbs zu behaupten: in jenem Kampf um Zustimmung und Gefolgschaft, der über Machtgewinn oder Machtverlust und damit über die politischen Wirkungsmöglichkeiten entscheidet.

In der Politik herrschen mitunter raue Sitten, und das ist auch ganz in Ordnung. Doch Demokratie kann sich nicht immer im Kampfmodus befinden. Die Aufgaben von Parlamenten, Gemeindeversammlungen und erst recht von Regierungen und kommunalen Exekutiven bestehen grösstenteils aus Projekten und Entscheiden, die sich nicht schlüssig nach Parteiprogrammen steuern lassen. Politischer Alltag geschieht in einer Welt der vielseitigen, komplexen und nicht selten paradoxen Zusammenhänge. Jede Massnahme hat Nebenwirkungen und Sekundärfolgen, die mitbedacht werden müssen, will man nicht Gefahr laufen, im Effekt beim Gegenteil des politisch Gewollten zu landen.

Perspektivenvielfalt und Meinungsdifferenz sind im Umgang mit der unkalkulierbaren Wirklichkeit nicht hinderliche Störungen, sondern unschätzbare Erfolgsfaktoren. Sie sorgen dafür, dass jede Partei auch diejenigen Aspekte einer Sache anhören muss, von denen sie eigentlich nichts wissen will. Dadurch kommen Debatten zustande, in denen die unübersichtliche gesellschaftliche Realität wenigstens annähernd abgebildet ist und in denen Pros und Kontras von Konzepten und Entscheidungen im offenen Diskurs abgewogen werden. Vielstimmigkeit im demokratischen Prozess führt zu sachlich besseren und besser akzeptierten Lösungen. Dazu tragen offen ausgetragene Differenzen im eigenen Lager ebenso bei wie der lagerübergreifende Austausch und die Anhörung externer Interessengruppen. Wenn dabei akzeptable Kompromisse erzielt werden, ist nicht nur dem politischen Frieden gedient, sondern in der Regel resultieren auch einigermassen haltbare Resultate.

Weshalb diese – zugegebenermassen idealisierte – Schilderung? Sie soll deutlich machen, wie sehr die Vorstellungen von Politik sich mittlerweile vom unaufgeregten demokratischen Alltag verlagert haben zu einer Art von permanentem Wahl- und Abstimmungskampf. Demokratie wird nur noch agonal gesehen: wir gegen die anderen. In der Extremform ist das ganze Leben politisiert, es gibt keine Themen mehr, die ausserhalb dieses absoluten Entweder-oder liegen, und so glaubt man von jeder Position, ja am Ende von jeder Person zu wissen, ob sie als Freund oder Feind zu gelten hat.

Für diese fatale Degeneration des Demokratischen hat sich der Begriff des Kulturkampfs eingebürgert. Wie so oft, wenn eine handliche Chiffre in Umlauf kommt, besteht auch bei diesem Wort die Gefahr des inflationären Gebrauchs. Dass man besser nicht für jeden Knatsch zwischen unterschiedlichen Weltanschauungen gleich den Kulturkampf ausrufen sollte, wird schnell klar, wenn man sich der Herkunft des Begriffs erinnert: Mit Kulturkampf war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Zwist liberal-säkularer und katholisch-konservativer Kräfte gemeint, der die Gesellschaft zutiefst aufwühlte. In der Schweiz ging es damals um die Bewältigung des Sonderbundskriegs und die zwischen den Konfessionen strittige Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche. Für beide Konfliktparteien ging es da buchstäblich um alles.

Einen Kulturkampf von vergleichbarer Dimension und Heftigkeit hat Trump in den USA entfesselt. Ähnliches gilt für Orbán in Ungarn (er ist das Vorbild der Trump-Bewegung) und Erdoğan in der Türkei. Doch es geht nicht nur um diese Länder. Kulturkämpferische Strömungen breiten sich in vielen demokratischen Ländern aus. Die von Skandalisierung und Radikalisierung lebenden Sozialen Medien begünstigen ein Meinungsklima der steten Empörung und Verdächtigung. Umtriebige Verbreiter von Verschwörungsgeschichten tun das Ihre dazu, und auch durchaus honorige Medien schiessen unter kommerziellem Druck und mangels kompetenter Manpower immer mal wieder übers Ziel des Aufklärens hinaus und betreiben eine unjournalistische Skandalbewirtschaftung.

Kulturkampf mobilisiert und verkauft sich gut. Das demokratische Tagesgeschäft, «ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmass zugleich» (Max Weber), mag weniger spektakulär sein. Der Kompromiss hat eine schlechte Presse; stets wird er mit dem Attribut «faul» verächtlich gemacht. Geht er jedoch aus dem von Max Weber sinnfällig beschriebenen Arbeitsprozess hervor, so verdient er in der politischen Berichterstattung eine differenzierte und anerkennende Würdigung.

Schweizerische Politik entspricht beileibe nicht immer dem oben beschriebenen Idealbild von Demokratie. Aber sie schafft es meistens recht gut, nach geschlagenen Schlachten jeweils vom Kampfmodus in den Kooperationsmodus umzuschalten. Dass sie deswegen manchmal als langweilig verschrien wird, ist hinzunehmen. Lieber ein unspektakulärer politischer Alltag als ein aufregend dramatischer Niedergang demokratischer Substanz, wie ihn zurzeit die USA im Fieber des Kulturkampfs erleiden.

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