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Völkermörderisch

"Kein Rapport kann die Gräuel beschreiben"

6. Oktober 2010
Pierre Simonitsch
Das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte hat sich von einigen Regierungen aus dem Gebiet der Grossen Seen Afrikas nicht einschüchtern lassen. Es bleibt bei seiner zentralen Aussage: Die Streitkräfte Ruandas und Ugandas haben bei ihren Interventionen in der Demokratischen Republik Kongo Taten begangen, "die, falls sie von einem kompetenten Gericht bestätigt werden, als Verbrechen mit völkermörderischer Absicht gewertet werden können".

"Um den Kreislauf der Straffreiheit im Kongo zu beenden", hat das Hochkommissariat am 1. Oktober einen umfassenden Bericht über die schwersten Verletzungen des humanitären Völkerrechts bei den Kriegszügen zwischen 1993 und 2003 vorgestellt. "Kein Rapport kann die von der Zivilbevölkerung des Kongos erlebten Gräuel wirklich beschreiben", erklärte Menschenrechts-Hochkommissarin Navi Pillay dazu, "fast jeder Einzelne kann von Leiden und Verlusten erzählen". In die noch immer andauernden Kriege waren laut dem Bericht zeitweise 21 bewaffnete kongolesische Gruppen und acht ausländische Interventionsarmeen verwickelt.

Das 561 Seiten starke Werk hatte schon vor seiner Veröffentlichung entrüstete Reaktionen einiger betroffener Staaten ausgelöst. Ruanda drohte, seine Blauhelme aus UNO-Diensten abzuziehen, wenn der Bericht nicht entschärft würde. Es geht um die erbarmungslose Verfolgung der nach dem Genozid in Ruanda 1994 mit ihren Familien in den Kongo geflüchteten Hutu-Milizen durch die Truppen des jetzigen ruandischen Tutsi-Präsidenten Paul Kagame.

Die Botschafter Ruandas und Ugandas bei der UNO in Genf wiesen vor der Presse alle in dem UNO-Bericht enthaltenen Vorwürfe gegen ihre Länder zurück. Sie verdächtigen die aus Südafrika stammende Hochkommissarin für Menschenrechte, "manipuliert" worden zu sein. Von wem, wollten die Botschafter nicht offen sagen. Sie zeigen aber auf Frankreich.

Der Bericht ist indessen kein politischer Schnellschuss. Das Projekt entstand 2005 und wurde vom Weltsicherheitsrat abgesegnet. Die Ermittlungen dauerten über zwei Jahre. Acht Monate lang arbeitete ein Team von 33 Personen vor Ort im Kongo und befragte dort fast 1300 Zeugen. Ausserdem analysierten sie mehr als 1500 Dokumente, von denen etliche vorher nicht bekannt waren.

Systematische Vergewaltigungen

Ein Ergebnis dieser Gründlichkeit ist die detaillierte Beschreibung von 617 Massakern und anderen schweren Kriegsverbrechen. Die Orte des Geschehens sind auf Landkarten eingezeichnet, die dem Bericht beiliegen. Vergewaltigungen und andere sexuelle Aggressionen seien von allen Kriegsparteien systematisch verübt worden, heisst es in dem Rapport. Die Täter konnten sicher sein, straflos zu bleiben. Unter den Opfern befinden sich zahlreiche Kinder. Die Ermittler schätzen, dass die regulären Streitkräfte und die Freischärler mindestens 30.000 Kindersoldaten zwangsrekrutierten. Diese Kinder seien einer unbeschreiblichen Gewalt ausgesetzt gewesen, zu der Morde, Vergewaltigungen, Folter sowie die Zerstrung ihrer Dörfer gehörten.

Die berüchtigten zairischen "Sicherheitskräfte", die Präsident Mobutu Sese Seko bis zu dessen Sturz 1997 verteidigten, wurden ungesiebt in die neue kongolesische Armee integriert. Viele ihrer Mitglieder waren direkt oder indirekt für schwere Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts verantwortlich, schreiben die Experten. Sie fordern daher eine "Säuberung" der kongolesischen Armee. Nicht nur, dass die Verbrecher in Uniform nie für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen wurden. Die Bevölkerung sei weiterhin der Brutalität und anderen Missetaten dieser Sicherheitskräfte ausgesetzt.

"Kommission zur Wahrheitsfindung und Versöhnung"

Der Bericht schätzt die Zahl der Zivilisten, die zwischen 1993 und 2003 bei den Wirren im Kongo getötet wurden, auf "Zehntausende". Andere Quellen beziffern die Todesopfer des "afrikanischen Weltkriegs" von seinem Ausbruch bis jetzt mit fünf bis sechs Millionen. "Diese Situation einfach hinzunehmen, droht eine neue Generation zu schaffen, die nur die Gewalt als Mittel zur Lösung von Konflikten kennt, und würde einen dauerhaften Frieden im Kongo erschweren", heisst es in dem Bericht. Seine Autoren schlagen den Aufbau juristischer Mechanismen und einer "Kommission zur Wahrheitsfindung und Versöhnung" vor. Vorstellbar seien auch "hybride Tribunale", in denen von der UNO ernannte Juristen und lokale Richter nebeneinander sitzen.

Die kongolesische Regierung hat den Bericht und seine Empfehlungen begrüsst. Auch 220 kongolesische Nicht-Regierungs-Organisationen stellen sich dahinter.

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