Wie ein väterlicher Racheauftrag einen jungen, suchenden Geist deformieren und letztendlich zerstören kann, zeigt die umjubelte Bearbeitung und Neuinszenierung von Shakespeares «Hamlet» im Schauspielhaus Basel. Das Theater Basel feiert damit nicht nur die Saisoneröffnung 2025/26 des Schauspiels, sondern auch fünfzig Jahre Bestehen des Neubaus des Grossen Hauses.
Die Geschichte «Hamlet, Prinz von Dänemark» geht auf eine nordische Sage zurück. Vor über 500 Jahren schon kursierte in England ein heute verschollener Ur-Hamlet, der 1601 von William Shakespeare in seinen Grundzügen aufgegriffen wurde und 1602, wahrscheinlich im Globe Theatre London, seine Uraufführung erfuhr. Von Anfang an erfreute sich das Stück ausserordentlicher Beliebtheit und gilt noch heute als Shakespeares bedeutendstes Werk.
Die Grundzüge sind zeitlos gültig: Der Geist – welcher Gestalt auch immer – des ermordeten Königs Hamlet von Dänemark erscheint seinem gleichnamigen Sohn und fordert von diesem die Ausführung der Rache an seinem Mörder und jetzigen Ehegemahl der königlichen Witwe. Diese Forderung, bekräftigt durch das beschwörende «Remember me!» des Vaters, stürzt den sensiblen jungen Prinzen in Unsicherheit und Verzweiflung, auch seiner Mutter gegenüber. Er beschliesst, bis zur Ausführung der Rachetat den Idioten zu spielen und den gesamten Hof von Helsingor in Sicherheit zu wiegen. Mit Ausnahme seines Freundes Horatio, der eingeweiht ist, als Einziger überlebt und dann auch, wie im Elisabethanischen Theater üblich, die Geschichte und deren Ausgang als Epilog der Nachwelt zu übermitteln hat.
Einer der markantesten Schlusssätze, welche das Theater je hervorgebracht hat, ist Hamlets letzter Satz: «Der Rest ist Schweigen.» Das Zitat wurde titelgebend im letzten Jahrhundert auch in der Prosaliteratur und im Film schon aufgegriffen (Käutner, 1959), genauso wie der Anfang von Hamlets berühmtem ersten Monolog «Sein oder Nichtsein». Diese Zitate sind längst in unsere Alltagssprache eingegangen.
Ein Theaterabend der Sonderklasse
Eine solche Überlegung hat in Basel das kluge Team um den Regisseur und Leiter des Schauspiels Basel, Antu Romero Nunes, wohl auch dazu gebracht, zum Teil Alltagssprache in die Texte einfliessen zu lassen.
In der frei fliessenden neuen Übersetzung des Baslers Lucien Haug lassen Modernismen und Begriffe unserer Zeit manchmal zwar aufhorchen, tauchen aber in durchwegs selbstverständlicher Form auf. Sie stören praktisch nie, bringen aber manchmal Witz in die Dialoge, sodass öfters Lacher im Publikum aufblitzen – welche dann aber auch rasch wieder ersterben. Denn was da an Inhalt und grossartiger Leistung des nur siebenköpfigen Schauspiel-Ensembles geboten wird, verlangt mehr als Achtung. Es hinterlässt pure Begeisterung über einen Theaterabend der Sonderklasse.
Wenn die Bühne glüht
Gala Othero Winter, in Basel keine Unbekannte, ist als Hamlet ein vibrierendes Gedankenbündel und legt bebend Schichten des innerlich zerrissenen und in Gedanken brütenden Prinzen frei. Im Französischen gibt es für derartige Theaterleistungen die Redewendung «Elle brûle des planches» (sie lässt die Bühnenbretter glühen). Dass der androgyne Prinz auch von einer Frau dargestellt werden kann, bewies schon 1899 als Erste die grosse Sarah Bernhardt. Ihr folgten viele Weitere. Gala Othero Winter unter Nunes’ Regie wird sich in Basel unter sie – nicht nur ehrenvoll, sondern möglicherweise sogar wegweisend – für weitere heutige Interpretationen einreihen.
Fünf Schauspieler rund um sie, alle in Doppelrollen, ersetzen in hoher Intensität durchwegs überzeugend den gesamten Hofstaat von Helsingor (Antoinette Ullrich, Fabian Dämmich, Kay Kysela, Thomas Niehaus, Julian Anatol Schneider). Elmira Bahrami gibt eine seltsam entrückte Ophelia, die nicht wirklich zu wissen scheint, was mit ihrer Liebe und Hamlets Liebe zu ihr geschieht. Bahrami greift dabei zu einem im Schauspiel normalerweise nicht üblichen Mittel: Sie spielt eine sanfte, sich wiederholende Melodie live auf der Geige. Auch ihre Schauspiel-Kollegen entpuppen sich zwischendurch zum Staunen des Publikums als begabte Live-Musiker verschiedener Instrumente auf offener Bühne.
Verantwortlich für das einfallsreiche und auch mit Klängen aus dem Off sehr wirkungsvolle Musikkonzept ist die Hamburger Komponistin Anna Bauer. Einen hohen Anteil am Gesamteindruck der Produktion bestreiten auch die zwischen Historie und Anzüglichkeit lavierenden Kostüme (Lena Schön und Helen Stein) sowie das sparsame, meist nur mittels Beleuchtungseffekten wirkende Bühnenbild von Matthias Koch.
All das vorhin Gesagte weist auf die überzeugende Regieführung von Antu Romero Nunes hin, seines Zeichens Leiter des Schauspiels Basel. Nunes macht aus einem altbekannten Werk der Weltliteratur ein radikales Stück über gedankliche Freiheit und Unfreiheit, oder, wie Hamlet es in seinem Monolog ausdrückt: «So macht Gewissen Feige aus uns allen.»