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Motionen im Ständerat

Helvetische Sicherheitspolitik à la Modelleisenbahnbau?

4. November 2025
Markus Mohler
Markus Mohler
Panzerübung, Schweiz
Ein Schweizer Soldat auf einem Leopard-2-Panzer bei einer internationalen Übung auf dem deutschen Trainingsplatz Grafenwöhr. Aufnahme vom Februar 2025. (Foto: Keystone/EPA/MARTIN DIVISEK)

Manchmal kommt einem die helvetische Sicherheitspolitik vor wie eine Modelleisenbahnanlage im Aufbau. Dabei bildet ein von vielen Modellbauern und künftigen Steuerleuten bedienbarer grosser Rangierbahnhof den Hauptteil – für einige dieser Steuerleute ohne direkte Verbindung zu weiterführenden Stammlinien. Dafür werden Entkupplungsstellen eingebaut und zahlreiche Prellböcke. Das alles macht das Entstehen einer umfassenden, gut funktionierenden Anlage sehr schwierig. Jedenfalls innert vernünftiger Zeit.

In Anbetracht der von ihr erneut beurteilten aktuellen sicherheitspolitischen Lage hat die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerates am 31. Oktober 2025 gemäss ihrer Medienmitteilung jedoch vier bemerkenswerte Motionen beschlossen: 

Wie die Lücken schliessen? Was könnte es kosten?

So fordert sie den Bundesrat zunächst einstimmig und unmissverständlich auf, unverzüglich in einer Klausur die sicherheitspolitische Lage zu analysieren und die notwendigen Beschlüsse zu fassen, um die Lücken in der Verteidigungsfähigkeit zu schliessen (Motion 25.4407). Der Bundesrat soll also einen konsistenten Modellbauplan entwickeln. Einen solchen, in Form einer sicherheitspolitischen Strategie, hat er bereits auf ungefähr Sommer 2026 versprochen, das Vernehmlassungsverfahren dazu soll im Dezember dieses Jahres gestartet werden. Nebenbei: Im September 2025 beauftragte der Bundesrat das Bundesamt für Polizei, fedpol, «unter Berücksichtigung der künftigen sicherheitspolitischen Strategie» den Ressourcenbedarf zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität bis zum 31. Dezember 2025 (fünfundzwanzig!) zu ermitteln (vgl. Journal 21 vom 21. September 2025: «Der Bundesrat kann nachvollziehen …»). Unmögliches wird sofort erledigt, Wunder brauchen etwas länger.

Mit einer zweiten Motion wird die Landesregierung aufgefordert, «dem Parlament rasch darzulegen, wie die Armee – angesichts der sich drastisch verschlechterten Sicherheitslage in Europa – die grössten Lücken in der Verteidigungsfähigkeit möglichst schnell schliessen kann und welche finanziellen Mittel dafür benötigt werden». Einerseits bestehen solche Unterlagen (Schwarzbuch der Armee) bereits, jedoch bisher ohne den politischen Segen des Bundesrates. Zudem hat das Parlament selber den finanziellen Maximalrahmen dafür bis 2032 hinausgeschoben. Dennoch haben zwei SiK-S-Mitglieder gegen die Motion votiert. 

Eine dritte Motion beauftragt den Bundesrat, «schnell und umfassend auf die ausserordentliche Bedrohung des europäischen Luftraums durch Russland zu reagieren. Dabei sind die nötigen Systeme und die Munition in der ausreichenden Menge zu beschaffen, um den Schweizer Luftraum zu schützen. Es gilt ebenfalls einen Angriff von Drohnen (auch in grosser Zahl) neutralisieren zu können. Die ausserordentliche Lage gebietet unverzügliches Handeln». Auch gegen diese Motion votierten zwei SiK-S-Mitglieder. 

Für Sicherheitsverhandlungen mit EU und Nato 

In der Sitzung vor drei Monaten, am 4. Juli 2025, beantragte die SiK-S nur dank dem Entscheid ihrer Präsidentin, einen zusätzlichen Verpflichtungskredit von einer Milliarde Franken für den Kauf von Munition für die bodengestützte Luftverteidigung grösserer und mittlerer Reichweite sowie für Systeme für die indirekte Feuerunterstützung auf mittlere Distanz. Es ging der knappen Mehrheit angesichts der Bedrohungslage und der Engpässe auf dem Rüstungsmarkt darum, dass die Schweiz zeitgerecht Verträge eingehen und sich so entsprechende Lieferslots sichern kann. Die Minderheit befand, die Munitionsbestände kontinuierlich, aber in kleineren Schritten zu erhöhen, sei «zielführender». 

Schon die Steigerung eines inhaltlich nicht steigerbaren Wortes spricht Bände. Zudem fragt sich, was denn das Ziel eigentlich ist. Derzeit sind die Flab-Munitionsdepots leer. Wie die aktuelle Lage in der Ukraine tagtäglich zeigt, ist der Munitionsbedarf zur Abwehr von Massenangriffen von Drohnen, Marschflugkörpern und Gleitbomben enorm. Solche politischen Haltungen scheinen die Wirklichkeit gänzlich auszublenden. Die Schweiz ist auf Jahre hinaus gegen solche Angriffe aus der Luft schutzlos.

Schliesslich beschloss die SiK-S, die vom Nationalrat angenommene Motion 25.3529 (Aufnahme von Verhandlungen über eine «Partnerschaft im Bereich Sicherheit und Verteidigung» mit der EU) zu erweitern und entsprechende Verhandlungen auf die Nato auszudehnen. Diese Motion wurde mit 6:5 Stimmen überwiesen. Die Mehrheit unterstreicht, dass die Schweizer Neutralität gewahrt werden soll, diese aber nur bis zum Eintreten des Verteidigungsfalles gilt. 

Verdrängte hybride Kriegsführung?

Darf man fragen, wann der Verteidigungsfall eintritt und wer diesen dann beschliesst? Auch nach einem Vernehmlassungsverfahren? Offenbar hat sich die SiK-S noch nicht von Begriffsinhalten aus dem Zweiten Weltkrieg lösen können. So hat der Vorsteher des VBS vor wenigen Tagen (28. Oktober 2025) erklärt, ein moderner Krieg müsse nicht mit den klassischen Mitteln militärischer Konfrontation geführt werden. «Hybride Konfliktführung wie Cyberangriffe, Beeinflussungsaktivitäten, Desinformation, Spionage, Sabotage, wirtschaftliche Druckausübung, Erpressung und militärische Sonderoperationen reichen aus. Dieser Krieg findet bereits heute in Europa und auch in der Schweiz statt.» Der SiK-S scheint dies offenbar ohne Begründung nicht bedenkenswert, sie weist demgegenüber auf eine untaugliche Neutralität hin. So entgleist jede Sicherheitspolitik, da – um beim Vergleich zu bleiben – Weichen eingebaut werden, an denen das Anschlussgleisstück auch für die Abzweigung fehlt.

Schliesslich befasste sich die SiK-S mit einer kleinen Änderung des Militärgesetzes. Der Bundesrat beantragt, ihm die Kompetenz zu erteilen, ohne Genehmigung der Bundesversammlung 50 bewaffnete Armeeangehörige für länger als drei Wochen dauernde Einsätze aufbieten zu können. Bisher kann der Bundesrat gleichzeitig höchstens zehn Angehörige der Armee für länger als drei Wochen dauernde Einsätze aufbieten (Art. 70 Abs. 3 des Militärgesetzes). Eine Minderheit der SiK-S warnt vor einer zu grossen (!) Kompetenzabtretung an den Bundesrat. Hier stellt sich die Frage, ob die Gewaltentrennung zwischen Legislative und Exekutive noch gilt oder ob nach dieser Auffassung sich das Parlament mit Micromanagement auch für klare Exekutivmassnahmen als zuständig erklären soll. 

Es geht, wie die Kommission zuvor feststellte, angesichts der sich drastisch verschlechterten Sicherheitslage in Europa darum, die Verteidigungsfähigkeit insbesondere im Luftraum so schnell als möglich herzustellen. Mit Blick auf die zahlreichen lohnenden Infrastrukturziele für Drohnen sind auch 50 Armeeangehörige viel zu wenig. Das heisst, es müsste eine Teilmobilmachung ausgelöst werden, wenn sich die Gefahr konkret abzeichnet, zumal für tieffliegende Drohen auch die Polizei über keine Abwehrmittel verfügt.

Bürokratische Überkompliziertheit 

Dabei zeigt sich, dass die Schweiz generell für Krisen, auch für offenkundig herannahende Krisen, schlecht vorbereitet ist. Und bisher auch nicht besser vorbereitet sein will. Das belegt die letztes Jahr erlassene Verordnung über die Krisenorganisation der Bundesverwaltung (SR 172.010.8). Sie zeugt nicht nur von einer bürokratischen Überkompliziertheit, die jeden rechtzeitigen Beschluss des Bundesrates von vorneherein verunmöglicht. Art. 3: «Der Bundesrat setzt den PSK ein, wenn eine unmittelbare und schwere Gefahr für Staat, Gesellschaft oder Wirtschaft droht, die mit den bestehenden Strukturen nicht bewältigt werden kann. Er bestimmt ein federführendes Departement.» Dann ist es bereits zu spät. 

Zudem stehen die Bestimmungen im Widerspruch zu den Weisungen über die Organisation der sicherheitspolitischen Führung des Bundesrates vom 25. Januar 2023. Zu erinnern ist ferner daran, dass die Bundesverfassung keine Bestimmungen über eigentliches Notrecht enthält, was eine hinreichend rechtsstaatlich-demokratische Führung in einer Notlage verunmöglicht. Eine sicherheitspolitische Strategie müsste daher auch nötige Änderungen der Bundesverfassung einbeziehen, vorab die Änderung der Art. 57, Sicherheit, und Art. 58, Armee, schon nur, um zunächst einerseits eine koordinierte Abwehr von Drohnen ebenso wie andererseits die Bekämpfung der organisierten Kriminalität verfassungskonform zu ermöglichen.

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