Ende September wollte der Schweizer Journalist und Fotograf Gregor Sommer nach Georgien einreisen, wo Kommunalwahlen stattfanden. Er wurde unter fadenscheinigem Vorwand festgenommen und zur Zahlunng einer Busse von etwa 3'000 Franken aufgefordert. Dann wurde er in eine Zelle in Abschiebehaft gebracht. Das Handy wurde ihm abgenommen. Hier sein Bericht:
Als ich sah, was in der Ukraine geschah, konnte ich nicht wegschauen. Die Bilder der Zerstörung haben mich tief erschüttert – und mich dazu gebracht, mich intensiver mit Georgien zu beschäftigen. Ein Land, das seit über 200 Jahren unter russischem Einfluss steht, das ähnliche Ängste, ähnliche Traumata kennt – und das doch kaum Beachtung findet. Je mehr ich mich mit Georgien auseinandersetzte, desto mehr Parallelen zur Ukraine fielen mir auf. Und desto unbegreiflicher wurde mir, warum die EU hier so wenig engagiert ist. Georgien kämpft seit Jahrhunderten gegen den Einfluss Russlands. Nach der kurzen Unabhängigkeit 1991 folgte 2008 der Krieg, in dem Russland Südossetien und Abchasien besetzte. Seitdem wird der Druck immer grösser, die Einflussnahme immer dreister.
Als ich vor den Wahlen im Oktober 2024 in Georgien ankam, entdeckte ich ein pulsierendes Tbilissi: junge Studenten, die von den Entwicklungen der letzten Jahre profitiert und ein lebendiges, aufstrebendes Umfeld geschaffen haben. Doch schon auf dem Land und vor allem an der Grenze zu Russland wurde mir klar, wie tief die Wunden noch sind. Viele haben die sowjetische Zeit erlebt, tragen die Narben der Besetzung, des Krieges 2008. Das Trauma sitzt tief: Familien, die durch den Konflikt zerrissen wurden, Dörfer, die bis heute unter russischer Kontrolle stehen – und diese ständige Angst, dass sich die Geschichte wiederholt. Diese Angst ist eines der grössten Wahlversprechen des «Georgischen Traums». Die Zerrissenheit zeigt sich auch innerhalb der Familien.
Wütend, engagiert, voller Ideen – und resigniert
Ich habe mit jungen Georgiern gesprochen, die verzweifelt nach Europa blicken und sich eine Zukunft ohne russische Einmischung wünschen. Sie sind wütend, engagiert, voller Ideen – doch gleichzeitig spüre ich ihre Resignation. Der Verlust ihrer jungen Freiheiten und die Repression sind deutlich spürbar. Doch was mich trotz allem am meisten beeindruckt hat, ist der ungebrochene Widerstand der jungen Generation. Seit den Wahlen im Oktober 2024 versammeln sich jeden Abend Hunderte vor dem Parlament in Tbilissi. Sie sind einfach da – nicht aus Hass, sondern aus Liebe zu ihrem Land. Sie wissen, dass sie beobachtet, fotografiert, vielleicht sogar festgenommen werden. Und trotzdem kommen sie. Tag für Tag. Es ist eine Mischung aus Verzweiflung und Entschlossenheit, die mich tief berührt hat.
Und dann sind da die Altlasten: russische Propaganda, die bis in die letzten Dörfer dringt, die Angst vor Repressionen, die Erinnerung an die besetzten Gebiete. Jeder hier kennt jemanden, der Familie in Abchasien oder Südossetien verloren hat. Jeder kennt die Geschichten von Vertreibung, von Häusern, die über Nacht zu «Grenzgebieten» erklärt wurden – und zudem die langsame, aber stetige Übernahme grenznaher Gebiete.
Ausgegrenzte Opposition
In dieser angespannten Atmosphäre nutzt die regierende Partei «Georgischer Traum» die Ängste der Bevölkerung geschickter denn je. Sie schürt die Furcht vor einem neuen Krieg, warnt vor «ausländischer Einmischung» und inszeniert sich als einzige Kraft, die das Land vor dem Chaos bewahren kann. Gleichzeitig wird die Opposition systematisch ausgegrenzt, kritische Medien mundtot gemacht und Wahlen durch gezielte Manipulationen beeinflusst. Die Menschen wissen das – und doch stimmen viele aus purer Angst für die Partei, die ihnen zumindest vordergründig Stabilität verspricht, was immer das auch heissen mag.
Die Zahlen sind alarmierend: mindestens 76 strafrechtliche Verfahren, Hunderte Festnahmen, eine Justiz, die immer öfter als Werkzeug der Einschüchterung dient. Die unabhängige Berichterstattung ist fast zum Erliegen gekommen, das Leben der Menschen wird in vielerlei Hinsicht eingeschränkt. Georgien ist für mich kein abstraktes Krisengebiet mehr, sondern ein Land im Fokus Putins – und nun endlich begreift auch die EU langsam, zu was dieser Mann fähig ist. Während meiner wiederkehrenden Besuche habe ich viel Zeit mit den Menschen auf der Strasse vor dem Parlament verbracht.
Lächerliche Vorwürfe
Am 27.09.2025 wurde mir die Einreise nach Georgien verweigert. Der Anlass meiner Reise waren die Kommunalwahlen in Tbilissi am 04.10.2025. Diese Wahlen finden unter erheblichen Einschränkungen statt und nahezu die gesamte Opposition boykottiert sie. Nach der Kontrolle meiner Papiere wurde mir von einem begleitenden Polizisten mitgeteilt, dass gegen mich eine Geldstrafe verhängt worden sei. Der Vorwurf lautete, ich hätte die Hauptstrasse vor dem Parlament zwei Mal blockiert. Ich wurde aufgefordert, eine Strafe in Höhe von 10’000 Lari (ca. 3’000 CHF) zu zahlen. Mehrfach forderte ich Beweise, sowie konkrete Angaben zu Datum und Umständen des Vorwurfs, erhielt jedoch keine Auskunft. Ich verweigerte daher die Zahlung.
Kurze Zeit später wurde ich in eine Abschiebezelle gebracht, gemeinsam mit anderen zurückgewiesenen Einreisenden. Dort teilte man mir mit, dass ich entweder einen Rückflug buchen oder weiterhin in der Zelle bleiben müsse. Ich buchte auf eigene Kosten einen Rückflug – unter ständiger Beobachtung eines Beamten. Wiederholt versuchte ich, Informationen zu den Vorwürfen zu erhalten oder mit jemandem Kontakt aufzunehmen. Dies wurde mir konsequent verweigert. Nach der Buchung wurde mein Mobiltelefon konfisziert.
Zum Flugzeug begleitet
Trotz mehrfacher Bitten erhielt ich keinerlei weitere Informationen oder Erklärungen. Die Zelle, etwa 30 Quadratmeter gross und fensterlos, verfügte über zwei kleine abgetrennte Bereiche mit jeweils drei Hochbetten. In dem Raum befanden sich etwa 18 bis 20 zurückgewiesene Einreisende aus Turkmenistan, Tadschikistan und Usbekistan, von denen einige bereits seit bis zu vier Tagen dort festgehalten wurden. Die Bedingungen waren menschenunwürdig und auch ihnen wurden keine Informationen über ihren weiteren Verbleib gegeben.
Nach rund acht Stunden wurde ich unter Druck zum Flugzeug begleitet. In diesem Moment wurde mir klar, dass es für mich unter der derzeitigen pro-russischen Regierung keine legale Möglichkeit mehr geben wird, jemals wieder nach Georgien einzureisen. Es erschüttert mich zutiefst, meine Freunde auf unbestimmte Zeit nicht wiedersehen zu können – zumal mit solch haltlosen Begründung.
Das Vorgehen der Regierung folgt einem bekannten Muster: Friedliche Demonstrierende werden weiterhin überwacht und müssen mit drakonischen Strafen rechnen. Für diesen Samstag wird zu einer friedlichen Demonstration aufgerufen – der Wunsch nach Unabhängigkeit bleibt ungebrochen.
Gregor Sommer wurde in Hamburg geboren und lebt seit 17 Jahren in der Schweiz. Über 25 Jahre arbeitete er als dokumentarischer Kameramann in Hamburg und Zürich, davon viele Jahre beim Schweizer Fernsehen SRF.