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Neutralität der Schweiz

Gute Dienste? Schlechtes Gewissen!

31. Mai 2025
Daniel Woker
Ignazio Cassis
Bundesrat Ignazio Cassis bei der Zeremonie der Unterzeichnung eines Abkommens zur Errichtung der Internationalen Organisation für Mediation in Hongkong (Bild vom 30. Mai 2025, Keystone/AP Photo, Jonathan Lee)

Mit Ausnahme der SVP und ihrer Verbündeten erkennt die Schweiz zunehmend, dass eine als Selbstzweck betrachtete Neutralität heute verwerflich sein kann. Dass die Schweiz Gute Dienste leistet, macht nicht wett, dass in Sachen Solidarität Defizite bestehen.

Die Gesamtbilanz der bescheidenen Aktionen, mit denen die Schweiz auf den brutalen Aggressionskrieg Putins gegen die Ukraine antwortet, fällt durchzogen aus. Die erleichterte Aufnahme einer gewissen (nicht überwältigenden) Zahl von Kriegsvertriebenen aus der Ukraine und die Übernahme der EU-Sanktionen gegen Russland (zwar nicht aller und oft verzögert oder nur teilweise) stehen positiv zu Buch. 

Beschämend ist dagegen der unveränderte Platz der Schweiz am Ende der Rangliste von Unterstützern der Ukraine. Dies gilt sowohl für Militärmaterial als auch für Finanzhilfe an den kriegsbedingt am Abgrund stehenden Staatshaushalt der Ukraine. Die Verantwortlichen im eidgenössischen Finanzdepartement und in der Nationalbank wissen, dass die reiche Schweiz, etwa via niemals benötigte Reserven im Internationalen Währungsfonds IMF, ein Vielfaches tun könnte, aber aus dogmatischen Gründen nicht will. 

Leopard 1

Das neueste Kapitel der halbbatzigen Unterstützung für die Ukraine hat der Bundesrat eben geschrieben: Gebrauchte Leopard-1-Panzer dürfen nun an die BRD verkauft werden; die völkerrechtswidrige Bedingung, diese dürften aber «keinesfalls» an die Ukraine weitergegeben werden, bleibt aber bestehen. Völkerrechtswidrig ist dies, weil das Aggressionsverbot in der Uno-Charta zur Folge hat, dass einem Opfer, aktuell der Ukraine, in jeder möglichen Art geholfen werden sollte. Darin liegt eine Verpflichtung, die auch für unser Land gilt – entgegen der allein von der Schweiz verfochtenen Position, ihre Neutralität beruhe auf den überholten Haager Abkommen von 1907.

Bürgenstock etc.

Mit Erleichterung und oft auch übertriebenem Lob in grossen schweizerischen Medien wird auf die Guten Dienste der Schweiz verwiesen, welche sie doch als Neutraler in einzigartiger Weise leisten könne. Hat nicht die Schweiz die erste Friedens- und Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine auf dem Bürgenstock ausgerichtet? Und ist nicht Botschafter Lüchinger aus dem EDA – vormals Generalsekretär der SVP – als «Mister Burgenstock» nach Moskau gereist, um Russland und die Ukraine an einem Verhandlungstisch in der Schweiz zusammenzubringen?

Dazu ist zu sagen, dass «Bürgenstock» wirkungslos geblieben ist, was auf die allgemein bekannte Tatsache zurückzuführen ist, dass Putin keinen Frieden, sondern die Unterwerfung der Ukraine will. Ähnliche Konferenzen haben auch in London und Berlin stattgefunden; Vermittlung und Gute Dienste zwischen den zwei Kriegsparteien betreibt die Türkei, welche international ungleich besser dafür positioniert ist als die Schweiz. Auch der Vatikan ist im Gespräch, der einen moralischen Anspruch hat, welchen kein Staat, auch die Schweiz nicht, aufweisen kann.

Nun auch zusammen mit China

Jüngstes Beispiel für die grotesken Verrenkungen, welche die Schweiz betreibt, um irgendwie als Mittler zwischen zwei gegensätzlichen Positionen dazustehen, hat das EDA in den letzten Tagen geliefert. Das autokratische Regime des chinesischen Präsidenten Xi Jinping will Hongkong – heutzutage praktisch Teil des chinesischen Imperiums – als Zentrum für Vermittlung aufbauen. Diese direkte Konkurrenz zum Internationalen Gerichtshof ICJ und zum Ständigen Schiedshof, beide in Den Haag ansässig, wird in Europa einzig vom russlandfreundlichen Regime in Serbien und aus dem Globalen Süden primär von De-facto-Kolonien Beijings unterstützt. 

An die Schweiz sei, so das EDA kürzlich auf Anfrage, ein chinesisches Ersuchen um Teilnahme «zur Einbringung ihres Vermittlungs-Knowhows» ergangen. Bundesrat Cassis habe diese Anfrage im Gespräch mit dem chinesischen Aussenminister zustimmend entgegengenommen. Dies ist beschämend für einen Staat, der sich wie die Schweiz damit brüstet, sich immer und überall für internationales Recht einzusetzen. Die Institutionen zur Umsetzung dieser Haltung bestehen. Konkurrenz aus China als Teil seiner unablässigen Bemühungen um eine Führungsrolle im Globalen Süden ist nicht nur unerwünscht, sondern untergräbt das bestehende System internationaler Rechtsprechung.

Gaza

Die Weigerung unseres Aussenministers, sich der praktisch geschlossenen Front europäischer Staaten anzuschliessen und die vermuteten Kriegsverbrechen Israels im Gazastreifen zu verurteilen, hat in der Schweiz Empörung ausgelöst. Ausser natürlich bei der SVP. Stellvertretend für Europa hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die durch Netanjahu dort geschaffene Lage öffentlich als entsetzlich bezeichnet. Unter dem Druck der Öffentlichkeit hat Cassis etwas zurückbuchstabiert und eine rein schweizerische Erklärung zu diesem eklatanten Bruch des Völkerrechts abgegeben. 

Doch das kam zu spät und blieb wirkungslos gegenüber unseren nächsten Partnerländern. Es ging nur darum, den Eindruck zu verwischen, Helvetien fahre wieder einmal einen opportunistischen, sogenannt neutralen Schlingerkurs – bestenfalls, um als Vermittler dazustehen, und im schlimmeren Fall, um weiterhin allseitig Geschäfte tätigen zu können. 

Vermittlung ja, Neutralismus nein

Dass Botschafter Lüchinger nach Moskau reist, ist per se nicht zu kritisieren. Er macht dies aber nicht als Vertreter eines «Neutralen», sondern als Exponent eines Landes, das die internationale Infrastruktur, das Geld und die notwendige Erfahrung hat, um als internationaler Treffpunkt für diejenigen zu dienen, welche mit einem Mindestmass von Kooperationswillen einen Ort für Gespräche suchen.

Dass bei entsprechenden Gelegenheiten, auch und gerade in den grossen Medien, jeweils von Guten Diensten als Schweizer Spezialität und quasi Seitenwagen der Neutralität fabuliert wird, ist eine exklusiv schweizerische Sichtweise, die international nicht vermittelbar ist. Gute Dienste werden nämlich auch beispielsweise von den Nato-Ländern Norwegen und Türkei sowie zahlreichen halbstaatlichen Organisationen erbracht, und zwar jeweils bei den Situationen, in denen sie am besten zur Ausrichtung solcher Initiativen in der Lage sind.

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