Russische Truppen sind am Montag in die ostukrainische Stadt Sewerodonesk eingedrungen, sagt Serhiy Haidai, der Gouverneur der Region Luhansk. Derzeit würden «sehr heftige Kämpfe» stattfinden». Laut britischen Quellen haben die Russen «verheerende Verluste» erlitten. Vermutlich aus diesem Grund wagen sie keinen Frontalangriff in der Stadt.
- Die Russen in Sewerodonesk
- Heftige Kämpfe
- Russland kommt nur langsam vorwärts
- Die Russen lassen ihre Leichen liegen
- Schwere russische Verluste
- Kämpfe auch um Lyssytschansk
- Kein Öl-Embargo der EU erwartet
- Französischer TV-Journalist getötet
- Putin ist nicht krank, sagt Lawrow
- Autobombe in Melitopol
Eingedrungen und blockiert?
Der Fall der Stadt wäre ein schwerer Schlag für die Ukraine und könnte im bald hunderttägigen Krieg eine Wende bedeuten.
Laut verschiedenen Bericht, befinden sich die Russen noch immer in den Aussenbezirken der Stadt. Das ukrainische Verteidigungsministerium erklärte am Montag, dass «der Feind auf die nordöstlichen und südöstlichen Aussenbezirke von Sewerodonesk fixiert ist». Um seine Streitkräfte zu verstärken, habe Russland tonnenweise Munition von russsischem Gebiet in die Gegend der Kämpfe transportiert. Sewerodonesk wird fast pausenlos beschossen.
Roman Wlasenko vom ukrainischen Dienst von «Radio Free Europe/Radio Liberty» sagt: «Der Feind konnte aus zwei Richtungen eindringen, aus Nowoajdar und Starobilsk. Er kontrolliert einen Streifen von etwa 100 Metern. Die Russen konnten nicht viel tiefer vordringen, unsere Leute halten die Linie.»
Nach Angaben des «Institute for the Study of War», eines Washingtoner Forschungsinstituts, wird Russland in der Schlacht um Sewerodonezk jedoch wahrscheinlich nur langsam vorankommen. Das liege zum Teil daran, dass die Befehlshaber offenbar nicht bereit seien, ihre Truppen in einen Frontalangriff zu schicken. Sie würden es vorziehen, städtische Gebiete in Schutt und Asche zu legen, bevor sie vorrücken.
Haidai erklärte, dass auch Zivilisten getötet wurden. «Der Feind hat alle möglichen Waffen eingesetzt, einschliesslich der Luftwaffe. Unser Militär hält jedoch hartnäckig daran fest, den Feind nicht tiefer ins Land vordringen zu lassen», sagte Haidai.
Die ukrainischen Truppen hatten am Sonntag einen russischen Grossangriff vorerst abgewehrt. In der Gegend um Sewerodonesk und Lyssytschansk sind über zehntausend russische Soldaten im Einsatz.
Die Russen lassen ihre Leichen liegen
In Sewerodonsek gebe es so gut wie kein Gas, kein Wasser und keinen Strom, sagte Haidai. Etwa 90% der Häuser in der Stadt seien durch den Beschuss beschädigt worden. Nachdem die Angreifer dann von ukrainischen Verbänden beschossen und gestoppt würden, beginne der Beschuss von neuem. Das gehe so lange, sagte Haidai, «bis sie unsere Stellungen irgendwo durchbrechen können».
Die Russen würden ihre Leichen einfach liegen lassen. Deshalb verbreite sich in den Aussenbezirken der Stadt ein anhaltender Leichengestank. Gefördert werde dieser durch die hohen Temperaturen, die gegenwärtig herrschten. «Die Russen nehmen ihre Leichen nicht mit.»
«Wir werden mit allem beschossen, was die Russen zur Verfügung haben», sagt Haidai. «Und trotzdem halten die Jungs in diesem Teil der Region Luhansk durch, bis das Militär unseres Landes die notwendigen Waffen erhält, um den Feind zurückzudrängen.»
«Maximale Intensität»
Nach Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums haben die Kämpfe in der Ostukraine «maximale Intensität» erreicht. «Die russischen Angreifer beschossen die gesamte Frontlinie und versuchten, unsere tief liegenden Verteidigungsstellungen mit Artilleriefeuer zu treffen», sagte Oleksandr Motuzyanyk, der Sprecher des ukrainischen Verteidigungsministeriums, auf einer Pressekonferenz.
Die benachbarte Stadt Lyssytschansk bleibt unter der Kontrolle der Ukraine, fügte Haidai hinzu. Die Strasse nach Bachmut südwestlich von Lyssytschansk sei «nicht blockiert, aber unter Beschuss», so dass es «sehr gefährlich» sei, sie zu benutzen. Wlasenko von Radio Liberty sagte, dass russische Offensiven im nahegelegenen Lyssytschansk im Gange seien. Sie würden sich jedoch auf das Umfeld beschränken. «Die Jungs halten ihre Stellung», sagte er.
«Verheerende russische Verluste»
Laut einem jüngsten Bericht des britischen Militärgeheimdienstes haben die russischen Streitkräfte in den letzten Tagen unter seinen mittleren und jüngeren Offizieren «wahrscheinlich verheerende Verluste erlitten». Dies werde «wahrscheinlich zu einem weiteren Rückgang der Moral und einer anhaltend schlechten Disziplin führen», erklärt der Geheimdienst.
Französischer Journalist getötet
Der französische Journalist Frederic Leclerc-Imhoff ist in der Nähe von Sewerodonezk von einer russischen Granate getötet worden. Leclerc-Imhoff arbeitete unter anderem für den privaten französischen 24-Stunden-Nachrichtenkanal BFM TV. Zuvor hatte Serhiy Haidai, der Gouverneur von Luhansk, Bilder veröffentlicht, die einen schwer beschädigten Lastwagen mit eingeschlagener Windschutzscheibe und Blut im Inneren zeigen. Daneben lag die Leiche eines Mannes.
«Befreiung des Donbass»
In einem Interview mit dem französischen Fernsehen TF1 sagte der russischen Aussenminister Sergej Lawrow, die «Befreiung» des Donbass habe für Russland «unbedingte Priorität». Wörtlich sagte Lawrow: «Die Übernahme der Kontrolle über die Regionen Donezk und Luhansk, die von der Russischen Föderation als unabhängige Staaten anerkannt werden, ist eine unbedingte Priorität.»
«Keine Anzeichen irgendeiner Krankheit»
Der russische Aussenminister Lawrow hat in dem Interview mit der französischen Fernsehstation TF1 auch zu Gerüchten über eine Erkrankung Putins Stellung genommen.
Medien hatten kürzlich britische Geheimdienstquellen zitiert, die sagten, Putin sei ernsthaft erkrankt. Spekulationen häuften sich, wonach der Kreml-Führer an Krebs leide. Gerüchte über Putins Wohlbefinden tauchen jedoch schon seit Jahren immer wieder auf.
Lawrow sagte nun, angesichts der Tatsache, dass Putin regelmässig in der Öffentlichkeit auftrete, «glaube ich nicht, dass vernünftige Menschen in dieser Person Anzeichen für irgendeine Art von Krankheit oder Gebrechen sehen können». Putin wird im Oktober 70 Jahre alt.
Autobombe in Melitopol
In der von Russland besetzten Stadt Melitopol im Süden der Ukraine ist am Montag eine Autobombe explodiert, wie russische Staatsmedien berichten. Das Auto war im Stadtzentrum in der Nähe des Hauses der Kultur geparkt, wo russische Beamte in der Stadt tätig sind, wie der staatliche russische Nachrichtensender RT berichtete. Durch die Explosion gingen Fensterscheiben in nahe gelegenen Gebäuden zu Bruch.
Drei Menschen seien bei der Explosion verletzt worden, sagte eine Quelle in der vom Kreml unterstützten Stadtverwaltung gegenüber der staatlichen russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti.
Sowohl in Melitopol als auch in Cherson gab es immer wieder Proteste gegen die russische Besetzung. Laut unkrainischen Quellen könnte es sich um einen Attentatsversuch auf einen pro-russischen Verwalter der Stadt gehandelt haben.
Risse im europäischen Block
Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union treffen sich am Montagabend und Dienstag, um verschiedene Fragen im Zusammenhang mit der Ukraine zu erörtern. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass sie bei ihren festgefahrenen Bemühungen, ein Embargo gegen russisches Öl zu verhängen, einen Durchbruch erzielen werden.
Trotz ihrer starken Abhängigkeit von russischen Brennstoffen haben die EU-Länder bereits russische Kohle verboten. Die meisten wollen auch den Import russischen Öls verbieten. Doch nachdem seit der Invasion bereits fünf Sanktionspakete in Kraft getreten sind, die tiefe wirtschaftliche Verbindungen zwischen Europa und Russland untergraben haben, geht das vorgeschlagene sechste Massnahmenpaket für einige EU-Länder zu nahe an die Schmerzgrenze heran.
Ungarn, die Slowakei und die Tschechische Republik haben sich aufgrund ihrer extremen Abhängigkeit von russischem Öl gegen die Massnahme ausgesprochen. Ausgeschert ist auch der ukrainische Präsident Viktor Orbán, der enge Beziehungen zu Putin pflegt.
(Wird laufend aktualisiert)
Journal21.ch