
Es ist eine beispiellose Aktion vonseiten Israels gegen Iran in der Nacht auf den Freitag: Eine (erste) Angriffswelle mit 200 Flugzeugen, Attacken auf Atomanlagen, Tötung des Chefs der Revolutionsgarden und des Generalstabschefs und von sechs Atomtechnikern in Teheran.
Warum das alles und weshalb gerade jetzt, da der Abgesandte von US-Präsident Trump, Steve Witkoff, mitten in Verhandlungen mit dem iranischen Aussenminister über eine Begrenzung des Atompotentials steckt (die nächste Gesprächsrunde war für kommenden Sonntag angesetzt)? Will Netanjahu die Bemühungen der USA zur Entschärfung der explosiven Lage im Mittleren Osten durchkreuzen – oder ist alles zwischen Jerusalem und Washington abgesprochen?
Zeichen auf Sturm schon vor dem Angriff
US-Aussenminister Rubio versicherte, die USA seien an den israelischen Angriffen nicht beteiligt – das stimmt allenfalls halbwegs, denn Israel setzte sowohl US-Flugzeuge als auch US-amerikanische Munition ein. Donald Trump und seine Crew wurden wohl erst kurz vor dem Beginn der ersten Angriffswelle im Detail informiert – aber dass die Zeichen auf Sturm standen, wurde schon vor mehreren Tagen klar. Deshalb zogen die USA bereits einen Teil des Botschaftspersonals aus Bagdad ab (aus Furcht, Iran könnte Gegenschläge nicht nur auf Ziele in Israel, sondern auch auf amerikanische Stützpunkte in Irak ausführen). Daher äusserte Trump auch, er sei nun weniger optimistisch als zuvor, was die Verhandlungen mit der iranischen Führung betreffe. Tatsache ist jedenfalls, dass die Führung in Teheran die USA für die Eskalation mitverantwortlich erklärt.
Die US-iranischen Verhandlungen befanden sich schon seit mehreren Wochen in Schieflage. Witkoff lavierte hin und her zwischen zwei Forderungen: Die eine beinhaltete, dass Iran glaubhafte Beweise erbringen müsse, dass es keine Ambitionen auf die Entwicklung von Atombomben habe; die andere verlangte, dass die Iraner die Uran-Anreicherung nur so sehr begrenzen würden, dass das produzierte Material lediglich für den Betrieb des Energie-Reaktors in Busheer und für medizinische Zwecke verwendet werden könnte.
Ist Israels Hauptziel realisierbar?
Israels Regierung übte, aus dem Hintergrund, Druck auf die USA aus: Man müsse Iran ultimativ dazu zwingen, auf jegliche atomare Technologie zu verzichten und die bereits bestehenden Anlagen zu demontieren. Der iranische Aussenminister bezeichnete diese Forderung jedoch als «rote Linie», womit die Grenzen des Verhandelbaren gesetzt waren. Konkret: Die bilateralen Gespräche zwischen Iran und den USA befanden sich an einem toten Punkt.
Und diesen Moment nutzte Israel jetzt für seine Luftangriffe. Wie folgenschwer sie für die atomaren Anlagen in Iran waren, ist nicht abzuschätzen. Hauptziel der Angriffe in der Nacht auf den 13. Juni war Natanz, nördlich von Isfahan gelegen. Die iranischen Techniker haben die Zentrifugen für die dortige Uran-Anreicherung tief verbunkert und so versucht, sie unangreifbar zu machen. Aber selbst wenn es den israelischen Bomben gelungen wäre, sie entscheidend zu beschädigen, so bleiben Iran immer noch genügend andere Anlagen, anderswo im Land, um seine Programme weiter zu führen oder wieder aufzunehmen. Das Ziel Netanjahus, Iran atomar total zu entmachten, ist höchst wahrscheinlich nicht erreichbar.
Die iranische Führung versicherte bisher immer wieder, sie verzichte bewusst auf die Entwicklung einer Atombombe. Sie begründete das religiös: die «Bombe» sei unislamisch, weil sie nicht zwischen Kombattanten und Zivilisten unterscheide, sondern flächendeckend auch Unbeteiligte treffen würde. Ob dieses Argument weiterhin wenigstens halbwegs glaubwürdig bleibt, ist offen. Sehr wahrscheinlich werden sich nun, nach den israelischen Angriffen, die Hardliner innerhalb des Regimes verstärkt durchsetzen und nach neuen Mitteln und Wegen suchen, Iran – religiöse Argumente hin oder her – eben doch zur Atommacht zu machen.
Trumps Verantwortung
Letzten Endes ist US-Präsident Trump für die Eskalation verantwortlich. Noch in seiner ersten Amtszeit dekretierte er, dass die USA aus dem von seinem Vorgänger Obama ausgehandelten Vertrag über die Begrenzung und die Kontrolle des iranischen Atomprogramms ausstiegen – einen stichhaltigen Grund dafür gab es nicht, denn Iran hatte sich, bis zu jenem Zeitpunkt, strikt an die Vereinbarung gehalten, d. h., Uran auf nicht mehr als 3,67 Grad anzureichern und den Inspektoren der Internationalen Atomenergie-Behörde IAEA weitgehend Zugang zu den Anlagen gewährt.
Die Kündigung durch die USA wurde als Provokation empfunden – und das war sie auch. Iran reagierte mit einer Mischung aus Empörung und Trotz. Man teilte der Internationalen Atomenergie-Agentur fortan jeweils offen mit, wie viel Uran nun neu auf wie viel Grad angereichert worden sei (fast 200 Kilogramm auf 60 Grad) und nahm stillschweigend die dadurch geschürten Ängste hinsichtlich der Fähigkeit Irans, Atombomben zu entwickeln (dafür würde man auf 90 Grad angereichertes Material benötigen), zur Kenntnis.
Wahrscheinlich erwarteten die Politiker und Fachleute in Teheran, dass sie so die US-Führung zwingen könnten, in neue Verhandlungen einzutreten. Das geschah ja auch tatsächlich – nur wurde Israel nicht in diese Verhandlungen miteinbezogen. Mit dem Resultat, dass Netanjahu seinerseits die US-Amerikaner aus seiner Strategie ausschloss, die Bedenken Trumps über eine Eskalation beiseiteschob und die militärische Aktion anordnete. Ohne Rücksicht auf die Folgen.