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Bin Ladens Tod

Erleichterung auch bei den meisten Muslimen

3. Mai 2011
Kurt R. Spillmann
Der Tod bin Ladens hat nicht nur im Westen Erleichterung ausgelöst: Viele Muslime haben unter dem Terror-Image bin Ladens gelitten. Doch der Terror wird auch ohne bin Laden weitergehen. Dies erklärt Kurt R. Spillmann gegenüber "Journal 21". Spillmann ist emeritierter Professor für Sicherheitspolitik und Konfliktforschung der ETH Zürich.

“Journal 21“: Herr Professor Spillmann, Al Qaida hat längst keine homogene Struktur mehr. Die Organisation hat viele Ableger, die autonom agieren. Hat der Tod von Osama bin Laden überhaupt einen Einfluss auf Al Qaida?

Kurt R. Spillmann: Real, in Bezug auf die Aktionsfähigkeit, wird die Bedeutung von Osama bin Laden überschätzt. Aber er ist wichtig als Symbolfigur. Als psychologisches Aushängeschild dieser Organisation hat er weltweit Bedeutung gehabt. Sein Tod ist eine grosse Erleichterung für viele Muslime, die sich durch Osama bin Laden überhaupt nicht repräsentiert fühlten. Sie empfanden es als sehr negativ, dass ihr Bild in der öffentlichen Wahrnehmung durch Osama bin Laden besetzt wurde. Also: Nicht nur der Westen ist durch den Wegfall des grössten Terroristen erleichtert. Auch viele Muslime sind es. Sie hoffen jetzt, wieder als normale Muslime wahrgenommen zu werden, zum Beispiel als solche, die junge pro-demokratische Bewegungen in Nordafrika anführen.

Wie schätzen Sie die Zukunft von Al Qaida ein?

Al Qaida wird es weiter geben, so wie jede fundamentalistische Sekte immer zäh weiterlebt. Bin Laden war ja nicht der einzige Ideologe, er war zwar der Chefideologe, aber die Nummer zwei, Sawahiri, ist ein altgedienter fundamentalistischer und formulierungsfähiger Mann. Er wird versuchen, Al Qaida weiterzuführen. Es gibt auch andere Leute in der engeren Umgebung, die die Organisation weiterführen könnten. Vor allem auch werden sie weiterhin die internationalen Terroristen ausbilden, so, wie das jetzt im Sudan und anderswo geschieht. Also: Die Organisation wird weiterbestehen, aber sie wird nicht mehr diese füllende publizistische Wirkung entfalten wie bisher.

Das heisst, auch der Terror wird weiterbestehen.

Al Qaida ist eine dezentralisierte Organisation und der Terror wird dezentralisiert weitergeführt. Aber inzwischen gibt es eine ganze Reihe weiterer islamistischer Organisationen, die - wie Al Qaida - Terroranschläge planen und durchführen, und zwar vor allem in der muslimischen Welt, doch nicht nur dort. Der Terrorismus ist mit dem Tod Bin Ladens nicht erledigt.

Besteht nicht die Gefahr, dass die Anhänger bin Ladens seinen Tod jetzt mit massiven Terroranschlägen rächen werden?

Der Tod von bin Laden wird bei seinen fanatischeren jüngeren Anhängern grosse Trauer und Wut auslösen. Sie werden eine erhöhte Motivation für Terrorakte haben. Dieser Terror wird sich vor allem gegen amerikanische Einrichtungen in den USA und überall in der Welt richten. Amerikanische Institutionen sind jetzt besonders gefährdet.

Präsident Obama hat letzte Nacht vor den Medien fast gejubelt. Welche Bedeutung hat bin Ladens Tod für Obama?

Obama kann diesen grossen Triumph für sich verbuchen. Das ist wichtig für seine Legitimität. Er hat Entschlusskraft bewiesen. Er hat in seiner Rede gesagt: „Ich habe entschieden. Jetzt haben wir genügend Beweise, um die Aktion durchzuführen“. Diese Aktion ist erfolgreich verlaufen. Das wird ihm in seiner Wahlkampagne nächstes Jahr auch zugutekommen. Die Wahlen finden zwar erst in 18 Monaten statt, aber die Aktion ist ein ganz grosser Pluspunkt für Obama. Sie ist auch ein Pluspunkt für das amerikanische Versprechen, die Terroristen zu verfolgen, aufzuspüren und sie zur Rechenschaft zu ziehen. Dieses Versprechen hatte George W. Bush gleich nach 9/11 abgegeben. Bin Laden ist jetzt erschossen worden und wurde nicht mehr zur Rechenschaft gezogen, aber damit ist dieses Dossier jetzt abgeschlossen.

Dass bin Laden in Pakistan gefunden wurde, ist ja kein Ruhmesblatt für die pakistanischen Sicherheitskräfte.

Sehr bezeichnend war, dass der amerikanische Präsident in seiner Rede nicht die pakistanischen Sicherheitskräfte oder die pakistanische Armee als Partner in dieser Aktion genannt hat, sondern die zivile Regierung. Das kann Ausdruck dafür sein, dass Obama weder dem pakistanischen Geheimdienst noch der Armee wirklich traut. Der Geheimdienst ist ja gespalten. Es gibt Teile, die Al Qaida-freundlich sind und andere Teile, die eher auf der USA-freundlichen Seite stehen.

Das amerikanisch-pakistanische Verhältnis ist ja seit Jahren belastet. Und jetzt findet man bin Laden ausgerechnet nahe der pakistanischen Hauptstadt. Wird jetzt das Verhältnis noch mehr getrübt?

Das glaube ich nicht. Nach der ersten Entrüstung, dass bin Laden in Pakistan gefunden wurde und der ersten Beschämung des pakistanischen Sicherheitsdienstet, dass er ihn nicht gefunden hat, wird sich das Verhältnis eher beruhigen. Wie ich das Naturell von Obama einschätze, wird bin Ladens Tod eher zu einer Verbesserung der Beziehungen führen. Interessant ist auch Obamas jetziges Kompliment an den pakistanischen Präsidenten Zardari und sein Sicherheitsteam. Diese Beziehungen sind von entscheidender Bedeutung. Nur über den Draht von Washington nach Islamabad können die USA Einfluss auf die islamische Atombombe ausüben. Diesen Draht wollen sie nicht kappen.

Welchen Einfluss hat bin Ladens Tod auf das amerikanische Engagement in Afghanistan?

In Afghanistan hat Al Qaida keinen grossen Einfluss mehr ausgeübt. Die Taliban operieren unabhängig von Al Qaida. Ich vermute, dass bin Ladens Tod für Obama ein zusätzliches Argument ist, den Rückzug aus Afghanistan zu beschleunigen. Er kann jetzt die Operation als „siegreich beendet“ erklären und sich gemäss seinem Zeitplan aus Afghanistan zurückziehen.

(Das Interview mit Prof. Spillmann führte Heiner Hug)

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