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Strom

Energiestrategie der Schweiz unter Druck

12. September 2025
Jürg Hofstetter
Jörg Hofstetter
Elektrizät
Ein Starkstrommast auf der Linie Airolo-Mettler, aufgenommen am 14. August 2025 (Keystone/Urs Flueeler)

Die SVP schürt mit ihrer Initiative «Blackout stoppen» die Angst vor einer existentiellen Stromkrise, die FDP fordert in alarmistischem Ton die Wiederaufnahme der Kernkraftnutzung, Gewerkschaftsboss Maillard sieht im EU-Stromabkommen eine ökologische Gefahr. Gleichzeitig verdrängen manche Solarbefürworter die Probleme der schwankenden Photovoltaik-Produktion, und der Landschaftsschutz/Naturschutz blockiert Windkraft- und Alpine-PV.

Die Energiestrategie der Schweiz steht offenbar von allen Seiten unter gewaltigem Druck. Dabei wird der Ton zwischen den Lagern immer rauer, sichtbar auch in den sozialen Medien. Das erinnert an den «Stromkrieg» des 19. Jahrhunderts, als die Erfinder Edison und Westinghouse um die Vorherrschaft von Gleich- oder Wechselstrom stritten – teils mit schmutzigen Methoden. So machte sich das Edison-Lager für den Einsatz von Wechselstrom für Hinrichtungen stark, um ihn so als gefährlich zu brandmarken.

Wie können wir uns in diesem Informationswirrwarr noch sachlich informieren und orientieren?

Ein zentraler Orientierungspunkt sind die öffentlich zugänglichen Studien der Nexus-e Plattform der ETH Zürich (1). Ein interdisziplinäres Forschungsteam hat eine wissenschaftliche Plattform entwickelt, auf der unterschiedliche Energieszenarien bis 2050 im Stundenraster durchgerechnet werden. Ziel ist ein möglichst kostengünstiger Strommix, unter Berücksichtigung von Netzausbaukosten. Ein differenziertes Wettermodell stellt sicher, dass die Schwankungen der Photovoltaik realistisch abgebildet werden. 
Ihr Referenzszenario ohne Kernkraft sieht bis 2030 eine Solarproduktion von 9,5 TWh vor. Zum Vergleich: 2024 wurden real rund 6 TWh erzeugt – beim aktuellen Ausbautempo ist dieses  Ziel durchaus erreichbar.

Solche Szenarien sind keine Prognosen, sondern zeigen mögliche Handlungsoptionen. Ihre Realisierbarkeit hängt wesentlich vom künftigen Stromverbrauch ab. Einerseits führen Effizienzgewinne (z. B. LED-Beleuchtung) zu Einsparungen, andererseits treiben Elektromobilität, Wärmepumpen, Digitalisierung und Bevölkerungswachstum den Bedarf nach oben. Das erwähnte Referenzszenario stützt sich dabei auf die BfE-Studie Energieperspektiven 2050+ (2), die gegenüber 2020 einen Verbrauchszuwachs von ca. 26% annimmt. Andere Autoren kalkulieren mit deutlich höheren Zuwachsraten. Auf der «Power Switcher»-Plattform der Energieunternehmung Axpo (3) werden Szenarien verschiedener Akteure vergleichbar dargestellt – darunter auch solche, die von über 40% Mehrverbrauch ausgehen und dennoch ohne Kernkraft auskommen.

Herausforderungen

Der Vergleich solcher Szenarien macht zentrale Herausforderungen einer kernkraftfreien Energiestrategie sichtbar, die wir als Gesellschaft aktiv angehen müssen:

  • Der aktuelle Ausbau der Photovoltaik muss konsequent fortgeführt werden.
  • Kurzfristig braucht es Lösungen für die Mittags-Peaks der PV-Produktion, damit Investitionen attraktiv bleiben.
  • Windkraft und alpine Photovoltaik – letztere besonders wertvoll bei Winternebel im Mittelland – erfordern einen gesellschaftlichen Kompromiss für den dringend notwendigen Ausbau.
  • Ab 2035/40, nach Abschaltung der letzten Kernkraftwerke, reichen Speicherseen und Batterien für den Winterausgleich nicht mehr aus. Einige Szenarien setzen dann auf Gaskraftwerke mit synthetischen, CO₂-freien e-Kraftstoffen wie Wasserstoff oder eMethanol (4), die jedoch ineffizient und teuer sind. Andere Modelle vertrauen stärker auf den europäischen Stromhandel, der Schwankungen im grossen geographischen Massstab besser ausgleicht.

Wichtig bleibt: Es existieren verschiedene Lösungsansätze. Welche dieser Entwicklungen sich letztendlich durchsetzen wird, hängt auch von technologischen Entwicklungen ab und ist derzeit noch ungewiss. 

Dunkelflaute

Bleibt die Frage: Was passiert bei einer extremen Dunkelflaute – wenn z. B. 20 Tage weder Sonne noch Wind Strom liefern und gleichzeitig kein Import möglich ist? Solche europaweiten Wetterlagen sind zwar selten, können aber eintreten und darauf muss sich die Schweiz vorbereiten. 

Eine Forschungsgruppe von ETH und ZHAW hat das zukünftige Schweizer Energiesystem einem Stresstest unterzogen; auch eigene Analysen kommen zum gleichen Ergebnis (5): Am effizientesten sind Reservekraftwerke, die nur in ausserordentlichen Ausnahmefällen zum Einsatz kommen und mit CO₂-neutralen e-Kraftstoffen betrieben werden.

Da diese Treibstoffe nur selten gebraucht werden – nur alle paar Jahre – sind die hohen Produktionskosten weniger relevant. Wichtig sind günstige Speicherkosten. In der Schweiz sind grosse Wasserstoffspeicher (z. B. in ehemaligen Salzstöcken) kaum realistisch; realistischer ist der Einsatz von eMethanol, das ähnlich wie Erdgas langfristig und günstig in Tanks gelagert werden kann.

Entscheidend ist, dass Forschung und Entwicklung hier rasch vorangetrieben werden. Es reicht nicht, wie vom Bundesrat geplant, fossile Reservekraftwerke aufzustellen und eine spätere Umrüstung auf e-Kraftstoffe in Aussicht zu stellen. Die nötigen technischen Massnahmen müssen von Beginn an eingeplant und in Pilotanlagen erprobt werden.

Fazit

Eine nachhaltige Energieversorgung ist auch ohne Kernkraft möglich und finanzierbar – vorausgesetzt, wir erledigen als Gesellschaft die oben aufgeführten Hausaufgaben. Gelingt das nicht, wird der Ruf nach neuen Kernkraftwerken unweigerlich lauter werden.

(1) Nexus-e: https://nexus-e.org/eip-eth-collaboration-rethink-future-swiss-electric…

(2) Bundesamt für Energie (BfE),  Energieperspektiven 2050+: https://www.bfe.admin.ch/bfe/de/home/politik/energieperspektiven-2050-plus.html

(3) AXPO Power Switcher: https://powerswitcher.axpo.com/de

(4) eMethanol erzeugt bei der Verbrennung zwar CO2, aber die Produktion des Treibstoffes verbraucht gleichviel CO2. Der Gesamtzyklus gilt damit als CO2 neutral.

(5) Stresstest:

ETH/ZHAW: https://ethz.ch/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2025/01/stresstests-fuer-das-schweizer-stromsystem.html

CO2 Netto-Null: https://co2nettonull.com/saisonale-speicher-gegen-dunkelflaute/

 

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