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Kommentar 21

Eine Flut offener Fragen

9. Juli 2025
Ignaz Staub
Ignaz Staub
Flutkatastrophe
Keystone/AP Photo/Ashley Landis

Die Flutkatastrophe in Texas lässt rätseln, ob ihre schlimmsten Auswirkungen zu verhindern gewesen wären, wenn US-Präsident Donald Trump bei den zuständigen Behörden wie dem Nationalen Wetterdienst nicht einen Stellenabbau befohlen hätte. Ein solcher dürfte Experten zufolge exakte Prognosen zumindest erschwert haben. Das Weisse Haus weist entsprechende Kritik als politisch motiviert zurück. 

«In einem Augenblick veränderte sich alles. Das Wasser kam schnell, zu schnell. Häuser wurden überflutet, Strassen verschwanden und Menschen wurden mitgerissen», sagte in Kerrville Reverend Jasiel Hernandez Garcia von der First Presbytarian Church in seiner Sonntagspredigt, als das Ausmass der Flutkatastrophe vom 4. Juli in Texas allmählich sichtbar wurde: «Was stark schien, wurde zerbrechlich. Was sicher schien, wurde in nur einem Augenblick weggerissen.»

Zuvor hatte sich ein Pastor der Kirche an die Kinder der Gemeinde gewandt: «Es ist okay, zornig zu sein. Es ist okay, wirklich Angst zu haben. Es ist okay, äusserst traurig zu sein.» In der Tat mischt sich im von der Flut heimgesuchten Gebiet in die Trauer über das Vergangene und die Angst vor dem Kommenden auch Zorn – Zorn über ein allfälliges Versagen zuständiger Behörden auf lokaler, Staats- und Bundesebene. Dies, obwohl es derzeit noch zu früh ist, Schuld für das Vorgefallene klar zuzuweisen. Fragen müssen nach über 100 Toten und mehr als 190 Vermissten im Texas Hill Country allerdings gestattet sein, nicht zuletzt jene, welche die Sparpolitik des Weissen Hauses betreffen.

Zwar erklärte Donald Trump selbst, der Nationale Wetterdienst (NSW) sei eine «Biden-Institution», sagte zur Abwechslung aber auch, er gebe seinem Vorgänger keine Schuld: «Ich würde sagen, das ist eine 100-Jahr-Katastrophe.» Noch im vergangenen Jahr, als ein Hurrikan North Carolina heimsuchte, hatte der Präsident ohne Beweise behauptet, die Regierung Biden würde jenen vom Sturm Betroffenen nicht helfen, die in Gebieten lebten, die mehrheitlich republikanisch wählen. Und als Anfang Jahr Buschfeuer in Los Angeles wüteten, gab Trump den Demokraten der City und des Staates Kalifornien die Schuld dafür und streute Falschinformationen über die lokale Politik des Wasserverbrauchs.

Aufforderung zum Beten

Kristi Noem, Trumps Ministerin für Innere Sicherheit, äusserte sich bei einer Pressekonferenz am Wochenende weniger zurückhaltend. Auf die Frage eines Reporters, ob verspätete Warnungen des Nationalen Wetterdienstes nicht »ein fundamentales Versagen der Bundesregierung» sein könnten, für die Sicherheit der Menschen zu sorgen, antwortete Noem, die Technologie sei «veraltet» und die Regierung arbeite daran, sie zu modernisieren – ein indirekter Vorwurf an die Vorgängerregierung. 

Auf eine zweite Frage, was für Konsequenzen die in der jüngst verabschiedeten «One Big Beautiful Bill» vorgesehenen Kürzungen und Schliessungen von Wetterforschungseinrichtungen in Zukunft haben könnten, antwortete die von einzelnen Medien als «ICE Barbie» verspottete Ministerin lediglich, sie werde solche Bedenken dem Weissen Haus überbringen.

Zu Recht kritisierte in San Antonio Fernsehmoderatorin Stephania Jimenez Kristi Noems Pressekonferenz, an der auch Greg Abbot, der republikanische Gouverneur von Texas, auftrat: «Was mir auffiel, ist der Umstand, dass wir erst nach 27 Minuten der Pressekonferenz konkrete Informationen erhielten.» Zuvor hatten sich Noem und Abbot  gegenseitig und bei Präsident Donald Trump ausführlich bedankt, während der Gouverneur die Menschen wiederholt zum Beten aufforderte. «Das ist nicht, was wir in einer solchen Situation hören wollen», sagte die Fernsehfrau. 

Personalmangel 

Für eine einfache Erklärung der Flutkatastrophe in Texas sorgte derweil die Republikanerin Kandiss Taylor, die in Georgia für einen Sitz im US-Repräsentantenhaus kandidiert. Auf X postete sie: «Fake Wetter. Fake Hurrikane. Fake Flut. Fake. Fake. Fake». Es gehe nicht nur um Klimawandel, schrieb die Politikerin, es handle sich um Wettermanipulation: «Wenn Fake Wetter für eine wirkliche Tragödie sorgt, dann ist das Mord. Betet. Seid bereit. Hinterfragt das Narrativ.» Taylors Kurzbiografie auf X: «Christin. Bürgerin Georgias. MAGA. Jesus, Schusswaffen & Babies.»

Auf jeden Fall steht fest, dass der Nationale Wetterdienst an die 600 seiner 4’000 Angestellten entlassen musste, nachdem Elon Musks Department of Government Efficiency (DOGE) bei der Behörde die Sparschraube angesetzt hatte. So sind etwa landesweit nicht mehr alle Büros des Dienstes rund um die Uhr besetzt. Im Büro des NSW in San Angelo (Texas) fehlten ein erfahrener Hydrologe, ein Wetterprognostiker und ein zuständiger Meteorologe. In San Antonio blieben 6 von 27 Stellen unbesetzt, unter ihnen jene eines Meteorologen, der mit der Koordination von Wetterwarnungen beauftragt war. 

Frühere Bundesbeamte und externe Experten warnen in den USA seit Monaten, der Stellenabbau und die Budgetkürzungen beim Wetterdienst könnten Leben gefährden. «Die Leute sind müde, sie arbeiten die Nacht durch und auch am folgenden Tag, weil die nächste Schicht unterbesetzt ist», sagt Louis Uccellini, der unter drei Präsidenten den NSW geleitet hat: «All dies könnte eine Situation schaffen, in der wichtige Elemente von Prognosen und Warnungen übersehen werden.» 

Fest steht ferner, dass Donald Trump angekündigt hat, die nationale Katstrophenhilfeorganisation (FEMA) aufzulösen und deren Aufgabe den Einzelstaaten zu übertragen, weil er die Organisation für ineffizient und stümperhaft hält. Auch hat der Präsident die Einzelstaaten gewarnt, vom Bund künftig weniger Geld für Katstrophenhilfe zu erwarten. Abgebaut und privatisiert werden soll allenfalls auch die National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA), die unter anderem für das Aufsteigen von Wetterballons und Wettersatelliten in die Atmosphäre zuständig ist und deren Daten regionale Prognosen erleichtern.

Blame Game 

Von Sparübungen noch weitgehend unbetroffen ist derweil das National Hurricane Center in Miami (Florida), obwohl lokale Meteorologen warnen, die Qualität der Wetterprognosen nehme ab, nachdem in den lokalen Büros des Nationalen Wetterdienstes zwischen 20 bis 40 Prozent der Stellen abgebaut worden seien: «Unter Umständen werden wir nicht mehr genau wissen, wie stark ein Hurrikan ist, bevor er auf die Küste trifft.»

Fest steht am Ende auch, dass in den USA noch weitere Behörden vom Stellenabbau betroffen sind, die bei Naturkatastrophen neben dem NSW, der NAOO oder der FEMA ins Spiel kommen. Das sind etwa der U. S. Geological Survey, der Wasserstände von Meeren und Flüssen misst, die Small Business Administration, die nach Katastrophen Kredite für Wiederaufbau vergibt, oder das Department of Housing and Urban Affairs (HUD), das Milliarden für Wiederaufbau und Reparaturen zahlt. 

Beim in Katastrophenfällen Fällen üblichen «blame game», dem Zuweisen von Tadel, spielen auch die Demokraten kräftig mit. Senator Chuck Schumer (New York) fordert vom Commerce Department, dem der Nationale Wetterdienst untersteht, eine Untersuchung, ob fehlende Stellen beim NSW zum katastrophalen Verlust von Leben und Besitz bei der Flut beigetragen hätten. Senator Christopher S. Murphy (Connecticut) schrieb in den sozialen Medien», «akkurate Wetterprognosen helfen, tödliche Katastrophen zu vermeiden.»

Doch Karoline Leavitt, die Pressesprecherin des Weissen Hauses, hat am Montag jegliche Verantwortung der US-Regierung umgehend zurückgewiesen und betont, die Demokraten würden die Flut in Texas für politische Zwecke missbrauchen: «Das ist eine riesige Tragödie und die Regierung behandelt sie so.» Der NSW, so Leavitt, habe genügend Personal und «rechtzeitig präzise Prognosen und Warnungen» herausgegeben: «Präsident Trump für die Flut verantwortlich zu machen, ist eine abscheuliche Lüge und erfüllt in Zeiten nationaler Trauer keinen Zweck.»

Donald Trump soll nun noch diese Woche das Katastrophengebiet in Texas besuchen. Das Ausmass der Bundeshilfe für den republikanisch regierten Staat ist aber noch nicht bekannt. Das Ganze, so das Weisse Haus, sei «noch unter Diskussion». Doch Tom Homan, ein Spitzenbeamter des Ministeriums für Innere Sicherheit, zeigt sich bereits heute zufrieden: «Das Fazit ist folgendes: Ich habe mir die bisherige Reaktion angeschaut. Sie ist viel besser, schneller und adäquater, als sie es unter der Regierung Biden gewesen wäre.» So viel zum Thema nationale Solidarität über Parteigrenzen hinweg.  Ferner wahrscheinlich: Die nächste Katastrophe kommt bestimmt. Und sie wird kein Fake sein.

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