Buddhistische Tempel in Südostasien zeichnen sich aus durch überbordenden Schmuck mit einer für Aussenstehende kaum dechiffrierbaren Bilderwelt. In der Nähe der nordthailändischen Stadt Chiang Rai ist ein Komplex entstanden, der sowohl Tempel wie Gesamtkunstwerk ist.
Es gibt allein in Thailand über 30’000 buddhistische Tempel, von denen aber nur die wenigsten nicht aus der Neuzeit stammen. Wir sprechen hier von Gebäudegruppen, die eingefriedet sind und als heilige Bezirke gelten. Zu einem Ensemble gehören ein Eingangstor, ein Glockenturm, die Buddhahalle mit der raumhohen Statue des Religionsstifters und vielfach eine offene Halle für die Mönchsunterweisung. Zwischen den Trakten findet man weitere kleinere Statuen und Altäre sowie Stupas, wie die typischen Gebilde mit breitem Sockel und sich nach oben verjüngenden Schichten heissen. Sie dienen der Meditation.
Die Kerne der verschiedenen Gebäude bestehen meistens aus einem Stahlbetonskelett, das ausgefacht wird. Danach wird gleichsam um die Wette dekoriert mit unzähligen Skulpturen, Malereien, Ornamenten, und dies alles üppig bemalt, wobei Gold vorherrschend ist. Der Unterschied zu den oft ärmlichen Behausungen der nicht zum Mönchsstand gehörenden Bevölkerung könnte nicht grösser sein.
Im Westen wird der Buddhismus gerne als rationale und weitgehend atheistische Religion dargestellt, deren Hauptprinzipien ethischer Natur sind. Doch schaut man sich die Tempelkomplexe an, muss man sich schon fragen, was den Buddhismus vom Heiligen- und Bilderkult des historischen Katholizismus unterscheidet. Abgesehen davon stellt sich bei Kunst- und Architekturinteressierten, da sich die Monumente einander ähneln, bald einmal eine gewisse Sättigung ein. Vergebens hält man Ausschau auf Realisationen mit modernen Stilmitteln.
Es gibt eine Ausnahme, auch wenn hierbei der Begriff Moderne weit gefasst werden muss. Rund fünfzehn Kilometer von der nordthailändischen Stadt Chang Rai entfernt, gab es einen Tempel, der wegen fehlendem Nachwuchs an Mönchen mehr und mehr verfiel. 1997 erklärte sich Chalermchai Kositpipat, ein thailändischer Künstler mit chinesischen Vorfahren, bereit, das Areal nach seinen Vorstellungen umzugestalten. Der nun 70jährige Künstler studierte an der Silpakorn University in Bangkok, der bedeutendsten Kunstschule in Thailand, und schloss 1977 mit einem Bachelor of Fine Arts ab. In seiner Kunst verschmilzt er aktuelle Motive mit der traditionellen buddhistischen Bilderwelt und er hatte damit schon früh Erfolg.
Zu Chalermchais Sammlern gehörte auch der damalige König Bhumibol Adulyadej. 2005 vollendete er im Stadtzentrum von Chiang Rai einen Uhrturm, der mit derart mastigem Schmuck überzogen ist, dass das Zifferblatt kaum noch zu Geltung kommt. In Thailand wird dies offensichtlich akzeptiert, während in Europa eine solche Prachtentfaltung kaum mehr goutiert wird.
Dass Chalermchai den gesamten Umbau des Tempels, in den bis anhin zwölf Millionen Dollar investiert wurden, weitgehend aus seinem eigenen Vermögen finanzierte, deutet doch darauf hin, dass zu seinem Kundenkreis viele aus der Oberschicht zählen. Das Areal des Weissen Tempels – offiziell Wat Ron Khun – ist riesig und umfasst zahlreiche Gebäude. Am markantesten und auch am häufigsten fotografiert ist die Buddhahalle, zu der eine Rampe hinaufführt und hinter der sich ein Turm erhebt. Man blickt zu Beginn auf ein Meer von Händen hinunter, die für die Unersättlichkeit menschlicher Triebe stehen und somit den Weg zum Glück verbauen. Zwei Elefantenstosszähne zeigen eine Art Tor an.
Alles ist blendend weiss, bewirkt durch einen polierten Gipsputz und spiegelnde Glasplättchen, welche die Kanten und die Ecken nachzeichnen. Das Überbordende rührt von den flammenartigen Elementen, die aus allen Stufungen wachsen und sich teilweise mit Figuren – etwa Drachen und Mischwesen – verwoben werden.
Im Unterschied zum äusseren Erscheinungsbild benutzte Chalermchai für den Innenraum der Buddhahalle dunkle Farbtöne. Verwirrend ist die Vielfalt an Bildmotiven. Buddhistische Szenen werden mit Elementen der Gegenwart kombiniert, etwa mit Figuren aus Hollywoods Filmwelt. Ob es sich hier um ein durchdachtes Programm handelt oder ob der Künstler intuitiv vorging, bleibt unklar, zumal kein brauchbarer Architekturführer angeboten wird.
Etwa ein halbes Dutzend Gebäude verteilen sich in der Umgebung. Auch sie erstrahlen in Weiss, sind aber frei von Dekor. Ob sie somit so etwas wie Rohdiamanten sind, die noch geschliffen werden, oder ob sie sich dadurch dem Haupttempel unterordnen, ist ungewiss. Es wird kolportiert, dass Chalermchai bis zu seinem Tode an seinem Hauptwerk arbeiten möchte, ohne jedoch anzudeuten, worin künftige Eingriffe bestehen. Als Kontrast zum Weiss, der Sphäre des Geistigen, trifft man auf einige golden bemalte Objekte, die das Materielle symbolisieren, das man hinter sich lassen soll. Am auffälligsten ist ein in einem Teich stehender und über eine Brücke betretbarer Pavillon, der auf der Übersichtstafel als Ganesha Exhibition Hall beschriftet wird. Darin werden Drucke des Künstlers ausgestellt, der in drei weiteren Sälen Einblicke in sein Schaffen gewährt.
Bescheidenheit gehört definitiv nicht zu den Haupttugenden von Chalermchai. Die Art und Weise, wie er sich mit seinem Konterfei inszeniert, wirkt befremdend und lässt den Verdacht aufkommen, dass die Religion lediglich als Feigenblatt für eine aufdringliche Selbstinszenierung dient. Wat Ron Khun lässt sich zwar kunsthistorisch in die Reihe von Gärten und Pärken einordnen, die von Kunstschaffenden als Gesamtkunstwerke angelegt wurden, etwa der Vigeland-Park in Oslo, der Tarot-Garten von Niki de Saint Phalle in der Toskana, der Giardino di Daniel Spoerri ebenfalls in der Toskana oder der etwas weniger bekannte Skulpturenpark von Not Vital in Sent. Fraglich bleibt aber, ob Wat Ron Khun die Ehre zufallen soll, in diese illustre Gruppe aufgenommen zu werden. Es ist nicht auszuschliessen, dass nach dem zugegebenermassen betörenden ersten Blick die kritischen Fragen überhandnehmen.
Fotos: Fabrizio Brentini