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Gaza

Ein riesiges menschliches Desaster - und wenig Hoffnung

6. August 2014
Pierre Simonitsch
Die betroffenen Menschen atmen kurz auf. Nach einem Waffenstillstand von 72 Stunden sollen Verhandlungen über eine längerfristige Lösung zwischen der israelischen Regierung und der im Gazastreifen herrschenden Hamas-Bewegung beginnen.

Genau dies verlangte eine einstimmige Erklärung des Weltsicherheitsrats am 28. Juli. Das Signal dieser Erklärung, die formaljuristisch unter dem Status einer Resolution liegt, war klar: Genug ist genug!

Die Streithähne im Nahen Osten unterschätzten aber die Ernsthaftigkeit der Botschaft. Der Gazakrieg ging weiter wie gehabt. Auch westliche Regierungschefs, Israel traditionell verbunden, begannen Klartext zu reden. Frankreichs Präsident François Hollande und sein Aussenminister Laurent Fabius – Jude und persönlicher „Freund“ des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu - nannten die militärischen Operationen Israels ein „Massaker“. „Wie viele Tote braucht es noch, bevor das Gemetzel in Gaza beendet wird?“, fragte Fabius. Der neue britische Aussenminister Philip Hammond bezeichnete die Bombardierung einer Uno-Schule im Gazastreifen als „unerträglich“. Das US-Aussenministerium erklärte sich von der hohen Zahl ziviler Opfer „entsetzt“. Der Beschuss einer Uno-Schule, die als Schutzzone diente, sei „schändlich“. Hinter verschlossenen Türen waren die Auseinandersetzungen mit der israelischen Diplomatie wohl wesentlich heftiger.

"Den Tatbestand von Kriegsverbrechen"

Uno-Generalsekretär Ban Ki-Moon, stets besorgt, nicht bei den Mächtigen anzuecken, sieht sich durch die Stellungnahme der Grossmächte zu einem Vorpreschen ermutigt. Er brandmarkte die israelischen Angriffe gegen die Zivilbevölkerung in Gaza als ein „Verbrechen“. Die Uno-Hochkommissarin für Menschenrechte, die Südafrikanerin mit indischen Wurzeln Navi Pillay, stellte schon früher fest, dass die Operationen beider Seiten in Gaza „den Tatbestand von Kriegsverbrechen erfüllen könnten“. Pillay, deren Amtszeit Ende August abläuft, wurde daraufhin zum Ziel einer Hasskampagne der israelischen Propaganda.

Am Dienstag gaben die im Gazastreifen tätigen Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen in Genf eine gemeinsame Pressekonferenz. Zugeschaltet war die Vertreterin des Uno-Kinderhilfswerks Unicef in Gaza. Zahlreiche menschliche Dramen werden darin zu Statistiken. Laut Unicef  wurden seit dem Ausbruch des Kriegs am 8. Juli mindestens 392 palästinensische Kinder durch israelische Luftangriffe oder Artilleriebeschuss getötet; 2502 Kinder wurden verwundet. Die Gesamtzahl der Toten beträgt über 1700.

Lagerorte von Kassam-Raketen

Mindestens 142 Schulen, darunter 89 Schulen des Uno-Hilfswerks für die Palästina-Flüchtinge (UNRWA) und drei private Kindergärten wurden durch israelische Angriffe beschädigt.

Mehr als ein Viertel der Bevölkerung des Gazastreifens, 485.000 Menschen, mussten ihre zerstörten Wohnstätten verlassen und sind jetzt in UNRWA-Schulen oder private Unterkünfte geflüchtet.

Etwa anderthalb Millionen Menschen haben keinen Zugang mehr zu Wasser. Wegen der Zerstörung des einzigen Elektrizitätswerks, der Wasserpumpen und der Abwässerkanäle gibt es nur mehr gelegentlich Strom und Trinkwasser. Immer mehr Kinder leiden unter Durchfall. Nach Aussage der Unicef-Vertreterin in Gaza sind die in dem seit fast einem Monat dauernden Krieg angerichteten menschlichen und materiellen Schäden weitaus höher als jene des vorigen Waffengangs von 2009.

Israel rechtfertigt die Bombardierung von UNRWA-Schulen damit, dass die Hamas-Aktivisten von dort aus Raketen auf israelisches Territorium abfeuerten. Untersuchungen von UNRWA haben ergeben, dass tatsächlich drei ihrer Schulen als Lagerorte von Kassam-Raketen missbraucht wurden. Gestartet wurde von dort aber keine einzige. UNRWA stellte fest, dass im Süden Israels zwei Schulen von aus dem Gazastreifen abgefeuerten Raketen beschädigt wurden.

Hoffnungslosigkeit

Israel betrachtet die UNRWA seit langem als einen Feind, der die Zahl der ursprünglichen palästinensischen Flüchtlinge durch die Ausweitung ihres Status’ auf deren Nachkommen vervielfacht hat. Ein Problem der Regierung in Jerusalem ist jedoch, dass die USA der weitaus grösste Beitragszahler dieser 1948 gegründeten Hilfsorganisation der Uno sind. Generalkommissar der UNRWA ist derzeit der Schweizer Pierre Krähenbühl, der zuvor eine leitende Stelle beim Internationalen Komitee von Roten Kreuz (IKRK) bekleidete. Im Gazastreifen ist UNRWA der grösste Arbeitgeber. Trotz dieser Unterstützung sind 56 Prozent der Jugendlichen arbeitslos. Dank dieser Hoffnungslosigkeit war es der radikalen Palästinenser-Organisation 2006 gelungen, in Wahlen die absolute Mehrheit zu erringen. Die auch im Gazastreifen wegen ihrer fundamental-islamistischen Politik in weiten Kreisen verhasste Hamas-Führung hat aber nicht die Absicht, ihre Macht wieder abzugeben.

Die Blicke richten sich jetzt nach Kairo, wo diese Woche Verhandlungen über eine dauerhafte Waffenruhe beginnen sollen, wenn der auf drei Tage befristete Waffenstillstand hält. Grosse Hoffnungen macht sich niemand. Die Hamas verlangt eine Aufhebung der Wirtschaftsblockade, was Israel strikt ablehnt.

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