Die Entwicklung in der Schweiz erfordert Verdichtung, Erhaltung und neue Nutzung von Bestehendem, Eindämmung der fortschreitenden Zersiedelung. So fokussiert denn die aktuelle Werkschau des Bauens nicht auf grosse Würfe, sondern auf sorgsamen Umgang mit Vorhandenem.
Soeben erschien die zweite Ausgabe des Schweizer Architekturbuches, das dreissig Arbeiten vorstellt. Gleichzeitig wurde im Schweizer Architekturmuseum Basel eine Ausstellung eröffnet, die wie vor zwei Jahren sämtliche Eingaben präsentiert. Das Auswahlverfahren war dasselbe wie beim ersten Jahrbuch: 44 Fachpersonen aus der ganzen Schweiz reichten je fünf Vorschläge ein, wobei zwei davon aus der jeweiligen Region stammen mussten.
Es scheint, als ob die Verantwortlichen eine ganz bestimmte Stossrichtung für die Schweizer Architektur anzeigen wollten, denn etliche Themenbereiche knüpfen nahtlos an die Gedanken an, die schon im ersten Jahrbuch formuliert wurden. Auch diesmal wird man in der Publikation keine spektakulären Einzelmonumente finden. Vielmehr geht es um das Bauen im Bestehenden.
Damit sind Renovationen gemeint, aber auch sinnvolle Ergänzungen in Siedlungsstrukturen. Das kann bisweilen um einiges herausfordernder sein als das Entwerfen von Solitären auf der grünen Wiese. Leitend für solches Bauen sind «konservative» Fragen: Was möchte ich erhalten? Auf welche Weise passe ich vorhandene Bausubstanz den heutigen Bedürfnissen an? Wie kann ich den Anteil an grauer Energie minimieren? Welche umweltschonenden Werkstoffe setze ich dabei ein?
Etliche Beispiele taugen durchaus als mögliche Vorbilder für ähnliche künftige Vorhaben. Verblüffend ist etwa die neue Nutzung des ehemaligen Felix-Platter-Spitals in Basel. Der 1962 bis 1967 errichtete Block sollte zum Abriss freigegeben werden, doch der Widerstand war so gross, dass man schliesslich die Voraussetzungen schuf für insgesamt 134 Wohnungen.
Gelungen ist auch die Verdichtung einer Blockrandbebauung in Basel mit dem Einfügen eines erhöhten Wohntraktes, der im Hof mit kleinen, pavillonähnlichen Gebäuden ergänzt wurde. Es entstand eine kleinzellige Struktur, die so etwas wie Hinterhofromantik heraufbeschwört.
Das Thema der Renovation von Baudenkmälern wird immer wichtiger. Vorgestellt wird die Sanierung des Theaters St. Gallen, das, in Beton ausgeführt, den Bedürfnissen nicht mehr genügte. Auch hier entschied man sich gegen die Schleifung und für eine sanfte Sanierung mit neuen Räumlichkeiten, ohne das Gesamtbild wesentlich zu verändern. Beim Pfarreiheim Gerliswil in Emmenbrücke ist das Neue hingegen auffällig. Es ist ein akzeptabler Versuch, Alt und Neu miteinander zu verzahnen.
Man kann die Auswahl durchaus als Manifest auffassen. Die Schweiz wächst und für all die Zugewanderten braucht es Wohnraum. Das notwendige Wachstum soll jedoch die in den 1960ern und 1970ern erfolgte Zersiedelung nicht weiter voranschreiten lassen. Das bedeutet, dass verdichtet werden muss, wobei das Wohnen kostengünstig und gleichzeitig angenehm sein soll. Es bedeutet ferner die Aufwertung von Zwischenräumen. Sie sollen so begrünt werden, dass die Biodiversität auch in Städten garantiert werden kann. Schliesslich braucht es neue gesellschaftliche Lebensformen, etwa Mehrgenerationenhäuser oder Nachbarschaft von Arbeit und Wohnen.
Dies alles wird in den Essays des Schweizer Architekturbuchs mit Engagement diskutiert. «Die Geschichte der Stadt ist eigentlich eine Geschichte der Aufstockung, des Um- und Aufbaus», heisst es etwa. Es ist ein Aufruf zur Bescheidenheit. Vier Beiträge sprengen den Rahmen der reinen Architektur; sie stehen für die Auffassung, dass Bauen mehr ist als das Errichten von Räumen. In Basel schlug man die Bestückung von Vorgärten mit Bäumen vor, die einen Beitrag zur Kühlung des städtischen Klimas leisten sollen. Und nobilitiert wurde der Bauatlas historischer Häuser im Appenzellerland, wohl gewiss mit der Überlegung, dass der Umgang mit dem Bestehenden nur mit einer fundierten Inventarisierung möglich ist.
Brauchte es aber nebst dem Buch auch eine Ausstellung? Wer die Publikation aufmerksam studiert, wird im Museum nichts Neues erfahren. Etwas maliziös formuliert: Das Schweizer Architekturmuseum erhielt eine Ausstellung geschenkt. Als Besucher, als Besucherin hätte man beispielsweise gerne Modelle und Pläne zu den prämierten Entwürfen gesehen. Wie das Museum sich entwickelt, ist derzeit sowieso ungewiss. Der seit zehn Jahren amtierende Leiter Andreas Ruby verlässt die Institution auf Ende Jahr. Ein neues Konzept des Architekturmuseums steht noch aus, und so ist auch dessen weitere Kooperation mit dem Jahrbuch offen.
Schweizerisches Architekturmuseum Basel:
SAY Schweizer Architektur Jahrbuch / Swiss Architecture Yearbook
Ausstellung bis 9. November
Schweizer Architektur Jahrbuch 2025/26, Park Books, Zürich 2025