Die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerates (SiK-S) forderte den Bundesrat am 31. Oktober 2025 einstimmig zu einer umfassenden Beurteilung der sicherheitspolitischen Lage der Schweiz auf, um aufzuzeigen, wie die grössten Lücken in der Verteidigungsfähigkeit möglichst rasch geschlossen werden können, und «schnellstmöglich die nötigen Systeme und die Munition zu beschaffen, um den Luftraum der Schweiz zu schützen». Und dann?
Schon dass eine parlamentarische Kommission die Landesregierung dazu auffordert, ist bemerkenswert für unser politisches System.
Ein kurzer Blick zurück: Die gleiche SiK des Ständerates beantragte, für die Beschaffung der fehlenden Munition eine Extra-Milliarde zu bewilligen. Am 17. September lehnt der Ständerat dies mit 30 zu 13 Stimmen ab. Die SiK-S kämpft also im Plenum ihres Rates gegen Windmühlen. Nun fordert sie den Bundesrat auf darzutun, wie das im eigenen Rat gerade noch Unmögliche zu überwinden sei. «Schnellstmöglich»! Lobenswerte Bemühungen, aber derzeit wohl buchstäblich: viel Lärm um nichts.
Sicherheitspolitische Chaos-Tage
Szenenwechsel: Die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrates (SiK-N) beantragte am 23. Juni 2025 in einer Motion (25.3941) die «Strategische Aufstockung des Personalbestandes des Fedpol. Nur so könne die nationale Sicherheit gewährleistet werden». Mit stereotypen Sätzen lehnte der Bundesrat die Motion ab, der Nationalrat überwies sie jedoch ganz knapp. Die mit der Überprüfung danach beauftragte Eidgenössische Finanzkontrolle stellte erhebliche Unterbestände bei den Ermittlern fest und formulierte Empfehlungen. Darauf verkündet der Bundesrat, der Ressourcenbedarf für Ermittlungen sei unter Berücksichtigung der künftigen sicherheitspolitischen Strategie abzuschätzen. Diese Strategie liege bis ende 2025 vor (vgl. Journal 21 vom 21. September 2025: Der Bundesrat kann nachvollziehen …).
Kürzlich haben die Vertreter der Hellebarden-Fraktion in der Finanzkommission des Ständerates gar für einen Abbau des Personalaufwandes bei der Bundeskriminalpolizei gestimmt! Auch die portionenweise jährliche Aufstockung der Ermittlerbelegschaft wird also noch bekämpft.
An einer Tagung der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) am Donnerstag, 27. November 2025, haben zwei Kaderangehörige der Kantonspolizei Zürich und der Chef der Abteilung «Staatsschutz, Kriminelle Organisationen» des Fedpol mit vielen Daten und anhand konkreter Fälle dargelegt, wie stark die organisierte Kriminalität (OK) in der Schweiz bereits wirkt und sich weiter ausbreitet. Sie zeigten auch die Notwendigkeit intensivster internationaler Zusammenarbeit und den enormen Personalaufwand (u. a. für Observationen) bei der Bekämpfung von OK auf. Das scheint eine wechselnde Mehrheit in der Eidgenössischen Räten nicht zu interessieren. Priorität hat die Buchhaltung, das Sparen, auch wenn es um existentielle Gefahren («nationale Sicherheit») geht.
Politische Beschlüsse wider besseres Wissen
Erneuter Szenenwechsel: Am Mittwoch, 26. November 2025, hielt der Staatssekretär für Sicherheitspolitik (SEPOS) an der Universität Zürich einen Vortrag über die vom Bundesrat angekündigte sicherheitspolitische Strategie. Es gehe um den Wechsel von der Gesamtverteidigung zu einer «umfassenden Sicherheit» gegenüber vier Strängen von Bedrohungen: den derzeitigen Wegfall der «regelbasierten Ordnung», neue Mittel und Methoden der Konfrontation, einschliesslich Marktfragen (Zölle etc.), Bedrohungen der inneren Sicherheit durch OK und Terrorismus, sowie durch den Klimawandel und seine Konsequenzen. Alles drehte sich sodann um die Frage, mit welchem Charakter von Krieg wir es zu tun hätten. Dies gebiete strategisches Denken und führe zu drei Stossrichtungen: die Resilienz in mehrfacher Hinsicht einschliesslich Bevölkerungsschutz stärken, die Abwehrfähigkeiten gegen Angriffe aus der «Grauzone» (nicht Frieden, nicht Krieg) verbessern sowie die Verteidigungsfähigkeit für den Fall einer militärischen Aggression rasch stärken. Er verwies dabei auch auf die Kooperationsfähigkeit mit ausländischen Streitkräften, falls diese dazu überhaupt bereit wären. Das tönte alles überzeugend.
Auf die Frage, ob die derzeitige Bundespolitik von Bundesrat und Parlament einschliesslich die aktuelle Neutralitätspolitik nicht genau das Gegenteil dessen produzierten – und so für die nächsten vier bis acht Jahre festlegten –, was er als umfassende Sicherheitspolitik für unverzichtbar halte, antworte er, er müsse im Rahmen der «policy» arbeiten und könne sich zu «politics» nicht äussern. Damit war und ist klar, dass das geforderte strategische Denken gerade blockiert, verhindert wird, auch an dieser Neutralitätspolitik nicht gerüttelt werden darf.
Die derzeitige Bundespolitik fährt die Sicherheit der Schweiz an die Wand
Die sog. Sicherheitsarchitektur der Schweiz stammt aus dem Jahr – 1848. Die Politik hält nach wie vor an einer längst untauglich gewordenen Aufgabenteilung in «innere» und «äussere» Sicherheit fest. Schon lange ist klar, dass diese Teilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Kantonen bei der Bekämpfung der Schwerstkriminalität, ob OK (einschliesslich Geldwäscherei) und Bandenkriminalität oder Terrorismus, viel mehr Schwierigkeiten bereitet, als sie sich als «Lösung» bewährt haben könnte. Spätestens seit der selbst im Parlament erkannten Drohnenproblematik ist nicht klar, ob Drohnen-Abwehr in die Zuständigkeit der kantonalen Polizeidienste oder der Armee (Flab) gehört, wie kürzlich auch der Verteidigungsminister festgestellt hat. Diese Ungeheuerlichkeit muss man sich einmal nüchtern vor Augen halten. Dem Problem wäre mit einer Änderung der bundesstaatlichen Zuständigkeitsregelung gut beizukommen. Es bräuchte eine Änderung der Bundesverfassung. Doch dies ist offenbar ein Tabu. Und innerhalb der geltenden Zuständigkeiten werden im reichsten Land der Welt finanzielle Engpässe zur Behebung der Unterbestände an Ermittlern – sowohl beim Bund wie in den Kantonen – angeführt. Zum Vergleich: Vorhandene Nahrungsmittelhilfe kommt, nachdem die Leute bereits verhungert sind.
Gleiches gilt für die Vorbereitung gegen gewaltsame und militärische Aktionen. Die Verteidigungsfähigkeit der Armee wird vom Parlament über Jahre in Promillen des BIP (!) definiert, nicht etwa mit der Fähigkeit der Armee, wie schnell, unter welchen Umständen, wie und wie lange und wogegen das Land erfolgreich verteidigen zu können.
Über die Nasenspitze hinausgedacht
Wieder zurück zur «inneren» Szene: Wegen der aktuellen Rechtslage können die kantonalen Polizeikorps ihre Datenbestände weder untereinander noch mit dem Bundesamt für Polizei austauschen. Sie wissen so nicht, welcher kriminalpolizeiliche Dienst zu welchen Personen ermittelt. Erleichtert werden könnte/kann das nur durch komplizierte interkantonale Konkordate (d. h. interkantonale «Staatsverträge»), jedoch ohne Einbezug der Bundeskriminalpolizei. Im schweizerischen Fahndungsregister RIPOL können bei laufenden Ermittlungsverfahren Personen ausgeschrieben werden, jedoch noch nicht bei Vorermittlungen. Möglich ist dies im Schengen-Informationssystem SIS als Spontaninformation. Das SIS ist Teil des Assoziierungsabkommens mit der EU. Die eben zustande gekommene Grenzschutz-Initiative und die «10-Millionen-Initiative» hätten, bei Annahme der ersteren unmittelbar, bei der zweiten bei Eintritt des Schwellenwertes, die Kündigung der Personenfreizügigkeit zur Folge, was die Beendigung der Schengen-Assoziation und somit den Wegfall des SIS nach sich zöge. Die Schweiz hätte keinen Zugang mehr zu den auf die Bekämpfung der Schwerstkriminalität ausgerichteten Datenbanken. Dazu gehört das derzeit in Betrieb genommene Ein- und Ausreiseregister (Schengen-Raum) und das Visa-System. Die Schweiz würde zu einem Dorado der kriminellen Organisationen ebenso wie von Terroristen (Vorbereitung und Rückzug). Eine Annahme der Neutralitätsinitiative führte zum gleichen Ergebnis.
Zusammenhänge rund um die Verteidigung: Die Neutralitätsinitiative besagt, die Neutralität gelte bis «für den Fall eines direkten militärischen Angriffs auf die Schweiz oder für den Fall von Handlungen zur Vorbereitung eines solchen Angriffs», dann könne mit Verteidigungsbündnissen zusammengearbeitet werden. In der rüstungspolitischen Strategie des Bundesrates vom 20. Juni 2025 heisst es, die Schweiz könne Abnehmern von Schweizer Kriegsmaterial nicht garantieren, sie weiterhin zu beliefern, selbst wenn sie in einen internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt wären – «auch dann nicht, wenn sie sich selbst verteidigen» müssen. Auch dies muss man sich einmal konkret vorstellen: Drohnenangriffe in Südbaden, aber wir liefern auch keine zivilen Schutzwesten (solche an die Ukraine zu liefern, hat die Schweiz wegen des Gleichbehandlungsgebotes abgelehnt). Gestützt darauf, kämen keine europäische Nato-Länder der Schweiz zu Hilfe, ausser es läge in ihrem strategischen Interesse. Dann handelte es sich um eine Besetzung. Auch dies scheint einer Mehrheit des Parlaments bisher nicht aufgegangen zu sein.
Schliesslich: Der Staatssekretär für Sicherheitspolitik verwies auf den Wegfall der regelbasierten Ordnung als eine Bedrohung. Weder Bundesrat noch Parlament wollen bei der Änderung des Kriegsmaterialgesetzes zur Kenntnis nehmen, dass ihr bisheriges Festhalten am obsoleten Gleichbehandlungsgebot aus den Haager Abkommen von 1907 (Kriegsrecht) dem zwingenden Völkerrecht der Uno-Charta widerspricht. Das absolute Verbot der Androhung und Anwendung von Gewalt in Art. 2 Ziff. 4 unterscheidet zwischen Aggressorstaat und Opferstaat (Art. 51 der Charta) und ist zwingendes Völkerrecht. Das Negieren dieser Unterscheidung verletzt die «regelbasierte Ordnung», das zwingende Völkerrecht, also selbst in gravierender Weise. Neutralitätsinitiative und Gegenvorschlag sind somit auch verfassungswidrig (Art. 194 Abs. 4 und Art. 194 Abs. 2 BV).
«Management by Schädelbruch»
Die Auslegeordnung dieser höchst widersprüchlichen und gegensätzlichen politischen Beschlüsse zu sicherheitspolitischen Problemstellungen in Bundesbern macht deutlich, dass das staatspolitische Ziel der Sicherheit und Unabhängigkeit (Art. 2 Abs. 1 BV) in der Prioritätenliste hinter buchhalterischen und/oder parteiideologischen Interessen eingeordnet wird. Just jene, welche bei jeder Gelegenheit sich für Sicherheit und Freiheit einzusetzen behaupten, schaden oder verunmöglichen eine der aktuellen geopolitischen Lage rasch anzupassende umfassende Sicherheitspolitik.
Schon bisher war es so, dass wesentliche politische Änderungen hierzulande nur auf massiven äusseren Druck oder Katastrophen zustande kamen, eben: «Management by Schädelbruch».