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Bundespräsident

Die Vereidigung Joachim Gaucks

23. März 2012
Journal21
Die Vereidigung Joachim Gaucks wurde zu einer Sternstunde des deutschen Parlamentarismus. Mit Esprit und Humor heilten die Redner die Wunden der vergangenen Monate und zeigten, wie kraftvoll die demokratische Debattenkultur sein kann.

Auf der Versammlung lastete ein grosser Druck. Zwar war Joachim Gauck am vergangenen Sonntag mit überwältigender Mehrheit zum Bundespräsidenten gewählt worden, aber die Affäre Wulff war damit nicht vergessen. Seine Verabschiedung mit dem Grossen Zapfenstreich hatte nicht nur unter den Misstönen von Vuvuzelas gelitten, sondern auch unter der Abwesenheit seiner vier Amtsvorgänger. Jetzt waren drei von ihnen erschienen: Richard von Weizsäcker, Roman Herzog und Horst Köhler – jeweils mit Gattinnen.

Aufrichtiger Dank

Christian Wulff sass mit seiner Frau in derselben Reihe wie Joachim Gauck mit seiner Lebenspartnerin Daniela Schadt. Der Bundestagspräsident Norbert Lammert fand in seiner Eröffnung den richtigen Ton, indem er Christian Wulff ganz aufrichtig nicht nur für seine Arbeit in der Amtszeit als Bundespräsident dankte, sondern auch für seine jahrzehntelange politische Arbeit vorher. Der Beifall wirkte wie ein Aufatmen der Erleichterung.

Noch einmal wies Lammert auf die Wahl Gaucks am 18. März hin, denn der 18. März war schon häufiger ein Schicksalstag für Deutschland. Aber dann fügte er an: Gauck selber habe gesagt, dass er weder „ein Supermann noch ein fehlerloser Mensch“ sei. „Das eine ist so beruhigend wie das andere.“ Es handele sich hierbei um ein Bekenntnis, „das manche überrascht hat.“ Da musste auch Gauck lachen.

Abschliessend wünschte Norbert Lammert dem Bundespräsidenten „Freude am Amt“ und dankte Horst Seehofer, der das Amt interremistisch „fast unauffällig mit bayrisch präsidialer Souveränität“ ausgeübt habe.

"Unnachahmliche Führung der Sitzung"

Horst Seehofer dankte noch einmal ausführlich Christian Wulff und seiner Frau Bettina, indem er ganz besonders ihr Engagement für Kinder und UNICEF Deutschland „in Souveränität und Herzlichkeit“ herausstellte. Und an Gauck gewandt betonte er, dass die Wahl mit „überwältigender Mehrheit“ erfolgt sei. Dann kam noch ein typisch Seehofersches Aperçu im Blick auf die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland: „Die Stärke liegt in regionaler Vielfalt und in der Eigenständigkeit der Länder.“ Nach der ersten Verblüffung gab es vereinzeltes Gelächter, dann Beifall, so dass Seehofer diesen Satz noch einmal wiederholte.

In seiner Rede dankte Joachim Gauck als erstes Norbert Lammert für „seine unnachahmliche Führung der Sitzung“. Er sei ein leuchtendes „Beispiel dafür, dass Politik Freude machen kann.“ Dann aber stellte er die Kernfrage für seine Amtszeit: Wie soll das Deutschland aussehen, in dem sich auch unsere Kinder und Enkel zu Hause fühlen können? Wie steht es um die Menschen, die sich als Verlierer empfinden? Ganz klar setzte Gauck diesmal einen anderen Akzent als bei seiner Rede am vergangenen Sonntag.

Lob der 68er Bewegung

Diese Rede hatte er mit dem Satz eingeleitet: „Was für ein schöner Sonntag“. Den meisten Zuhörern ist die Tatsache entgangen, dass es sich hierbei um ein Zitat handelt: So lautet der Titel eines Romans von Jorge Semprún von 1980. In diesem Roman setzte sich Semprún besonders kritisch mit dem Stalinismus auseinander. Manche Kritiker warfen Gauck nun zum wiederholten Male vor, dass er die Freiheit gegen die Gerechtigkeit ausspiele und überhaupt dazu neige, den linken Totalitarismus stärker zu kritisieren als den rechten.

Nun aber setzte Gauck zwei Akzente: Er betonte, wie wichtig gerade die Leistung der 68er Bewegung für die Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit Deutschlands gewesen sei. Und er machte klar, dass Freiheit nicht ohne Teilhabe, Chancengleichheit und Gerechtigkeit bestehen könne. Gerechtigkeit und Freiheit dürften aber nicht zu einer "paternalistischen Versorgungspolitik" führen. Die Balance von Gerechtigkeit und Freiheit ermögliche die Teilhabe am Gemeinwesen - und das damit einhergehende Vertrauen.

Dazu kam noch ein weiterer Punkt: Gauck lobte die Westorientierung Deutschland und die Integration in Europa. Es sei Teil der „ethischen Wertegemeinschaft“ Europas. Es gäbe keinen Weg zurück. „In der Krise heisst es: Wir wollen mehr Europa wagen!“

Lernfähige Demokratie

Deswegen könne sich sich die deutsche Nation auch nicht mehr über ethnische Zugehörigkeit definieren, sondern nur über das Bekenntnis zu den Werten der Demokratie. Dazu gehörten auch die zahlreichen Gruppen, die sich innerhalb der Demokratie in ganz unterschiedlicher Weise engagierten. Man müsse das Engagement an der Basis der Parteien und Gewerkschaften wieder höher schätzen. Und die zahlreichen Gruppen „bis in die digitale Netzgemeinde hinein“, die auf ihre Weise Wünsche und Proteste zu Ausdruck bringen, seien entscheidend für das „lernfähige System“ der Demokratie.

Es gebe inzwischen genügend Demokraten, die sich gegenüber denjenigen durchsetzen könnten, die die Demokratie in Frage stellten. Ihnen werde entgegengehalten: „Wir lassen uns unsere Demokratie nicht wegnehmen. Wir stehen zu unserem Land, nicht weil es vollkommen ist, sondern weil wir noch kein besseres gesehen haben. Euer Hass ist unser Ansporn. Ihr werdet Vergangenheit sein, und unsere Demokratie wird leben.“

Deswegen dürften sich die Bürger auch nicht zu Konsumenten degradieren lassen, sondern müssten ihre Verantwortung wahrnehmen. Die Fähigkeit dazu, sich für andere aktiv einzusetzen, zählt Gauck zum Kostbarsten im Menschen – und das Vertrauen. Am Ende seiner Rede bat er darum.

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