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Humanitäres Völkerrecht

Die UNO - what else?

15. Mai 2011 , Genf
Pierre Simonitsch
Viele halten die Vereinten Nationen für eine nutzlose Schwatzbude, andere sehen darin die Vorstufe einer bedrohlichen Weltregierung. Die Ansichten sagen mehr über persönliche Standpunkte aus als über die UNO.

Von der Bundeshausterrasse in Bern betrachtet sieht die Schweiz gross aus. Auf einem Globus hingegen ist die Schweiz nur ein Konfetti. Ohne die internationalen Organisationen wäre kein modernes Leben möglich. Es gäbe kein automatisches Telefonnetz, keinen Weltpostverkehr, keine Wettervorhersage und keine Eindämmung von Pandemien.

Charles de Gaulle nannte die UNO abfällig »le machin« (das Ding). George W. Bush bezeichnete sie als »irrelevant«, als er im Weltsicherheitsrat keine Mehrheit für den Irakkrieg fand. Die Medien kritisieren mal die politische Schwäche der UNO, mal ihre schwerfällige Bürokratie. Sie übersehen, dass die Vereinten Nationen keine supranationale Organisation sind, sondern ein Klub von 192 zumindest auf dem Papier unabhängigen Staaten. Nach der Charta sind alle gleichberechtigt, ausser den fünf Siegermächten des Zweiten Weltkriegs - die USA, Russland, China, Frankreich und Grossbritannien -, denen im Sicherheitsrat ein Vetorecht zusteht. Über eine Reform wird seit Jahrzehnten verhandelt.

"Den unmöglichsten Job der Welt"

Im Laufe von 64 Jahren ist die UNO ein Riesendampfer geworden, der sich nur schwer steuern lässt. Das Personal zählt 44.000 Festangestellte (die Sonderorganisationen nicht mitgerechnet). Bei 15 Friedensoperationen rund um den Erdball stehen derzeit über 120.000 Soldaten und Zivilbedienstete aus 114 Ländern unter der Fahne der UNO im Einsatz. Ihre Kosten betragen dieses Jahr fast acht Milliarden Dollar. Das sieht enorm aus, entspricht aber bloss einem halben Prozent der Weltmilitärausgaben.

Der erste UNO-Generalsekretär Trygve Lie nannte seinen Posten »den unmöglichsten Job der Welt«. Wegen der Ost-West-Konfrontation war die Organisation ein diplomatisches Schlachtfeld. Verglichen mit dieser Zeit ist die Welt heute viel friedlicher. Die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats machen nur selten von ihrem Vetorecht Gebrauch. Sie ziehen es vor, so lange zu verhandeln, bis ein Kompromiss steht. Es grenzt an ein Wunder, wie rasch sich das für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit verantwortliche Organ auf »humanitäre« Militäreinsätze in Libyen und der Elfenbeinküste einigen konnten. Die Kehrseite dieser Medaille ist, dass die Vetostaaten selber unangreifbar sind.

Ein neues globales Gleichgewicht

Das Fünfer-Direktorium bröckelt aber. Die Hegemonie der USA und der früheren Kolonialmächte Frankreich und Grossbritannien wird von einigen »aufsteigenden Nationen« herausgefordert. Vor kurzem haben sich Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika unter dem Kürzel BRICS (nach ihren Anfangsbuchstaben) zu einem losen Bund zusammengeschlossen. Sie beschuldigen den Westen, die UNO unter dem Vorwand humanitärer Militäreinsätze für eine Kanonenbootpolitik zu missbrauchen.

Langsam entsteht also ein neues globales Gleichgewicht, das die Polarisierung USA-Sowjetunion und die nachfolgende Alleinherrschaft Washingtons ablöst. Wann sich diese neuen Realitäten auf die Zusammensetzung des Weltsicherheitsrats niederschlagen werden, ist schwer abzuschätzen.

Ziemlich sicher ist, dass Deutschland, Japan, Indien, Brasilien und Südafrika einen ständigen Sitz erringen werden. Aber auch Italien, Argentinien, Pakistan und Nigeria stehen auf der Treppe. Die Frage ist: Sollen alle neuen Ratsmitglieder ein Vetorecht erhalten? Damit wäre die Lähmung des höchsten UNO-Organs garantiert. Oder soll das Vetorecht ganz abgeschafft werden? Damit sind die derzeitigen fünf Permanenten nicht einverstanden. Sie würden sich nie einer Mehrheitsentscheidung beugen, wenn es um Krieg oder Frieden geht. Der jüngste Trend ist die Schaffung einer neuen Kategorie von ständigen Mitgliedern ohne Vetorecht. Damit wollen sich aber Indien und Brasilien nicht begnügen.

Die vielleicht grösste Errungenschaft der UNO ist das Netz internationaler Konventionen über die Menschenrechte und Grundfreiheiten. Am Anfang stand die Universelle Menschenrechtserklärung von 1948. Sie ist eine Art Bibel, die in 30 kurzen Geboten die Regeln des Zusammenlebens aufstellt. Seither ist das humanitäre Völkerrecht auf eine ganze Bibliothek angewachsen. Es umfasst die Rechte des Individuums, der Minderheiten, der Frauen und der Kinder.

Niemand mehr stellt die Gültigkeit der Menschenrechte infrage

China und Drittweltstaaten lehnten dieses »westliche« Konzept lange mit dem Argument ab, in ihrem Entwicklungsstadium habe das Gemeinwohl Vorrang gegenüber den Interessen der Einzelpersonen. Heute stellt keine Regierung mehr die universelle Gültigkeit der Menschenrechte infrage. Auch China steht unter Rechtfertigungsdruck. In der Visumabteilung der chinesischen Botschaft in Bern liegen Broschüren auf, in denen angebliche Fortschritte bei der Umsetzung der Menschenrechte im Rahmen der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Landes beschrieben werden.

Die Schweiz war stets eine treibende Kraft beim Ausbau des humanitären Völkerrechts. Dass jetzt eine grosse Schweizer Volkspartei die nationalen Gesetze über die vom Parlament ratifizierten internationalen Konventionen stellen und einige Verträge sogar kündigen will, ist ein fataler Rückschritt.

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